Editorial

Das Digitale verändert das Selbstverständnis der Heilberufler

Uwe Axel Richter

Wenn Heilberufler in den letzten Jahren über die Digitalisierung im Gesundheitswesen geredet haben, kreisten die Diskussionen primär um die vom Gesetzgeber gewollte und letztlich gegen alle Widerstände durchgesetzte Telematikinfrastruktur, deren Sinnhaftigkeit, die Aufwände und Kosten für die Praxis und natürlich um die potenziellen wie auch tatsächlichen Gefahren. Wir haben gegen staatliche Eingriffe in die Organisation der Praxen, für eine zugriffssichere Technik und einen effektiven Datenschutz gekämpft – und streiten noch dafür – und uns dabei primär als Sachwalter unserer Patienten gesehen. Fakt ist: Nach Ablauf der gesetzlichen Fristen hat der Gesetzgeber sein Ziel erreicht, auch wenn die Anbindungsquoten derzeit zwischen den Bundesländern noch erheblich schwanken. Im BMG zeigt man sich zuversichtlich, dass die bald exekutierten Honorarsanktionen das übrige tun werden, auch die letzten (zahn-)ärztlichen Zweifler zu überzeugen, sich an die TI samt ihrer zentralen Datenhaltung anzuschließen, damit endlich die „Segnungen der Digitalisierung“ gehoben werden können. Die damit einhergehende Relativierung des Arzt-Patienten-Verhältnisses ist in Anbetracht der Fülle der Digitalgesetze – nur als Kollateralschaden? – bereits eingepreist. Denn so wie die politische Digitalisierungsoffensive aufgesetzt ist, hat sie die endgültige Verschiebung des Gravitationszentrums im Gesundheitswesen zur Folge. Nicht die sogenannten Leistungserbringer stehen mehr im Zentrum, sondern der Patient! Was früher häufig nur Lippenbekenntnis gewesen sein mag, wird nun organisatorische(!) Realität. Die ePA und ihre geplanten Funktionalitäten lassen grüßen …

So gesehen ist die Digitalisierung eben doch deutlich mehr als nur Projektionsfläche für Problemlösungen, die sich aus mangelnder „Kommunikation“ im Gesundheitswesen und den relationierten Kosteneinsparpotenzialen ergeben. Im Klartext: Die Digitalisierung ist der Gamechanger für alle Beteiligten – Krankenkassen, Krankenhäuser, Heilberufler und anverwandte Berufe. Und das eröffnet neue Geschäftsfelder. Die nächste Digitalisierungswelle rollt bereits heran. Diese hat das Potenzial, das ärztliche (im wahrsten Sinne des Wortes) Selbstverständnis fundamental zu verändern. Der Geschäftsführer des in Deutschland führenden Arztlistungs- und Bewertungsportals jameda, Dr. Florian Weiß, beschreibt die neuen Angebote so: „Mit unserem breiten Angebot sind wir inzwischen weit mehr als ein Arztbewertungsportal. Wir sind in Deutschland das Portal für den digitalen Kontakt zwischen Arzt und Patienten.“ Man wolle den Weg zum Arzt deutlich vereinfachen und arbeite an einer Reihe weiterer Innovationen, die den digitalen Kontakt zwischen Arzt und Patient noch einfacher und für beide Seiten effizienter machen. „Unsere konkrete Vision ist ein voll integrierter Gesundheitsservice für Patienten und Ärzte, der weitere Verbesserungen wie zum Beispiel die digitale Anamnese umfasst.“ Da ist sie, die „Alles-aus-einer-Hand-Lösung für optimierte Prozesse und erfolgreiche Patientengewinnung“ samt „unkomplizierter und stressfreierer Führung des Patienten zum individuell passenden Arzt“. Die Zukunft wird also ein Dreisprung aus Symptomsuche im Internet, Vorschlag für einen passenden Arzt samt nachfolgender Videosprechstunde, um den Patienten zum passenden (nicht mehr seinem!) Arzt zu führen, sondern auch eine entsprechende Monetarisierung für die Portalbetreiber ermöglichen. Wer das bezahlen wird, überlasse ich an dieser Stelle Ihrer Fantasie.

Wenn bereits 2018 acht von zehn Deutschen regelmäßig ein Smartphone benutzen, dann wird ein Großteil der Patienten solcher Art Angebote auch nutzen. Der Medienkonzern Burda, dem jameda und neuerdings auch netdoktor.de gehören, geht davon aus, dass für seine Ärzteplattform jameda der Umsatz innerhalb der nächsten sechs Jahre von derzeit 20 Millionen auf 100 Millionen gesteigert werden kann. Und der Marktdruck allein für die digitale Terminvergabe steigt. Doctolib, in Europa bereits ein Schwergewicht im Marktsegment der elektronischen Terminvergabe, steigt in das Segment ein ebenso wie die Compugroup Medical mit Clickdoc.de. Womit wir bei der gerne verdrängten Erkenntnis sind, das Digitalisierung nicht nur die Umwandlung eines analogen in ein digitales Format ist, sondern eine tief gehende Transformation der Prozesse bedeutet. Was zwingend dazu führt, sich den Herausforderungen durch die Digitalisierung und den damit einhergehenden branchenspezifischen Veränderungen zu stellen.

Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur

Dr. Uwe Axel Richter

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