Situation an deutschen Zahnkliniken

Die Belegschaft wird unsicher

Prof. Dr. med. dent. Reinhard Hickel ist sich sicher, dass sein Haus auf die zweite Welle gut vorbereitet ist. Der Direktor der LMU-Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie und Dekan der Medizinischen Fakultät beobachtet eine neue Normalität in Lehre und Klinikalltag. Sorge bereiten ihm feiernde Studierende und eine wachsende Unsicherheit im Team. Eine Momentaufnahme von der LMU München Anfang November.

Aktuell die größte Herausforderung ist, das Personal mitzunehmen“, sagt Hickel. Eine wachsende Unsicherheit in der Belegschaft sei angesichts der Entwicklung in den Nachbarländern und der unkalkulierbaren Lage in Deutschland deutlich spürbar. Im Moment sei die Situation gut beherrschbar, sagt er. Sollte sich die Inzidenz aber um den Faktor zehn erhöhen – mit Zuständen wie in der belgischen Region Lüttich – könnte sich das ändern.

Wie viele zahnmedizinische Notfälle von COVID-positiven oder -verdächtigen Patienten bislang in seinem Haus behandelt worden sind, kann Hickel nicht mit Sicherheit sagen – eine entsprechende Auswertung wurde immer wieder aufgeschoben, weil es Wichtigeres zu tun gab. „Wir sind nicht überrannt worden, aber hatten seit Pandemiebeginn kontinuierlich solche Behandlungen“, sagt er. Die Mehrzahl der eindeutig infizierten Patienten habe die zwei Wochen Quarantänezeit jedoch überbrücken können. Im Fall von akutem Fieber oder Atembeschwerden sei die zahnmedizinische Behandlung hier und da auch temporär nachrangig geworden.

Aktuell läuft alles kontrolliert und gut

Sorge bereitet Hickel, dass manche Kliniken momentan ausschließlich mit FFP2-Masken behandeln und damit heute unnötig Masken aufgebraucht werden, die bald dringend nötig sein könnten. Bei Verdachtsfällen oder wenn der Behandler zu einer Risikogruppe gehört, sei das natürlich angemessen. „Aber ansonsten ist ein Standard-Mund-Nasenschutz völlig ausreichend.“

Die Situation in München ist aktuell Hickel zufolge vergleichsweise entspannt, es bleibt perspektivisch noch Luft für eine Verschärfung der Maßnahmen. „Es läuft alles kontrolliert und gut“, berichtet Hickel. Studierende, Patienten und Besucher nutzten separate Eingänge, Alltagsmasken würden in der Klinik sicherheitshalber ausnahmslos durch chirurgische Masken ersetzt, nur die verpflichtende Temperaturmessung sei vorübergehend noch ausgesetzt. Studierende arbeiten wieder am Patienten und am Phantomkopf, jeweils im Schichtbetrieb – so dass nur jeder zweite Platz besetzt wird. Mit dem Start des Wintersemesters gibt es fast so etwas wie Normalbetrieb.Schwierig wird es in dem Moment, wenn auf der Intensivstation nicht mehr die reguläre Betreuung durch Pflegekräfte sichergestellt werden kann.

Schwierig wird es in dem Moment, wenn auf der Intensivstation nicht mehr die reguläre Betreuung durch Pflegekräfte sichergestellt werden kann.

Prof. Dr. med. dent. Reinhard Hickel, Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der LMU München

Die Studierenden ebenso wie die jungen Ärzte erlebt Hickel als diszipliniert und verständig, was die Hygienemaßnahmen betrifft. „Jetzt muss nur noch besser in die Köpfe hinein, dass die Maßnahmen nicht am Tor des Klinikums enden“, meint Hickel mit Blick auf die Risiken des Party-Lifestyles. Denn anders als im Frühjahr sind aktuell vor allem Jüngere infiziert. Bislang gab es allerdings nur drei Infizierte unter den rund 700 Studierenden. „Ich gehe aber davon aus, dass ich jede Woche mit einem bis mehreren Fällen rechnen muss“, prognostiziert er.

