Odontogenes Myxom im anterioren Unterkiefer
Die Patientin war zum Zeitpunkt ihrer Erstvorstellung schmerzfrei. Die Zähne 41 und 42 stellten sich vital dar und reagierten unauffällig auf Perkussion und Palpation. Klinisch imponierte eine interdentale Schwellung. Überdies bestand zwischen 41 und 42 eine Lücke, die anamnestisch früher nicht vorgelegen habe. Auf dem bereits alio loco angefertigten Zahnfilm (Abbildung 1) waren interdental befindliche, multilokuläre, unscharf begrenzte Transluzenzen zu erkennen. Aufgrund des verdrängenden Wachstums fiel die gemeinsame Entscheidung für eine Resektion der Raumforderung mit Erhalt der benachbarten Zähne. Auf eine dreidimensionale Bildgebung wurde aufgrund des eindeutigen klinischen Bildes und der relativ kleinen radiologischen Transluzenz verzichtet.
Der Eingriff erfolgte unter Lokalanästhesie. Nach marginaler Schnittführung und Bildung eines Mukoperiostlappens wurde die Raumforde-rung, die nach vestibulär erhaben und partiell von Knochen bedeckt war (Abbildung 2), interdental ersichtlich.
Nach der kompletten Darstellung erfolgte die Resektion in toto (Abbildung 3).
Anschließend wurden der umliegende Knochen und die freiliegenden Wurzelflächen der Zähne 41 und 42 kürettiert (Abbildung 4) und die entstandene Knochenkavität wurde mittels autologem Thrombozytenkonzentrat (Platelet Rich Fribrin – PRF) aufgefüllt.
Danach erfolgte die Adaptation der Wundränder mit Papillennähten (Abbildung 5).
Die pathologische Untersuchung ergab ein ausgeprägtes myxoid-kollagenfaserreiches Stroma in einem mesenchymalen Proliferat. Daher konnte die Diagnose eines odontogenen Myxoms getroffen werden. Die postoperative Medikation bestand aus einem nichtsteroidalen Antiphlogistikum (Ibuprofen 600 mg; alle 6 h für den ersten Tag). Am Folgetag stellte sich die Patientin mit einer minimalen Schwellung vor, die Nähte wurden nach einer Woche entfernt. Nach Aufklärung über die Rezidivraten odontogener Myxome wurden mit der Patientin regelmäßige Nachsorgetermine vereinbart.
Diskussion
Das odontogene Myxom wurde erstmals 1947 von Goldman und Thoma beschrieben [Thoma und Goldman, 1947]. Es stellt eine gutartige, lokalisierte, invasiv-aggressiv wachsende, nicht metastasierende Neoplasie des Kiefers dar, die vor allem im jungen Erwachsenenalter auftritt [Hitoshi et al., 2019]. Demensprechend befinden sich 60 Prozent der Patienten in der zweiten oder dritten Lebensdekade [Muzio et al., 1996; Li et al., 2006]. Das odontogene Myxom wächst sehr langsam und erst bei einer gewissen Größe werden – wie im beschriebenen Fall – Knochenauftreibungen und/oder Schwellungen sowie Zahnverlagerungen auffällig. Häufig wird es jedoch als Zufallsbefund bei radiologischen Routinekontrollen detektiert. Hier imponiert es meist multilokulär in seifenblasenartiger Struktur mit, aber auch ohne definierte Grenzen.
Das odontogene Myxom kommt fast ausschließlich im Kieferbereich vor, kann dort im Knochen oder – weniger häufig – im Weichgewebe entstehen [Wandkhedkar et al., 2018]. Ätiologisch wird von einer odontogenen Genese aus follikulären oder parodontalen Zellen ausgegangen [Carvalho de Melo et al., 2008]. Insgesamt handelt es sich um den dritthäufigsten odontogenen Tumor mit einer jährlichen Inzidenz von circa 0,07/1.000.000 Personen [Odell et al., 2017]. Im Unterschied zum beschriebenen Fall sind in der Literatur die Molaren- und die Prämolarenregion des Unterkiefers am häufigsten betroffen.
