Die Lage eskaliert
Das Camp Moria auf Lesbos ist das größte Flüchtlingslager Europas und längst zu einem der prekärsten Schauplätze der sogenannten Flüchtlingskrise geworden. 2015 als Provisorium aufgebaut, um die täglich ankommenden Bootsflüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen und zu registrieren, ist es für viele Ankömmling zu einem Gefängnis geworden. Die konservative Regierung Griechenlands erschwert die Asylverfahren und die Uneinigkeit der EU bedeutet derzeit mehr Stillstand als Prozess.
Das Lager droht zu bersten
Konzipiert für 3.000 Menschen, befinden sich hier inzwischen über 20.000 Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien, dem Iran und einigen afrikanischen Ländern, darunter 8.000 Kinder. Zur Einordnung: Diese Zahl macht ein Drittel der gesamten Inselbevölkerung aus. Durch die Dauer der Asylverfahren von etwa anderthalb Jahren verlassen nur wenige Menschen das Lager. Stattdessen kommen jeden Tag rund 150 neue hinzu und bringen die Einrichtung an die Grenze ihrer Kapazität, die eigentlich längst ausgereizt ist. Die medizinische Versorgung ist es ebenso.
Die Menschen leben auf engstem Raum in einfachsten, unbeheizten Zelten. Auf eine Dusche kommen 120 Personen, es fließt nur kaltes Wasser. Im Winter ist es besonders hart. Viele werden nicht zuletzt aufgrund der Umstände krank. Die hygienische Situation ist katastrophal. Seit Monaten wird versucht, die Kanalisation instand zu setzen, was nicht gelingt. So riecht man auf der Fahrt nach Moria das Lager schon, bevor man es sieht. Ein graugrüner Abwasserstrom schlängelt sich am Lager entlang und wird in ein nebenliegendes Bachbett geführt. Die Müllberge sind so hoch wie die angrenzenden Bäume.
In immer engeren Abständen eskaliert die Lage. Die Menschen protestieren gegen die unwürdigen Bedingungen. Sie fühlen sich längst vergessen. Dann kommt es zu gefährlichen Situationen – schwerer Körperverletzung, Selbstverstümmelung aus Verzweiflung und jüngst sogar drei tödlichen Messerstechereien.
Die medizinische Versorgung wird von verschiedenen Hilfsorganisationen durchgeführt, zum Beispiel den Ärzten ohne Grenzen, die ihr Hospital – aus Protest gegen die unzumutbaren Bedingungen – vor dem Lager aufgeschlagen haben. Dort werden vor allem Frauen und Kinder behandelt. Im Lager gibt es ein weiteres Ambulatorium zur medizinischen Grundversorgung. Das örtliche Hospital ist an sich schon überlastet und behandelt Flüchtlinge nur in lebensbedrohlichen Notfällen.
Helfer aus aller Welt trotzen dem Elend
Die Health Point Foundation betreibt in Moria eine kleine Zahnstation, die sich sich in einem abgetrennten, streng gesicherten Bereich des Lagers befindet, auch eine Schule liegt hier. Die Geflüchteten haben nur zur Behandlung Zutritt. Von Montag bis Freitag sind wechselnde ZahnärztInnen und ihre AssistentInnen im Einsatz. In aller Regel werden 25 bis 30 Patienten am Tag behandelt, vor allem konservierend-chirurgisch.
Diese Zahnstation ist in ihrer Form einzigartig. In keinem anderen Flüchtlingslager auf den ägäischen Inseln erhalten die geflüchteten Menschen eine solche zahnärztliche Hilfe. Behandelt wird auf zwei mobilen Stühlen mit mobilen zahnärztlichen Einheiten. Der Unterhalt der Zahnstation wird nur durch Spenden finanziert. Neben ZahnärztInnen arbeiten in der Station Flüchtlinge aus dem Lager, die als Übersetzer und Assistenzpersonal angelernt wurden. Durch diese Tätigkeit entfliehen sie nicht nur der Lethargie des Lageralltags, sondern erhalten auch Kreditpunkte, die sich positiv auf ihre Aufenthaltsanträge auswirken.
Neben der zahnärztlichen Versorgung wird die Aufklärung über Zahnhygiene sehr groß geschrieben. Dazu besuchen die MitarbeiterInnen der HPF die verschiedenen Schulen und Kindergärten des Lagers. Dabei werden nicht nur die Jüngsten, sondern auch die Eltern über die Wichtigkeit der Prävention unterrichtet.
Auch ein Großteil der Aktivitäten im Lager – Malschule für Kinder, Gitarrenunterricht, Werkstätten für Elektronik, Holz und Metall und die Pflege von Gemüsegärten – wäre ohne den (zusätzlichen) Einsatz von Freiwilligen aus der ganzen Welt unmöglich.
Jede Hilfe wird benötigt
Die Health Point Foundation ist fortlaufend auf freiwillige Helfer und Spenden angewiesen und sucht dringend Unterstützer. Nicht nur Material und Unterhalt der Klinik müssen finanziert werden, auch die Übersetzer und Assistenten, die einen geringen Lohn erhalten und so ihre Unkosten decken können. Wer helfen oder mehr Informationen im persönlichen Gespräch erhalten möchte, kann sich gerne mit dem Autor in Verbindung setzen.
Dr. Alexander Schafigh, Bornheim,germany@healthpointfoundation.orghttps://www.healthpointfoundation.org - external-link-new-window
Dr. Alexander Schafigh
Senior Clinical Advisor Health-Point Foundation