Winterfortbildungskongress der Zahnärztekammer Niedersachsen

Parodontitistherapie – ein Spiel auf Zeit

Kerstin Albrecht
Rund 950 Teilnehmer verfolgten die Vorträge zur modernen Parodontologie und Implantologie beim 67. Winterfortbildungskongress der Zahnärztekammer Niedersachsen (ZKN) in Hannover. ZKN-Präsident Henner Bunke freute sich über die „erneute Rekord-Teilnahme“ – auch des Fachpersonals, denn 400 ZFA hatten sich angemeldet.

Wie versorge ich ein parodontal vorgeschädigtes Gebiss mit Implantaten und Zahnersatz? Wie bringe ich meinen Patienten dazu, selbst Verantwortung für seine chronische Parodontitiserkrankung zu übernehmen? Und wie begleite ich ihn dabei über Jahre oder sogar Jahrzehnte? Der Winterfortbildungskongress der ZKN unter Federführung des Tagungspräsidenten Prof. Dr. Thomas Attin, Zürich war thematisch mit „Moderne Parodontologie und Implantologie – Aktuelle Konzepte zum langlebigen Erhalt von Zähnen und Implantaten“ überschrieben. Dabei sollte nicht nur der aktuelle wissenschaftliche Stand referiert, sondern auch praktische Tipps vermittelt und Schnittstellen zu anderen Disziplinen erörtert werden.

Prof. Dr. Christof Dörfer aus Kiel wies auf die Bedeutung der Früherkennung parodontaler Probleme hin. Denn bis die Parodontitis für den Patienten sichtbar wird, sei die Erkrankung meist so weit fortgeschritten, dass eine Therapie nicht mehr ganz so einfach Erfolg bringe. „Während zu Beginn der Erkrankung der Therapieerfolg relativ sicher ist, ist die Therapie eines fortgeschrittenen Stadiums zwar auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich, häufig erreicht man aber keine vollständige Stabilität, sondern eine Verlangsamung des Prozesses“, führte Dörfer aus. „Wir müssen uns klarmachen, dass auch eine Verlangsamung eine erfolgreiche Therapie ist und kein Therapieversagen!“

Die Parodontologie zwinge die Behandler, das biologische System wahrzunehmen und damit umzugehen. Bei dem einen schreite der Krankheitsprozess der Parodontitis trotz Behandlung eher schneller voran, bei einem anderen sei die Verlangsamung ausgeprägter. Dies könnten Behandler aber nicht vorhersehen, betonte Dörfer. So sei es angebracht, während der Unterstützenden Parodontaltherapie (UTP) „zu beobachten und zu reagieren“ und die nächste Ebene der Therapie hinauszuzögern: Das „Spiel auf Zeit“ unter einer regelmäßigen mechanischen Biofilmkontrolle sei hier ausdrücklich erlaubt.

Implantate als Pfeiler haben ein größeres Risiko

Prof. Dr. Guido Heydecke aus Hamburg erläuterte in seinem Vortrag „Brücken brauchen Pfeiler“ die prothetische Versorgung bei parodontalen Erkrankungen. Die natürlichen Pfeiler unterlägen drei prognostischen Faktoren zur Beurteilung der Pfeilerqualität für den Einzelzahn: den parodontalen Vorschädigungen (Attachmentverlust, Furkationsbefall), dem endodontischen Zustand (Vitalität, Qualität vorhandener Wurzelfüllungen, apikale Entzündungen) und zahnimmanenten Faktoren, wie der verbleibenden Retentionshöhe eines Stumpfs, dem Kronen-Wurzel-Verhältnis oder ob die Zahnstellung prothetisch günstig oder eher ungünstig ist. Je nach Beurteilung könnten Zahnärzte die Pfeiler als sichere, zweifelhafte oder hoffnungslose Kandidaten für die prothetische Versorgung bewerten. Letztere müssten im Zuge einer Vorbehandlung vor der prothetischen Rekonstruktion entfernt werden. In seinem vertiefenden Seminar entwickelte Heydecke mit den Teilnehmern daraus ein Ampelschema (sicher: grün; zweifelhaft: gelb; hoffnungslos: rot). Sehr gut zu erfassen war die Kennzeichnung der Zähne auf einer Röntgenaufnahme mit grünen, gelben und roten Punkten.

