Schotten dicht
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) präsentierte Ende Oktober gemeinsam mit den Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit ein neues Positionspapier. An dem Tag, als die Bundesregierung den Teil-Lockdown beschloss, forderten Ärzte und Wissenschaftler kurz zuvor, keinen Lockdown durchzuführen und stattdessen den Schutz vulnerabler Gruppen und die strikte Einhaltung der AHA+A+L-Regeln zu intensivieren. Auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) unterstützt das Positionspapier.
Die KBV plädiert für eine Gebotskultur
Die wichtigsten Forderungen sind die Abkehr von der Eindämmung alleine durch Kontaktpersonennachverfolgung, die Einführung eines bundesweit einheitlichen Ampelsystems, das die aktuelle Lage sowohl auf Bundes- als auch auf Kreisebene auf einen Blick erkennen lässt, sowie die Fokussierung auf vulnerable Gruppen. Die KBV, Streeck und Schmidt-Chanasit fordern zudem, die Gebotskultur an die erste Stelle der Risikokommunikation zu setzen. Beim Einsatz der Corona-Warn-App sind sich beide Seiten einig und unterstützen diesen.
Für die Bundesregierung ist laut Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die „Nachverfolgung der Kontakte das wichtigste Instrument“. Eben jenes stehe an vielen Stellen aber nicht mehr zur Verfügung, weshalb bis Ende November ein bundesweiter Teil-Lockdown verhängt wurde. Er beinhaltet unter anderem, dass sich nur noch Angehörige aus zwei Haushalten mit maximal zehn Personen gleichzeitig treffen dürfen. Schulen und Kindergärten bleiben geöffnet, ebenso Geschäfte bei begrenzter Anzahl von Kunden. Restaurants, Kneipen, Kultureinrichtungen und Hotels bleiben geschlossen, ebenso Massagepraxen, Kosmetik- und Tattoostudios; der Amateursport ruht.
Die KBV unterstütze die Ziele der Regierung, die diese mit ihrer aktuellen Strategie eines Teil-Lockdowns verfolgt. „Wir müssen die hohen Infektionszahlen unbedingt und konsequent senken“, sagt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Der Teil-Lockdown werde hoffentlich die angestrebten Effekte bringen. Auch Eigenverantwortung der Bürger sei in der aktuellen Lage wichtig. Ebenso eine Langzeitstrategie, die zu den Hauptforderungen des KBV-Positionspapiers gehört.
Einige Verbände gehen auf Abstand
Kurz nach der Präsentation des KBV-Positionspapiers stellte sich heraus: Einige der genannten Unterstützer distanzierten sich von dem Papier und warfen der KBV vor, nicht gefragt worden zu sein, ob sie auf der Unterstützerliste auftauchen möchten. Dazu gehört zum Beispiel der Präsident des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten (BDA), Prof. Dr. Götz Geldner. Er beklagt, dass der BDA mit seinen rund 20.000 Mitgliedern im Vorfeld keinerlei Kenntnis von diesem Papier hatte. Auch beim Berufsverband Deutscher Humangenetiker e. V. (BVDH) ist man über die Vorgehensweise der KBV verstimmt, weil man ohne Zustimmung als „Erstunterzeichner“ genannt wurde. Beim Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SPiFa), der 32 Mitgliedsverbände mit 160.000 Fachärzten repräsentiert, hat man das kurz nach der Präsentation auf der Verbands-Website veröffentlichte Positionspapier mittlerweile von der Seite genommen und verweist nur noch auf die KBV-Website. Die KBV wiederum hat die Liste der Unterstützer auf ihrer Website überarbeitet, nun taucht zwar der SpiFa auf, die einzelnen Mitgliedsverbände jedoch nicht mehr. Auf der Liste der Unterstützer stehen über zwei Dutzend ärztliche Verbände und Vereinigungen.
Die Leopoldina setzt auf eine Kontakte-Reduktion
Ende Oktober mahnte eine weitere wissenschaftliche Institution zum sofortigen Handeln. Überschrift der gemeinsamen siebenseitigen Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina: „Coronavirus-Pandemie: Es ist ernst“.
Aktuell könne die Ausbreitung des Virus in vielen Regionen von den Gesundheitsämtern aus Kapazitätsgründen nicht mehr adäquat nachverfolgt werden. Um diese Nachverfolgung wieder zu ermöglichen, müssten Kontakte, die potenziell zu einer Infektion führen, systematisch reduziert werden. Je früher und konsequenter alle Kontakte, die ohne die aktuell geltenden Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen stattfinden, eingeschränkt werden, desto kürzer könnten diese Beschränkungen sein.
Wichtig sei, deutlich, schnell und nachhaltig zu reagieren. Es sei notwendig, Kontakte ohne Vorsichtsmaßnahmen auf ein Viertel zu reduzieren und dies in allen Bundesländern sowie in allen Landkreisen und Städten nach bundesweit einheitlichen Regeln durchzuführen.
Je früher die konsequente Reduktion von Kontakten erfolge, desto kürzer könne deren Zeitspanne verlaufen, so die Unterzeichner des Leopoldina-Papiers. Und desto weniger „psychische, soziale und wirtschaftliche Kollateralschäden“ würden verursacht. Ziel sei es, die Fallzahlen so weit zu senken, dass die Gesundheitsämter die Kontaktnachverfolgung wieder vollständig durchführen können. Sobald dies möglich ist, könnten die Beschränkungen vorsichtig gelockert werden, ohne dass unmittelbar eine erneute Pandemiewelle drohe. Das müsse aber bereits jetzt vorbereitet werden.
Nach etwa drei Wochen deutlicher Reduktion von Kontakten ohne Vorsichtsmaßnahmen werde es entscheidend sein, die bekannten Infektionsschutzmaßnahmen (AHA+L+A) bundesweit einheitlich und konsequent durchzusetzen, um die dann erreichte niedrige Fallzahl zu halten. Dabei sollten Risikogruppen durch gezielte Maßnahmen konsequent geschützt, die Kommunikation der Vorsichtsmaßnahmen verbessert und die Hygienekonzepte geschärft und kontrolliert werden.
Stand ist der Redaktionsschluss am 6. November 2020. Aktuelle Informationen finden Sie auf zm-online.de.