Fluoridaufnahme: Diese Studien haben für uns keine Relevanz!
Die erste Studie der York Universität in Toronto hatte in Mexiko die Folgen der systemischen Fluoridaufnahme in der Schwangerschaft untersucht – mit dem Ergebnis, dass diese zu einem geringeren IQ des Nachwuchses führt. Eine weitere Studie aus den USA bringt die systemische Aufnahme von Fluoriden mit einer Einschränkung der Leber- und Nierenfunktion bei amerikanischen Jugendlichen in Verbindung. Welche Bedeutung diese Ergebnisse für Deutschland haben, erklären die IfK-Autoren Prof. Dr. med. dent. Stefan Zimmer, Lehrstuhlinhaber für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke, Sprecher der Informationsstelle für Kariesprophylaxe, und Prof. Dr. Andreas Schaper, klinischer Toxikologe, Leiter des Giftinformationszentrum-Nord, Universitätsmedizin Göttingen, Beiratsmitglied der Informationsstelle für Kariesprophylaxe.
Stellungnahme zur Studie aus Kanada
Zur kanadischen Studie stellen sie fest: „Es handelt sich um eine prospektive Multicenter-Kohortenstudie mit Kindern, die zwischen 2008 und 2012 in sechs kanadischen Städten geboren wurden. Ziel der Studie war es, einen möglichen Zusammenhang zwischen systemischer Fluoridaufnahme durch Trinkwasserfluoridierung während der Schwangerschaft und dem Intelligenzquotienten der Kinder zu untersuchen. Die Abhängigkeit des sogenannten Full-Scale-Intelligenzquotienten (FSIQ) der Kinder im Alter von drei bis vier Jahren von folgenden Faktoren wurde untersucht: Zum einen von der Fluoridkonzentration im Urin der Mütter während aller Schwangerschaftstrimester (512 Mutter-Kind-Paare), zum anderen von der geschätzten systemischen Fluoridaufnahme über die Trinkwasserfluoridierung (400 Mutter-Kind-Paare). Die Fluoridkonzentration im Urin wurde im Spontanurin (Spot-Urin) gemessen, die Fluoridaufnahme aus fluoridiertem Trinkwasser schätzten die Wissenschaftler über die Zuordnung der Mütter zu bestimmten Wohngebieten über die Postleitzahl sowie einen Fragebogen.
Beide Verfahren sind fehlerbehaftet. Für die Urinmessungen eignet sich der 24-Stunden-Urin besser, weil der Spontan-Urin starken Schwankungen unterliegt. Die Schätzung der Fluoridaufnahme über die Postleitzahl ist ebenfalls ungenau. Die tatsächliche Fluoridaufnahme der Mütter konnte nicht gemessen werden, damit blieben auch alle anderen möglichen Fluoridquellen neben der Trinkwasserfluoridierung (TWF) und im Fragebogen berichteten Teekonsum außer Acht. Die unter diesen Bedingungen ermittelten Fluoridwerte im Urin ergaben:
Mütter in Gebieten mit TWF: 0,69 mg/Liter; Fluoridaufnahme: 0,93 mg/Tag
Mütter in Gebieten ohne TWF: 0,40 mg/Liter; Fluoridaufnahme: 0,30 mg/Tag
Mädchen hatten einen signifikant höheren Intelligenzquotienten (FSIQ) als Jungen (109,56 versus 104,61).
Eine Zunahme der Fluoridkonzentration im Urin um 1 mg/Liter war bei Jungen mit einer Abnahme des FSIQ um 4,49 Punkte verbunden.
Für Mädchen wurde kein signifikanter Zusammenhang festgestellt. Bezogen auf die tägliche Fluoridaufnahme wurde eine Abnahme des FSIQ um 3,66 Punkte pro 1 mg Fluorid gefunden. Einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gab es hier nicht.
Was bedeutet das für Deutschland, wo es keine Trinkwasserfluoridierung, wohl aber fluoridiertes Speisesalz gibt?
Eine frühere Schätzung anhand von Studien aus der Schweiz, wo ebenfalls eine Salzfluoridierung existiert, zeigte, dass die Fluoridkonzentration im Urin bei etwa 0,4 mg/Liter liegt, also im selben Bereich wie bei den Müttern in Kanada ohne Trinkwasserfluoridierung. Bei Nutzung von fluoridiertem Speisesalz nehmen Deutsche circa 0,1 mg aus dieser Quelle auf, hinzu kommen rund 0,24 mg aus dem natürlichen Fluoridgehalt des Trinkwassers. In der Summe ergibt sich daraus ein Wert von etwa 0,34 mg/Tag, der im Bereich der Aufnahme der Mütter in der Kanada-Studie in Regionen ohne TWF (0,30 mg/Tag) liegt, aber weit unterhalb der Werte mit TWF (0,93 mg/Tag).
