MKG-Chirurgie

Pseudoankylose des UK bei beidseits verlängertem Proc. coronoideus

Nils Heim
,
Valentin Wiedemeyer
,
Andreas Schön
,
Franz-Josef Kramer
In etwa fünf Prozent der Fälle liegt der Grund für eine Hypomobilität des Unterkiefers in einer pathologischen Verlängerung des Processus coronoideus. Klinisch imponieren die Patienten mit eingeschränkter Mundöffnung, verursacht durch eine knöcherne Blockade in der Anteriorbewegung des Proc. coronoideus durch Anschlag an das Jochbein oder an den Jochbogen.

In unserer Spezialsprechstunde für Kiefergelenkchirurgie am Universitätsklinikum Bonn stellte sich ein 16 Jahre alter, gesunder Patient vor. Er klagte über eine progrediente Mundöffnungseinschränkung. Diese habe er erstmals etwa drei Jahre zuvor bemerkt. Seitdem habe die Mundöffnung stetig abgenommen. Schmerzen habe er in dieser Zeit nie verspürt, allerdings falle ihm die Aufnahme von Speisen zunehmend schwer.

Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich ein deutlich hypertrophierter M. temporalis beidseits. Die Schneidekantendistanz (SKD) zwischen Zahn 11 und 41 betrug zum Untersuchungszeitpunkt 18 mm (Abbildung 1). Bei schneller Mundöffnung ließ sich bereits ohne Stethoskop ein dumpfes Anprallgeräusch im Bereich des hinteren Jochbeinanteils auslösen.

Der Patient erhielt daraufhin als konventionelle Röntgendiagnostik ein Orthopantomogramm (OPG). Hier bestätigte sich die Verdachtsdiagnose einer ausgeprägten, beidseitigen Elongation des Proc. coronoideus (Abbildung 2). Nebenbefundlich zeigten sich die vier Weisheitszähne retiniert.

Wir empfahlen dem Patienten die Resektion des Proc. coronoideus beidseits und führten den Eingriff in der Folge von intraoral durch – nach eingehender Aufklärung des Patienten und seiner Eltern. Die Resektate maßen beidseits eine Länge von deutlich über 3 cm (Abbildungen 3 und 4).

Präoperativ führten wir zur exakten Eingriffsplanung eine Computertomografie durch. Hier zeigte sich erneut die ausgeprägte Verlängerung der Fortsätze (Abbildung 5). Intraoperativ konnte beim Patienten nach beidseitiger Resektion bereits eine SKD von 44 mm erreicht werden (Abbildung 6). Die Weisheitszahnentfernung erfolgte nun problemlos. Das postoperativ angefertigte OPG zeigt die Resektionsflächen beidseits (Abbildung 7).

Der Patient befindet sich aktuell in ambulanter Weiterbehandlung und aktiver Beübung seiner Mundöffnung.

Diskussion

Eine eingeschränkte Mundöffnung kann als Symptom auf eine Vielzahl von Erkrankungen zurückgeführt werden. Vor allem die schmerzhafte muskuläre Hyperaktivität und die anteriore Diskusverlagerung ohne Reposition, allerdings auch seltenere Entitäten wie die Kiefergelenkarthrose oder -ankylose können ursächlich sein. Einige dieser Pathologien sprechen sehr gut auf konservative Therapieoptionen an. Nach Ausschluss dieser Ursachen sollten auch seltenere Erkrankungen in den Fokus rücken [Kim et al., 2012]. In der Vergangenheit zeigten größer angelegte Studien, dass ein verlängerter Proc. coronoideus in etwa 5 Prozent der Fälle ursächlich für eine persistente Mundöffnungseinschränkung ist [Isberg et al., 1987]. Die Verlängerung kann ein- oder beidseitig auftreten. Die beidseitige Elongation tritt etwa viermal häufiger auf [Mulder et al., 2012].

Die Ursache für die pathologische Veränderung ist weiterhin nicht geklärt. Die meiste Unterstützung erfährt die Hypothese, dass die Verlängerung sekundär, bei deutlich erhöhtem Muskelzug des M. temporalis an der knöchernen Oberfläche des Proc. coronoideus, entsteht. So führte umgekehrt die Resektion des Processus im Tiermodell zu deutlicher Athrophie des Fortsatzes im Verlauf [Galie et al., 2010].

Bei der Planung der Operation ist eine suffiziente Bildgebung unerlässlich. Das OPG sowie das dynamische OPG können bereits wichtige Informationen zu Länge und Form des Processus geben. Allerdings empfehlen wir zur genauen Darstellung von Länge, Breite, Struktur und Lage der anatomischen Nachbarstrukturen eine dreidimensionale Darstellung mittels CT oder DVT [Robiony et al., 2012]. Die dreidimensionale radiologische Diagnostik wird in der Regel vom MKG-Chirurgen bei entsprechendem Symptomkomplex (1. Mundöffnungseinschränkung, 2. keine Hinweise für eine Kiefergelenkspathologie, 3. Schmerzsensationen im Bereich des Jochbeins bei forcierter Mundöffnung, 4. keine Besserungstendenz nach initiierter konservativer Therapie) in die Wege geleitet [Kim et al., 2012].

