„Zahnärzte leisten viel mehr als Mundgesundheit“
zm: Herr Harbers, Herr Wiese, die Ablehnung der Bundesregierung, die Zahnärzte – ebenso wie die Ärzte und andere Heil- und Pflegeberufe – unter den Corona-Schutzschirm zu nehmen, hat die Zahnärzteschaft neben den finanziellen Auswirkungen in ihrem Selbstverständnis schwer getroffen. Bei vielen Zahnärztinnen und Zahnärzten ist der Eindruck entstanden, man werde nicht als systemrelevant wahrgenommen. Gleichzeitig hält sich hartnäckig eine Reihe von Klischees in Politik und Gesellschaft. Wo wollen Sie mit der Kommunikationsoffensive ansetzen?
Wiese:
Zum Kern des Offensive gehören Überraschungsmomente wie die Frage „Hätten Sie‘s gewusst?“, die ab jetzt über verschiedene Wege kommuniziert werden. Denn wir haben bei der Analyse festgestellt, dass viele der Leistungen, die die Zahnärzteschaft erbringt, den Bürgern, also den Patienten, nicht vollumfassend bekannt und bewusst sind. Auch die Politik weiß oft nur oberflächlich, was der Berufsstand eigentlich leistet. Und das, obwohl die Politik noch viel näher an den zahnärztlichen Institutionen dran ist. Durch die Corona-Krise ist klargeworden, dass hier noch mehr aufgeklärt und getan werden muss.
Harbers:
Das Projekt wird mit Faktenwissen ansetzen – kurz, kompakt und gut verständlich formuliert und stets mit einer positiven Herangehensweise. Dabei versuchen wir die substanziellen Inhalte kreativ zu übersetzen, sodass sie auch eine emotionale Komponente bekommen. Diese werden oft besser aufgenommen als nüchterne Fakten. Auf der anderen Seite wollen wir vermeiden, zu lamentieren sowie Vorurteile weiter zu vertiefen, indem sie immer wieder erwähnt werden.
Wiese:
Der Ansatz der Kommunikationsoffensive ist vergleichbar mit dem Bild eines Eisbergs: Man sieht und kennt nur die Spitze. Viele Informationen, Zahlen und Fakten sind unter der Oberfläche verborgen. Dazu kommt, dass die Bürger und die Entscheider nur eine bestimmte Aufmerksamkeitsspanne haben und so überflutet werden mit Informationen, dass die der Zahnärzte und zahnärztlichen Institutionen kaum durchdringen. Hier liegt die Herausforderung.
Mit welcher zentralen Botschaft soll diese Herausforderung angegangen werden?
Harbers:
Zahnärzte leisten mehr als nur Zahn- und Mundgesundheit. Die Bedeutung der Mundgesundheit für die gesamte körperliche Gesundheit und das Immunsystem ist enorm wichtig und steht hier im Vordergrund. Diese Leistungen erbringen Zahnärztinnen und Zahnärzte schon sehr lange, was aber immer noch nicht überall ganzheitlich wahrgenommen wird. Diese Tatsachen sind es dringend wert, dass man sie erzählt. Daher ist das Motto des Projekts #GesundAbMund. Es bildet die Klammer um alle weiteren Themen, die die Zahnärzteschaft bewegen. Wir haben dafür Themen gesucht, die über den Mundraum hinaus im gesundheitlichen Bereich auftauchen und die wir dann inhaltlich zusammengeschnürt haben.
Wiese:
Über die Jahre haben sich Bilder in den Köpfen verfestigt, die den Zahnarztberuf möglicherweise etwas zu eng darstellen. Eine negative Berichterstattung verstärkt das. All das hat dazu geführt, dass ein Tunnel entstanden ist, in dem Bürger, Politik und Medien den Zahnarztberuf nur noch aus einer ganz bestimmten Warte betrachten. Das will die Bundeszahnärztekammer ändern.
Auf welchen Wegen wollen Sie die Öffentlichkeit erreichen?
Harbers:
Die Verbreitung der Botschaften findet vor allem über die digitalen Kanäle statt – über die Website www.gesund-ab-mund.de und die sozialen Medien, hier vor allem über Twitter. Es wird einen Podcast geben, Filme und für die einzelnen Zahnarztpraxen werden Pakete bereitstehen mit Give-aways, wie Masken mit dem sogenannten Key Visual – wirklich nützliche Sachen, die wir für den Wiedererkennungswert und die Sichtbarkeit der Aktion umgestalten.
Klaus Harbers & Heiko Wiese
Klaus Harbers (50) und Heiko Wiese (47) sind zwei der drei Geschäftsführer der Berliner Strategieberatung „No Drama“. Der Name soll Programm sein: „Unaufgeregt, aber leidenschaftlich“ heißt es auf der Website. Dabei können sie auf langjährige Erfahrungen als Strategieberater für Politik, Wirtschaft und Verbände zurückblicken.
Der Sauerländer Wiese und der Ostfriese Harbers setzten dabei – anders als viele Werbe- und Marketingagenturen – auf eine langfristig angelegte Kommunikationsstrategie, um Botschaften nachhaltig zu platzieren. Zu Beginn ihrer Beschäftigung mit den Leistungen der Zahnärztinnen und Zahnärzte waren sie selbst überrascht, wie wenig sie darüber wussten. Sie sind überzeugt, dass diese Unwissenheit auch in großen Teilen der Bevölkerung und der Politik vorhanden ist – und haben sich zum Ziel gesetzt, dies zu ändern.