Zu bedenken sei aber, dass Implantate als Pfeiler bei einer Parodontitis eine schlechtere Prognose als bei parodontal gesunden Verhältnissen haben. Parodontitispatienten weisen auch ein höheres Risiko periimplantärer Knochenverluste und für eine Periimplantitis auf.

Zu herausnehmbarem Zahnersatz auf natürlicher Restbezahnung und Implantaten (Stichwort: Pfeilervermehrung) gibt es nach Heydecke meist nur Studien mit einem rund dreijährigen mittleren Beobachtungszeitraum [Krennmair et al., 2007; Kaufmann et al., 2009]. Eine Aussage, ob Behandler mit einer solchen Therapie weitere Zahnverluste langfristig vermeiden können, sei schwer zu treffen.

Manchmal ist kleben besser als implantieren

Prof. Dr. Stefan Wolfart aus Aachen stellte patientenorientierte Therapiekonzepte in der Implantatprothetik vor. Bei jungen Patienten, die ein Implantat nach Zahntrauma oder bei Nichtanlage eines Zahnes benötigen, empfahl er, die Implantation möglichst hinauszuzögern. Denn sehr häufig würden Implantate einfach unter Vorwegnahme des zu erwartenden Kieferwachstums gesetzt – mit der Folge von Infraokklusionen oder dem Verlust von Approximalkontakten. Denn der Kiefer wachse möglicherweise weiter und das Implantat wachse bekanntlich nicht mit.

Er verwies in solchen Fällen auf die Verwendung von Adhäsivbrücken, zum Beispiel aus Aluminiumoxidkeramik, die ihre Langlebigkeit inzwischen unter Beweis gestellt hätten: In einer Studie wurde eine Überlebensrate von 94,4 Prozent nach 15 Jahren festgestellt [Kern, 2016]. Dabei sei darauf zu achten, die Klebebrücken einflügelig zu gestalten, weil diese länger überleben als die zweiflügeligen aus Metallkeramik. Eine Ausnahme könne beim Schließen größerer Lücken wie dem Ersatz von 11 und 21 gemacht werden. In diesem Fall rät er, doch besser die relativ kleinen Klebeflächen beider Zweier einzubeziehen. Natürlich seien diese Entscheidungen immer mit dem Patienten zusammen zu treffen, so dass er – aufgeklärt über die Behandlungsalternativen – seine „informierte Einwilligung“ zur Therapie geben könne.

Bei teleskopierenden Versorgungen auf Zähnen und Implantaten hätten sowohl Implantate als auch die eigenen Restzähne nach Fobbe et al. eine gute Prognose [Fobbe et al., 2019], erläuterte Wolfart.

Rezessionsdeckung: Nur mit scharfen Nadeln

Prof. Dr. Stefan Fickl aus Würzburg informierte die TeilnehmerInnen über den aktuellen Stand in der Rezessionsdeckung. Unabhängig von der jeweiligen Technik sei es immer wichtig, dünne, scharfe Nadeln zu verwenden, um feine Nähte herzustellen. Ein zur Rezessionsdeckung mobilisierter Lappen müsse immer dick genug sein – mindestens einen Millimeter – denn nur dann sei er ausreichend durchblutet. Bei sehr dünner, marginaler Mukosa (unter einem Millimeter) verbessere ein Bindegewebstransplantat in Kombination mit Schmelzmatrixproteinen die Prognose einer Rezessionsdeckung, erläuterte Fickl anhand von Studien von Cairo et al. [2014/2016]. Der Lappen selbst solle immer nur passiv auf der Wunde aufliegen und mit Nähten lediglich stabilisiert werden. Zieht der Behandler ihn unter Spannung mit einer Naht über die Rezession, bestehe eher die Gefahr einer Nekrose.

Die Region um ein Implantat sei immer voroperiertes Gewebe und möglicherweise schon im Vorfeld narbig. Meist sei es nur möglich, ein bis zwei Millimeter mit einem koronalen Verschiebelappen und einem Bindegewebstransplantat zu gewinnen, um freiliegende Kronenränder an Implantaten abzudecken. Eine konkrete Erfolgsprognose sei kaum zu treffen.

Verwenden Zahnärzte Fremdmaterial wie zum Beispiel porcine Dermis, müsse das Transplantat immer komplett mit dem gebildeten Lappen abgedeckt sein. Anders als menschliches Bindegewebe, das schrumpfe, expandiere das porcine Material und müsse daher extrem spannungsfrei und vollständig abgedeckt werden.

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Dr. Kerstin Albrecht

Medizin-/Dentaljournalistin

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