Selbst bei der Verwendung von fluoridiertem Speisesalz befindet sich also die systemische Aufnahme von Fluorid in Deutschland in einem Bereich, der dem in Kanada ohne systemische Fluoridierungsmaßnahmen entspricht. Es besteht daher keinerlei Anlass, während der Schwangerschaft auf die Verwendung von fluoridiertem Speisesalz zu verzichten. Fluoridiertes Speisesalz bietet nachgewiesenermaßen einen guten Kariesschutz. Fluoride, die in Zahnpasten, Mundspüllösungen oder Fluoridgelees enthalten sind, spielen übrigens bei der Berechnung der systemischen Fluoridaufnahme keine Rolle, da sie im Wesentlichen wieder ausgespuckt werden.“
Stellungnahme zur Studie aus den USA
Zur US-Studie: „Es handelt sich um eine Querschnittsstudie auf der Grundlage von Daten aus dem National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) der USA, die in den Jahren 2013 bis 2016 erhoben wurden. Das Alter der Probanden betrug durchschnittlich 15,4 Jahre. Ziel der Studie war es, einen möglichen Zusammenhang zwischen systemischer Fluoridexposition aus fluoridiertem Trinkwasser und Nieren- sowie Leberwerten zu untersuchen.
Bei 1.983 Heranwachsenden lagen Plasma-Fluoridwerte und bei 1.742 Wasser-Fluoridwerte vor. Die mittlere Fluoridkonzentration im Blutplasma belief sich auf 0,33 µmol/Liter und die im Trinkwasser auf 0,48 mg/Liter. Bei 25 Prozent der untersuchten Probanden lag der Fluoridgehalt im Trinkwasser über der empfohlenen Konzentration von 0,7 mg/L. Ein Anstieg der Plasma-Fluoridkonzentration um 1 µmol/Liter war mit einer Veränderung von Nierenwerten assoziiert – unter anderem mit niedrigeren Harnsäure- und Harnstoffkonzentrationen im Blut. Diese können mit veränderten Funktionen von Nieren und Leber in Zusammenhang stehen.
Konkret wurde gemessen:
eine 10,36 mL/min/1,73m² niedrigere glomeruläre Filtrationsrate der Nieren
eine um 0,29 mg/dL niedrigere Harnsäurekonzentration
sowie eine um 1,29 mg/dL niedrigere Harnstoffkonzentration im Blut.
Ein Anstieg um 1 mg Fluorid/Liter Wasser war mit einer um 0,93 mg/dL niedrigeren Harnstoffkonzentration im Blut korreliert. Für weitere untersuchte Nieren- (Verhältnis Albumin/Kreatinin und Serumalbumin) sowie Leberparameter (Aspartat Aminotransferase, Alkalische Phosphatase und Gamma-Glutaryl-Transferase) wurden keine Korrelationen gefunden.
Bei der Bewertung der Studie ist zu berücksichtigen, dass ausschließlich Probanden mit gesunder Nieren- und Leberfunktion untersucht wurden. Die beobachteten Veränderungen spielten sich allesamt innerhalb gesunder Normwerte ab.
Bei Querschnittsstudien wie dieser sind lediglich Assoziationen abzuleiten, Ursache und Wirkung bleiben dabei unklar und müssen durch weitere Studien untersucht werden (Kausalität). Es ist denkbar, dass systemisch aufgenommenes Fluorid zu den beobachteten Veränderungen geführt hat. Nach Aussage der Autoren ist es aber genauso möglich, dass bereits eingeschränkte Funktionen der Nieren und/oder der Leber zu einer erhöhten Fluoridanreicherung im Körper geführt haben. Die Autoren empfehlen, weitere Untersuchungen durchzuführen, um die Limitationen ihrer Studie zu überwinden.
Was bedeutet diese Studie für Deutschland?
Generell muss zuerst festgestellt werden, dass die Studie keinen kausalen Zusammenhang zwischen Fluoridexposition und Nieren- sowie Leberwerten ermitteln konnte. Außerdem hatten alle Studienteilnehmer, auch diejenigen mit einer erhöhten Fluoridaufnahme aus dem Trinkwasser, gesunde Nieren- und Leberwerte.
