Die Greta der Apotheker
Es ist eine Branche mit vielen Problemen, wenngleich viele Menschen sie als sorgenfrei einschätzen und „Apothekerpreise“ ein geflügeltes Wort ist. Doch in den vergangenen Jahren haben sich die Rahmenbedingungen maßgeblich verändert. Wer eine Apotheke betreibt, ist längst nicht mehr automatisch ein gemachter Mann. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD darauf verständigt, sich für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten einzusetzen. Die Apotheker atmeten auf. Viele fühlen sich seit Langem von der Konkurrenz aus dem Internet bedroht, bei deren Kampfpreisen sie nicht mithalten können oder möchten. 2019 rutschte die Zahl der Apotheken bundesweit unter die magische Grenze von 20.000: Ende 2019 gab es laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) 19.075 Apotheken, das sind 348 weniger als Ende 2018 und entspricht einem Rückgang von 1,8 Prozent. So schnell ist die Apothekenzahl in Deutschland noch nie innerhalb eines Jahres gesunken. In Kombination mit dem vieldiskutierten Rx-Versandverbot sahen viele Pharmazeuten ihre Felle davonschwimmen.
420.000 Stimmen kann Spahn nicht ignorieren
Ein 20-jähriger Pharmaziestudent erkannte die Brisanz des Themas und was es womöglich für seine Zukunft bedeuten könnte: nämlich nichts Gutes. Benedikt Bühler kommt aus einer Karlsruher Apothekerfamilie und studiert derzeit in Budapest an der Semmelweis-Universität Pharmazie. Seine Befürchtungen: Kann man sich auf die Politik verlassen? Wird es die Apotheke seiner Mutter, die er eines Tages übernehmen wird, in 10 oder 20 Jahren überhaupt noch geben?
Bühler mobilisierte in einer beispiellosen Aktion Kollegen und Unterstützer und organisierte die erfolgreichste Bundestagspetition, die das Land bisher gesehen hat: 420.000 Stimmen für das Rx-Versandverbot kann kein Minister übersehen. Kürzlich stellte er im Bundestag im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Petitionsausschuss die Details seines Anliegens vor. Der anwesende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hörte sich alles an – und erklärte, dass es in der Bundesregierung europa- und verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Verbot des Versandhandels von Medikamenten gebe.
Dem Argument Bühlers, dass die Apotheken vor Ort durch den Versandhandel gefährdet seien, hielt Spahn entgegen, dass es besser sei, das „mildere Mittel“ zu wählen. Aus seiner Sicht ist das die geplante sogenannte „Gleichpreisigkeit“. Die besagt, dass Online-Apotheken aus dem Ausland bei verschreibungspflichtigen Medikamenten für gesetzlich Versicherte keine Rabatte mehr anbieten dürfen. Das „Apotheken-Stärkungsgesetz“ wurde im vergangenen Juli vom Kabinett beschlossen und liegt derzeit auf Eis, weil die Bundesregierung noch auf eine Stellungnahme der EU-Kommission wartet.
Für Bühler geht der Kampf nun weiter. Er sagt: „Ich bin nach wie vor überzeugt, dass weder ein Rx-Boni-Verbot noch ein Rx-Boni-Deckel einem Rx-Versandverbot gleichkommt. Ich setze nun ganz auf die Union, dass der Koalitionsvertrag und die Forderung der Länder umgesetzt werden.“ Sein Erfolg ist sein Antrieb: „Es freut mich sehr, dass mein Engagement in der Apothekerschaft so geschätzt wird. Ich hätte nie gedacht, dass das Ganze mal so groß wird. Das lag aber nur daran, dass so viel Unterstützung aus der Apothekerschaft und vor allem von den Patienten kam.“
Alte Hasen waren voll des Lobes
Der Student engagiert sich seit seiner Jugend politisch in der CDU, seine erste Tat war im vergangenen Jahr ein Brief an die damals neu gewählte CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Bühlers Kritik damals: „Ich kann meine Partei nicht verstehen. Frau Kramp-Karrenbauer hat damit geworben, dass die CDU eine glaubwürdige Partei sein soll, dass sie eine starke Führungspersönlichkeit ist und sich auch durchsetzen kann. Wir haben das Rx-Versandverbod gefordert, wir wollten es umsetzen und jetzt macht ein Gesundheitsminister, was er will.“ Mit seinem Brief rockte der Student binnen weniger Stunden das (pharmazeutische) Internet, die Kollegen, junge und alte Hasen, waren voll des Lobes. Die Komplimente reichten von „Solche Leute brauchen wir zukünftig an der Spitze der ABDA!“ bis „Eier in der Hose – so ist es richtig!“. Der politische Kampf geht weiter, aber erstmal muss der 20-Jährige Prioritäten setzen: „Jetzt beginnt für mich das vierte Semester und ich sollte mich wieder auf das Studium konzentrieren, das im letzten Jahr etwa zu kurz kam.“
PR in gemeinsamer Sache
Eine weitere Nachricht erschüttert derzeit die Apothekerschaft: Vor Kurzem verkündete DocMorris-Vorstand Max Müller, dass er seinen Job zum 30. April 2020 aufgibt. Immer wieder werden dem Präsidenten des Verbands der europäischen Versandapotheken (EAMSP) seine Kontakte in die Politik vorgeworfen. Der 44-jährige Jurist startete seine Karriere als Referent eines CDU-Bundestagsabgeordneten und lernte früh Jens Spahn, damals Unionsabgeordneter, kennen. Müller und Spahn gründeten eine PR-Agentur, deren Geschäftsmodell es war, Unternehmen aus der Gesundheitsbranche Kontakte in die Politik zu vermitteln. Der erste Kunde damals: DocMorris. Müller geht zum Pharmakonzern Bayer.