Der Zahn des ermordeten Präsidenten
Juliana Lumumba sah ihren Vater zum letzten Mal, als sie fünf Jahre alt war. „Das ist ein Schmerz, der nie verheilt“, sagt sie. Auch, weil es bis heute kein Grab gibt, an dem die Familie trauern könnte. In ihrer Erinnerung ist Lumumba ein „liebender Vater“, den sie als kleines Mädchen gern zur Arbeit begleitete, wo sie auf einem Stuhl saß und ihm zusah.
Kürzlich hat sich der belgische Staat entschieden, den Zahn von Patrice Lumumba an die Familie des Toten zurückzugeben. „Das ist ein großer Sieg“, sagte die Tochter gegenüber der Deutschen Welle, „zu guter Letzt, 60 Jahre nach seinem Tod, kommen die sterblichen Überreste meines Vaters nach Hause, ins Land seiner Ahnen. Er starb für sein Land und dessen Unabhängigkeit und für die Würde der schwarzen Menschen.“
Juliana Lumumba hatte jahrelang um die beiden Körperteile gekämpft – über den Verbleib des Fingers ist nichts bekannt. Aus ihrer Sicht wurden der Finger und der Zahn ihres Vaters von belgischen Behörden als „Trophäen“ missbraucht, wie sie vor einiger Zeit in einem Brief an den belgischen König Philippe schrieb.
Die CIA plante den Einsatz vergifteter Zahnpasta
Das Schicksal von Patrice Lumumba ist bis heute nicht lückenlos aufgeklärt. 75 Jahre stand das Land unter Kolonialherrschaft, der belgische König Leopold II. (1835 – 1909) betrachtete den Kongo als sein Privateigentum. Das Land bedeutete für Belgien großen Reichtum, denn es gab Kautschuk und Elfenbein, die Belgier beuteten den Kongo jahrzehntelang durch Sklaverei und Zwangsarbeit aus. Millionen Menschen starben. Einheimische wurden gefoltert oder umgebracht, wenn sie sich weigerten, den Kolonialherren zu dienen.
Im Jahr 1960 wurde der Kongo nach der belgischen Kolonialherrschaft in die Unabhängigkeit entlassen. Lumumba war der erste frei gewählte Ministerpräsident und der CIA schnell ein Dorn im Auge, nachdem er Unterstützung bei der Sowjetunion gesucht hatte. Belgien und die USA entschieden, dass er verschwinden sollte.
Lumumba wurde von seinem Armeechef Joseph Désiré Mobutu abgesetzt – der danach eine Diktatur installierte – verhaftet und am 17. Januar 1961 unter Beteiligung belgischer Polizisten getötet. Einer von ihnen bewahrte jahrzehntelang den Zahn des Toten auf. Der Rest seiner Leiche wurde in Batteriesäure aufgelöst. Anfangs plante die CIA den Einsatz von vergifteter Zahnpasta, der Plan wurde jedoch angesichts möglicher Schwierigkeiten beim Austausch der Zahnpasta-Tuben wieder verworfen.
40 Jahre nach Lumumbas Tod hat eine Kommission des belgischen Parlaments die Umstände um den Tod des Politikers aufgearbeitet. Historiker gehen inzwischen davon aus, dass Lumumba unter Mithilfe der USA und des belgischen Geheimdienstes ermordet wurde.
Das belgische Königshaus schwieg bis 2020
Jahrzehntelang schwieg das belgische Königshaus zur Bürde seiner Vergangenheit, zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes im Juli 2020 schrieb König Philippe einen Brief an den kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi, in dem er „tiefes Bedauern über die Wunden dieser Vergangenheit“ bekundete.
Vom Postbeamten zum Premierminister
Patrice Émery Lumumba (1925–1961) war von Juni bis September 1960 erster Premierminister des unabhängigen Kongo. Er machte eine Ausbildung zum Postbeamten und engagierte sich in der Beamtengewerkschaft. In seiner Freizeit organisierte er kulturelle Veranstaltungen, arbeitete journalistisch und bildete sich in Fernkursen weiter.
Lumumba war im Jahr 1958 einer der Gründer der Partei „Mouvement National Congolais“,die für die Unabhängigkeit des Kongo eintrat. Er wurde schnell zu deren Wortführer, im Oktober 1959 verhaftet und vorerst wieder freigelassen.
Bei den ersten Parlamentswahlen im Mai 1960 war Lumumbas Partei die stärkste politische Kraft, er wurde der erste Ministerpräsident der jungen Republik. Kurz darauf begann nach innenpolitischen Querelen die „Kongo-Krise“. Lumumba wurde im Dezember 1960 erneut inhaftiert, am 17. Januar 1961 ermordet. Sein Todestag ist heute im Kongo Nationalfeiertag.