Januskopf Digitalisierung
„In Europa gibt es erhebliche Unterschiede bei der Wahrnehmung und Bewertungdes digitalen Wandels“, sagt Projektleiterin Cordula Kropp vom Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart. Ganz besonders die Deutschen seien in der Einschätzung zur Digitalisierung recht skeptisch.
Die Deutschen wägen erst einmal ab
„Der Radar ergibt das Bild einer deutschen Öffentlichkeit, die abwägend und zurückhaltend auf die Digitalisierung reagiert“, bilanzieren die Studienautoren. „Die Wahrnehmung, dass technische Innovation janusköpfig ist, mit direkten und indirekten Wirkungen einhergeht und erst die konkreten Anwendungen über die tatsächlichenChancen und Risiken entscheiden, scheint sehr verbreitet zu sein.“ Die Digitalisierung werde offenbar besonders kritisch erlebt, wenn sie als ein Prozess wahrgenommen wird, dem man sich ausgeliefert fühlt.
Insgesamt haben die Deutschen nur ein durchschnittliches Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bei der Ausgestaltung der Digitalisierung. „Wir müssen uns in Deutschland in Zukunftsfragen mehr zutrauen, um unseren Wohlstand und unsere Position als weltweit führender Technologie- und Innovationsstandort nicht zu gefährden“, fordert Lothar Dittmer, Vorsitzender des Vorstands der Körber-Stiftung. „Andere Länder in Europa machen uns vor, wie man die Chancen der Digitalisierung ergreift!“ So erwarten drei Viertel der Europäer einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft. Zwei Drittel sind optimistisch, wenn es generell um gesellschaftliche Auswirkungen und den Einfluss auf die Lebensqualität geht.
Für die Wirtschaft top, für die Gesellschaft ein Flop?
Damit befindet sich Deutschland im Mittelfeld: Die Erwartungen an eine bessere Lebensqualität entsprechen etwa dem EU-Durchschnitt. Die positiven Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wirtschaft werden von den Deutschen um sieben Prozentpunkte höher, die positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft jedoch um zehn Prozentpunkte niedriger als im europäischen Durchschnitt eingeschätzt.Drei von vier Europäern glauben, dass die Digitalisierung gut für die Wirtschaft sei. Gleichzeitig befürchtet fast die Hälfte einen Verlust von Arbeitsplätzen. Dabei bestehen starke Unterschiede zwischen den Ländern: Am wenigsten Angst vor einem Arbeitsplatzverlust haben die Niederländer (46 Prozent), die Dänen (53 Prozent) und dieFinnen (59 Prozent). In Deutschland teilen hingegen drei Viertel (74 Prozent) der Befragten diese Befürchtung.
Besonders pessimistisch ist die Denke in Südeuropa: In Portugal erwarten 93 Prozent der Befragten Jobverluste, in Spanien 90 Prozent, in Griechenland 88 Prozent. Eine große Rolle bei der Einschätzung spielen soziale Faktoren: Menschen mit geringer Bildung haben mehr Angst vor einer Jobflaute (80 Prozent) als höher Gebildete (65 Prozent). Dabei hält man den eigenen Arbeitsplatz mehrheitlich für sicher. Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) glaubt, dass die eigene Arbeit überhaupt nicht durch einen Roboter oder künstliche Intelligenz erledigt werden könne. 44 Prozent meinen hingegen, dass zumindest Teileihrer Arbeit der Digitalisierung zum Opfer fallen könnten. Diese Befürchtung ist bei Männern (47 Prozent) stärker verbreitet als bei Frauen (40 Prozent).
Wer digitale Kompetenzen hat, ist aufgeschlossener
Wie aufgeschlossen Menschen gegenüber Veränderungen im Zuge der Digitalisierung sind, hängt auch davon ab, ob man sich selbst in der Lage sieht, in einer digitalisierten Welt leben zu können. „So haben Dänen, Schweden und Niederländer, die ihre digitale Kompetenz überdurchschnittlich gut bewerten, auch überdurchschnittlich positive Erwartungen an die Digitalisierung“, heißt es. Demgegenüber haben die Deutschen nur durchschnittliches Vertrauen in die eigene Kompetenz und auch ihr Optimismus liegt im europäischen Mittelfeld. Schweden, die sich als digital sehr kompetent einschätzen, haben demnach auch relativ hohe Erwartungen an die staatliche Regulierung. Mehr als ein Viertel meint, es sei die Aufgabe der Regierung, sicherzustellen, dass neue Technologien die Gesellschaft verbessern. In Deutschland sind es nur neun Prozent.