Innerhalb dieser Normwerte waren Veränderungen der Laborwerte bei Menschen messbar, die eine erhöhte Fluoridaufnahme aus dem Trinkwasser aufwiesen. Solche erhöhten systemischen Fluoridaufnahmen kommen in Deutschland, auch bei Nutzung von fluoridiertem Speisesalz, nicht vor. Zum Vergleich: Die tägliche Fluoridaufnahme aus Trinkwasser und fluoridiertem Speisesalz liegt in Deutschland bei etwa 0,34 mg/Tag. Die genannten erhöhten Laborwerte waren mit einem Anstieg von 1 mg Fluorid/Tag im Trinkwasser assoziiert, also erheblich über dem Durchschnittswert in Deutschland.“
Kanadische Studie
Einfluss pränataler Exposition auf den IQ
Für die Studie zum „Zusammenhang zwischen mütterlicher Fluoridbelastung während der Schwangerschaft und IQ-Werten bei Nachkommen in Kanada“ wurden in einer prospektiven, multizentrischen Kohortenstudie 601 Mutter-Kind-Paare mit zwischen 2008 und 2012 geborenen Kindern untersucht. Davon lebten 41 Prozent in Gemeinden mit fluoridiertem Trinkwasser. Die Fluorid-Exposition während der Schwangerschaft wurde über das mütterlichem Harnfluorid (MUF) gemessen, angepasst an das spezifische Gewicht und gemittelt über drei Trimester. Außerdem gab es von 400 Schwangeren Daten zur täglichen Fluoridaufnahme aus dem Wasser- und Getränkekonsum. Anschließend untersuchten die Autoren den IQ der Kinder im Alter von drei bis vier Jahren mihilfe der Wechsler-Intelligenzskala für Grundschul- und Vorschulkinder-III.
Ergebnis: Während es bei Mädchen keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Fluoridexposition der Mutter während der Schwangerschaft und dem IQ des Kindes gab, korrelierte eine um 1 mg höhere tägliche Fluoridaufnahme der Schwangeren bei Jungen mit einem um 4,49 Punkte niedrigeren IQ-Wert. Rückschluss der Autoren: Die Befunde weisen auf die mögliche Notwendigkeit hin, die Fluoridaufnahme während der Schwangerschaft zu reduzieren.
Rivka Green, Bruce Lanphear, Richard Hornung, David Flora, Angeles Martinez-Mier, Raichel Neufeld, Pierre Ayotte, Gina Muckle, Christine Till: Association Between Maternal Fluoride Exposure During Pregnancy and IQ Scores in Offspring in Canada, JAMA Pediatricsdoi:10.1001/jamapediatric.2019.1729, August 2019.
US-Studie
Einfluss auf Nieren- und Leberfunktion bei Teenagern
Die populationsbasierte Studie zur „Fluoridbelastung sowie Nieren- und Leberfunktion bei Jugendlichen in den USA“ untersuchte, ob eine höhere Fluoridexposition zu veränderten Nieren- und Leberwerten bei US-Jugendlichen führt. Die Querschnittsstudie verwendete Daten aus dem National Health and Nutrition Examination Survey der Jahre 2013 bis 2016 und analysierte Daten von knapp 2.000 Jugendlichen, die keine Nierenerkrankung hatten.
Fluorid wurde in Plasma und Leitungswasser gemessen. Die untersuchten Nierenparameter umfassten die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate, Serumharnsäure und das Verhältnis von Albumin im Urin zu Kreatinin. Die Leberparameter wurden im Serum bestimmt und umfassten Alanin-Aminotransferase, Aspartat-Aminotransferase, alkalische Phosphatase, Blut-Harnstoff-Stickstoff, Gamma-Glutamyltransferase und Albumin.
Untersucht wurden nun die Beziehungen zwischen der Fluoridexposition und den Nieren- und Leberparametern.
Das Durchschnittsalter der Jugendlichen betrug 15,4 Jahre, die mittleren Wasser- und Plasmafluoridkonzentrationen lagen bei 0,48 Milligramm pro Liter beziehungsweise 0,33 Mikromol pro Liter. Die Studienautoren beobachteten eine Korrelation zwischen der Fluoridexposition und der glomerulären Filtrationsrate sowie der Blut-Harnstoff-Stickstoffkonzentration.
Ashley J Malin, Corina Lesseur, Stefanie A Busgang, Paul Curtin, Robert O. Wright, Alison Sanders: Fluoride exposure and kidney and liver function among adolescents in the United States: NHANES, 2013–2016, Environment International doi.org/10.1016/j.envint.2019.105012, August 2019.