Wiese:
Das kreisrunde Key Visual in der Farbe Orange hat eine Signalwirkung, die gerade für Social-Media-Kommunikation gut ist. Der Kreis selbst ist unsere Bühne, in die wir die Botschaften setzen, wie zum Beispiel „Wir haben schon Masken getragen bevor es populär war“. Klar und zentriert! Zudem unterstreicht das Lächeln für #GesundAbMund die positive Kommunikation.
Wer sollen die Zielgruppen dieser Botschaften sein?
Harbers:
Zum einen die Patienten mit ihrem fehlenden Wissen über den gesamtgesundheitlichen Einfluss des Zahnarztes. Zum anderen aber eben auch die Politiker. Natürlich sind auch die Zahnärzte und ihre Mitarbeiter eine weitere Zielgruppe. Sie können aktiv mitmachen und die Aktion in ihrer Praxis unterstützen. Es wird auf der Website eine Rubrik „Aus der Praxis“ geben, wo sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit anderen teilen können. Zahnärzte sind ja selbst die besten Influencer. Und nicht zuletzt sind die Medien eine wichtige Zielgruppe, da diese immer wieder ein recht festgefahrenes Bild der Zahnärzteschaft zeichnen und weitergeben.
Wie sieht der Start konkret aus?
Wiese:
Den Auftakt macht das Thema Hygiene, denn das ist derzeit in allen Köpfen. Und gerade hier fällt natürlich auf, mit welch hohen Standards die Zahnärzteschaft arbeitet und wie viel sie dort investiert – und das schon vor der Corona-Pandemie. Strategisch beginnt jetzt ein softer Start der Offensive über die digitalen Kanäle. Im weiteren Verlauf kommunizierten wir anlassbezogen, zum Beispiel an Gesundheits- oder auf Parteitagen.
Wie kann denn ein grundlegender Perspektivwechsel gelingen?
Wiese:
Wir haben für die BZÄK ein sogenanntes Kommunikationshaus entworfen. Dieses wird auf verschiedenen Wegen mit Fakten und Botschaften in positiver Sprache gefüllt und ausgebaut. Die Kommunikationsoffensive stützt sich auf die Stärken und wird grundsätzlich vermeiden, defizitorientiert zu sein und zu lamentieren. Wir sind überzeugt, dass das ständige Wiederholen und Aufzählen von Vorurteilen nicht dazu beiträgt, diese verblassen zu lassen. Wichtig ist auch, dem entgegenzutreten, was sich nicht setzen darf: Nur weil die Politik die Zahnärzte nicht als systemrelevant definiert hat, dürfen Patienten den Termin dort nicht aufschieben, weil sie glauben, das sei gerade nicht der wichtigste Arztbesuch. Folgeschäden können sich entwickeln. Dazu muss noch einmal ganz klar kommuniziert werden: Mundgesundheit ist auch systemrelevant für den ganzen Körper. Das muss man offensiv angehen.
Fokus auf positive Botschaften
Nach dem Vorstandsbeschluss der BZÄK am 25. August ist die für zunächst zwei Jahre angelegte Kommunikationsoffensive #GesundAbMund Ende September über die wichtigsten digitalen Kanäle gestartet. Ziel ist die Schaffung von Aufmerksamkeit und Akzeptanz für die Leistungen der Zahnärzteschaft für die Gesamtgesundheit, bei der Bevölkerung und politischen Entscheidern. Gelingen soll das über die anlassbezogene und langfristig angesetzte Vermittlung von Faktenwissen in emotionalen, positiv besetzten Botschaften und das Miteinbeziehen der Praxen selbst. An Gesundheitstagen und auf Parteitagen soll das Projekt mit Überraschungsmomenten für Aufmerksamkeit sorgen. Zahnärztinnen und Zahnärzte sind eingeladen, daran mitzuwirken und können über die Landeszahnärztekammern Content-Pakete und Give-aways erhalten. Sie wissen am besten, was ihren Berufsstand gerade bewegt und können ihre Erfahrungen unter der Website-Rubrik „Aus der Praxis“ teilen.
Die Eckpunkte der Kommunikationsoffensive:
Kommunikation über die Websitewww.gesund-ab-mund.de und die Social-Media-Kanäle der BZÄK
Anlassbezogene Aktionen
Nützliche Give-aways wie Masken und Desinfektionsmittel mit Branding der Aktion in den Praxen
Podcast, Filme, Erfahrungsrubrik „Aus der Praxis“
Harbers:
Interessant ist auch noch diese Diskrepanz: Wenn man die Menschen nach ihrem Zahnarzt fragt, berichtet kaum einer etwas Schlechtes. Die meisten sind hochzufrieden. Und gleichzeitig gibt es dieses kritische Bild von der Zahnärzteschaft als Gruppe – auch in der Politik. Ziel der BZÄK ist es, diese Diskrepanz zu verkleinern oder ganz verschwinden zu lassen, sodass der persönliche Eindruck des Zahnarztes sich mit dem der gesamten Zahnärzteschaft deckt.
Die Kommunikationsoffensive ist über einen längeren Zeitraum bis mindestens 2022 angelegt. Wie sieht die Langstrecken-Strategie aus?
Wiese:
Man schafft es nicht von heute auf morgen, kommunikativ in dieser Welt etwas zu verändern. Man braucht schon einen langen Atem, um ein wirklich neues Bild von diesem Berufsstand zu erzeugen und zu etablieren. Wir gehen daher sehr effizient mit den Mitteln um und verschießen nicht das ganze Pulver am Anfang mit einem großen Knall, der dann schnell verpufft. Denn das ist hier nicht zielführend. Daher der erwähnte Softstart. Im Anschluss kommunizieren wir dann laufend und anlassbezogen an relevanten Tagen und erzeugen ein permanentes Grundrauschen. Das kommende Wahljahr ist natürlich erstmal die entscheidende Etappe.
Das Gespräch führte Laura Langer.