Wer soll prüfen? Firmen, Behörden oder die EU?
Wer sollte die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung schaffen und regulieren: Unternehmen, nationale Behörden, die EU oder alle zusammen? Hier ist das Meinungsbild uneinheitlich: 20 Prozent der Europäer würden die „Governance“ (Steuerung und Regelung) der Digitalisierung den Unternehmen überlassen. Am zweithäufigsten wurden alle drei Akteure (19 Prozent) genannt, gefolgt von den nationalen Behörden (16 Prozent). Auch unter den Deutschengehen die Meinungen auseinander: 27 Prozent wünschen sich eine Regulierung durch Unternehmen, 21 Prozent durch alle drei Akteure. Allein die nationalen Behördensehen 10 Prozent in der Pflicht.
In Ländern wie Schweden, wo die Menschen sich mehrheitlich für kompetent halten und ihr Land als digital fortgeschritten wahrnehmen, haben sogar die über 65-Jährigen ähnlich positive Erwartungen an digitale Technologien wie die Digital Natives unter 35. In Ländern wie Deutschland, die sich nicht als digital fortgeschritten wahrnehmen und in denen sich die Befragten nur für durchschnittlich kompetent im Umgang mit digitalen Technologien halten, zeigtder Report dagegen große Unterschiede: Die Generation 65+ hat viel seltener positive Erwartungen an die neuen Technologien als die Jugend. Die Erwartungshaltung spiegelt dabei die unterschiedliche Risikowahrnehmung wider: Für junge Menschen überwiegen die Vorteile digitaler Geräte und Dienstleistungen. Risiken werden als alternativlos und kontrollierbar bewertet. Ältere Nutzer hingegen verwenden Geräte und Dienstleistungen seltener und haben gleichzeitig auch größere Sicherheitsbedenken. Frauen haben im Vergleich zu Männern eher niedrigere Erwartungen an digitale Technologien. Europaweit sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Generation unter 35 und auch in der mittleren Altersgruppe bis 65 allerdings gering. Bei den über 65-Jährigen haben Männer jedoch meist positivere Erwartungen an die Digitalisierung als die gleichaltrigen Frauen. Dieser Unterschied ist übrigens in Westdeutschland ausgeprägter als in Ostdeutschland.
Schlimm wird's, wenn man sich ausgeliefert fühlt
Aufgrund der neuen digitalen Technologien lassen sich große Datenmengen speichern und jederzeit abrufen. Aber sollen auch medizinische Daten online, beispielsweise für den eigenen Arzt, zur Verfügung stehen? Hier ist die europäische Öffentlichkeit gespalten. Eine knappe Mehrheit, 52 Prozent, ist dafür, 43 Prozent sind dagegen. Ausgeprägt ist der Wunsch nach dem persönlichen Online-Zugriff auf die eigenen medizinischen Daten in Finnland (82 Prozent), Dänemark (80 Prozent), den Niederlanden (70 Prozent) und den Baltischen Staaten (70 Prozent).
Sollen Gesundheitsdaten auch online gehen?
In Deutschland (38 Prozent), Österreich (34 Prozent) und Ungarn (32 Prozent) möchte dies nur eine Minderheit. Während sich64 Prozent der unter 40-Jährigen einen Online-Zugang zu ihren medizinischen Daten wünschen, sind es bei den über 54-Jährigen nur 38 Prozent. In der niedrigsten Bildungsgruppe sprechen sich 27 Prozent dafür aus, in der höchsten 66 Prozent. Bei der Bereitschaft, die eigenen Gesundheitsdaten weiterzugeben, sind die Deutschen zurückhaltender und legen viel Wert darauf, dass die Daten geschützt werden.
Das Technikradar
Die Studie der Körber-Stiftung basiert auf einer regelmäßig bundesweit durchgeführten, repräsentativen Befragung der Deutschen. Erstellt und wissenschaftlich ausgewertet wird das TechnikRadar vom Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovations‧forschung der Universität Stuttgart.