Ob es noch einmal zu einem kompletten Shutdown und einer angeordneten umfangreichen Bettenfreihaltung nur für COVID-Patienten kommt, sei momentan nicht absehbar. Diese Maßnahme ist für Hickel wirtschaftlich unsinnig und für die anderen Patienten schlecht.

Es gibt keinen Grund, Angst zu haben

Ebenso schädlich ist seiner Meinung nach unbegründete Panikmache im Berufsstand und in der Bevölkerung. Hickel ist daher froh, das neue Studien zeigen, dass das Infektionsrisiko für Zahnärzte nicht überproportional ist. Es gebe also keinen Grund, Angst zu haben, lautet seine Botschaft. Auch er behandele nach wie vor jeden Tag und spüre, dass die Patienten auch nach wie vor gerne in die Klinik kommen.

„Wir stecken schon mitten drin in der zweiten Welle“

PD Dr. Dr. Meikel A. Vesper hat wenig Zeit am Telefon. Der Chefarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Eberswalde bekommt als Hygienebeauftragter des gesamten Krankenhauses die Wucht der aktuellen Entwicklung doppelt zu spüren.

Lange hatte der brandenburgische Landkreis Barnim eine vergleichsweise niedrige 7-Tages-Inzidenz. Doch jetzt schnellt die Zahl nach oben, berichtet Dr. Vesper. „Das explodiert gerade“, sagt er. „Wir stecken schon mitten drin in der zweiten Welle.“ Aktuell werden im Klinikum 18 COVID-Patienten behandelt, elf davon auf der Intensivstation. Täglich kommen neue hinzu.

Trotzdem ist sich der Chefarzt sicher, dass sein Haus gut vorbereitet ist. Die Materialsituation sei wesentlich besser als im Frühjahr und auch das medizinische Wissen zum Verlauf der Erkrankung breiter.

Für große Unsicherheit sorgen seiner Meinung nach die asymptomatischen Verläufe und nicht nachvollziehbaren Verbreitungswege des Virus. In Einzelfällen lasse sich „einfach nicht rekonstruieren, wo die Infektion herkommt“, sagt Vesper. So habe er einen „superdisziplinierten“ Mitarbeiter, der ausschließlich mit FFP2-Maske behandelte, als junger Vater auch kein Partygänger und dessen prophylaktischer Test nach einem ersten Kratzen im Hals negativ blieb. Ein zweiter turnusmäßiger Test Tage später war dann aber positiv, obwohl der Mann keine eindeutigen Symptome zeigte. Jetzt, Wochen später, verschlechtere sich der Gesundheitszustand zunehmend, und ein zweiter Mitarbeiter erkrankte.

Im Oktober wurde das Klinikum wieder in den Alarmmodus versetzt, Betten für Intensivpatienten wurden reserviert. In der Kantine dürfen sich die Beschäftigten seitdem nur noch zu zweit an einen Tisch setzen, jeweils an der Querseite, um maximal möglichen Abstand zu wahren.

Die größte Herausforderung ist nach Vespers Bewertung der Umgang mit und die Behandlung von nicht kooperativen, weil dementen COVID-Patienten. „Die tragen natürlich nicht brav ihre Maske, sondern ziehen sie ständig runter.“ Einzig mögliche Reaktion ist die Unterbringung in Einzelzimmern und die lückenlose Verwendung von FFP2-Masken. Dicht abschließen können diese nur, wenn sie nicht auf einem dichten Bart aufliegen. „Wir können natürlich niemanden zwingen“, sagt er. „Aber wer seinen Bart nicht soweit kürzt, dass der Infektionsschutz gewährleistet ist, wird – ebenso wie Mitarbeiter die aus gesundheitlichen Gründen nicht mit FFP2-Masken arbeiten können – in einen anderen Klinikbereich versetzt.“

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