Auch wenn der verlängerte Proc. coronoideus und die damit vergesellschaftete Mundöffnungseinschränkung von den Patienten nicht als schmerzhaft beklagt wird, so erwachsen aus der Symptomatik eine Reihe von Folgeproblemen. Diese können von einer veränderten beziehungsweise erschwerten Sprache über Nahrungsaufnahmeschwierigkeiten bis hin zu einer insuffizienten Mundhygiene und einer deutlich erschwerten Behandlung in Notfallsituationen reichen, beispielsweise im Fall einer Notfallintubation [Costa et al., 2012].

Die chirurgische Resektion des Proc. coronoideus ist in der Regel alternativlos, da es sich um ein mechanisches Problem handelt. Dabei ist der intraorale Zugang der Goldstandard und wird in über 90 Prozent favorisiert. Vorteile sind das Ausbleiben von Narben im Gesicht, die Schonung des Nervus facialis und eine gute Einsehbarkeit auf den zu resezierenden Prozess [Bayar et al., 2012]. Die Operation erfolgt in nasaler Intubationsnarkose. Die Schnittführung reicht von der Mitte des aufsteigenden Astes bis circa 5 mm unterhalb der Grenze der attached gingiva in regio 37 beziehungsweise 47. Nach Präparation des Proc. coronoideus und Ertastung der Inzisura semilunaris wird zunächst ein Loch im kaudalen Anteil des zu resezierenden Processus gebohrt. Dort hindurchgeführt wird ein Draht , der zur Sicherung des Fragments nach der Osteotomie dient. Da der Processus zunächst kaudal knöchern abgetrennt wird, besteht die Gefahr, dass der M. temporalis das Resektat nach kranial in die Fossa infratemporalis luxiert (Abbildung 8) [Surianti et al., 2015].

Die postoperative Therapie der Patienten ist extrem wichtig. Aktive Mundöffnungsübungen sind unerlässlich für eine schnelle und suffiziente Rehabilitation. Wenige Tage nach der Operation sollten die Patienten in den Übungen angeleitet werden und diese mindestens für einen Monat in steigender Intensität fortführen.

Fazit für die Praxis

  • Bei progredienter Mundöffnungseinschränkung und Ausschluss von häufigen Ursachen einer Immobilität sowie ausbleibender Besserung nach konservativer Therapie sollte die Diagnose eines verlängerten Processus coronoideus in den Fokus rücken.

  • Der klinische Symptomkomplex und die radiologische Kontrolle mit einem OPG erlauben in der Regel den dringenden Verdacht auf eine Elongation des Processus coronoideus.

  • Eine 3-D-Bildgebung dient zur Planung der Operation. Die chirurgische Resektion des Fortsatzes ist in der Regel alternativlos und kann von intraoral erfolgen.

Literaturverzeichnis:

1) Costa YM, Porporatti AL, Stuginski-Barbosa J, Cassano DS, Bonjardim LR, Conti PC. Coronoid process hyperplasia: an unusual cause of mandibular hypomobility. Braz Dent J 2012;23:252-255.

2) Bayar GR, Akcam T, Gulses A, Sencimen M, Gunhan O. An excessive coronoid hyperplasia with suspected traumatic etiology resulting in mandibular hypomobility. Cranio 2012;30:144-149.

3) Mulder CH, Kalaykova SI, Gortzak RAT. Coronoid process hyperplasia: a systemic review of the literature from 1995. Int J Oral Maxillofac Surg 2012;41:1483-1489.

4) Kim S-M, Lee J-H, Kim H-J, Huh J-K. Mouth opening limitation caused by coronoid hyperplasia: a report of four cases. J Korean Assoc Oral Maxillofac Surg 2014;40:301-307.

5) Isberg A, Isacsson G, Nah KS. Mandibular coronoid process locking: a prospective study of frequency and association with internal derangement of the temporomandibular joint. Oral Surg Oral Med Oral Pathol 1987;63:275-279.

6) Galie M, Consorti G, Thieghi R, Denes SA, Fainardi E, Schmid JL, Neuschl M, Clauser L. Early surgical treatmen in unilateral coronoid hyperplasia and facial asymmetry. J Craniofac Surg 2010;21:129-133.

7) Robiony M, Casadei M, Costa F. Minimally invasive surgery for coronoid hyperplasia. J Craniofac Surg 2012;23:1838-1840.

8) Surianti H, Chen MY. Coronoid process hyperplasia – report of 3 cases. Taiwan J Oral Maxillofac Surg 2015;26:310-320.

Dr. Nils Heim

Abteilung für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
des Universitätsklinikums Bonn
Direktor: Prof. Dr. Dr. F.-J. Kramer
Sigmund-Freud-Str. 25
53127 Bonn

Dr. Dr. Valentin Wiedemeyer

Abteilung für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
des Universitätsklinikums Bonn
Sigmund-Freud-Str. 25
53127 Bonn

Dr. Andreas Schön

Abteilung für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
des Universitätsklinikums Bonn
Sigmund-Freud-Str. 25
53127 Bonn

Dr. Franz-Josef Kramer

Abteilung für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
des Universitätsklinikums Bonn
Sigmund-Freud-Str. 25
53127 Bonn

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