Therapie der Wahl ist bei odontogenen Myxomen die operative Entfernung bei einer generellen Rezidivrate von 10–33 Prozent [Abiose et al., 1987]. Ob eine konservative oder eine radikale Operation mit Entfernung von Nachbarstrukturen gewählt wird, wird in der Literatur nicht immer eindeutig dargelegt. Bei größeren, weit verzweigten Läsionen ist häufig eine radikale Operation im Sinne einer Kasten- oder Teilresektion indiziert. Bei kleineren Läsionen, wie im vorliegenden Fall, wird allerdings häufig die konservative Therapie durch Enukleation und Kürettage ohne Resektion von Kieferanteilen empfohlen. Der große Vorteil sind der Erhalt von Nachbarstrukturen und das geringere postoperative Trauma. In einer Arbeit [Boffano et al., 2011] wird eine Enukleation mit Kürettage bei Läsionen < 3 cm im Durchmesser postuliert, bei > 3 cm soll eine Kasten- oder Teilresektion erfolgen. Es wird davon ausgegangen, dass der Hauptgrund der Rezidive eher die inkomplette Entfernung als das biologische Verhalten des odontogenen Myxoms ist [Batsakis et al., 1987].
Dr. Moritz Boeddinghaus
Fachzahnarzt für Oralchirurgie
MVZ Kieferchirurgie Königsallee GmbH
Königsallee 68, 40212 Düsseldorf
moritzboeddinghaus@gmail.com
PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MA, FEBOMFS
Leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen
Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de
Fazit Für die Praxis
Bei Zahnwanderungen muss immer an eine Raumforderung gedacht werden.
Zur differenzialdiagnostischen Abklärung sind eine chirurgische Entfernung und die pathologische Untersuchung der Raumforderung obligat.
Das operative Verfahren ist stark von der Größe des odontogenen Myxoms abhängig.
Ein enges Recall-Intervall mit radiologischen Kontrollen ist aufgrund der hohen Rezidivrate Pflicht.
Literaturliste
1. Thoma KH, Goldman HM. Central myxoma of the jaws. AM J Orthop. 1947;33:532-40.
2. Hitoshi S,Yuji K, Suano S, Kotaro S, Yuya K, Masakatsu I, Altsutoshi Y, Tatsuo S. Long-Term Follow-Up after Conservative Surgical Treatment of Odontogenic Myxoma: A Case Report and Literature Review. Case Rep Dent. 2019; 2019: 1634842; Punlished Online 2019 Feb 11. doi: 10.1155/2019/1634842
3. Wandkhedkar D, Sangeeta P, Gokul S, Shubhra S. J Oral Maxillofac Pathol. 2019 Feb; 23(Suppl 1): 83-86.
4. Carvalho de Melo AU, de Farias Martorelli SB, Cavalcanti PH, Gueiros LA, Martorelli Fde O. Maxillary odontogenic myxoma involving the maxillary sinus: Case report. Braz J Otorhinolaryngol. 2008;74:472–5.
5. Odell E. W., Adebiyi K. Odontogenic myxoma/myxofibroma. In: Chan J. K. C., editor. El-Naggar AK. Lyon: WHO Classification of Head and Neck Tumors. IARC Press; 2017. pp. 229–230.
6. Muzio L. L., Nocini P. F., Favia G., Procaccini M., Mignogna M. D. Odontogenic myxoma of the jaws: a clinical, radiologic, immunohistochemical, and ultrastructural study. Oral Surgery, Oral Medicine, Oral Pathology, Oral Radiology, and Endodontics. 1996;82(4):426–433.
7. Abiose B. O., Ajagbe H. A., Thomas O. Fibromyxomas of the jawbones--a study of ten cases. British Journal of Oral & Maxillofacial Surgery. 1987;25(5):415–421.
8. Li T. J., Sun L. S., Luo H. Y. Odontogenic myxoma: a clinicopathologic study of 25 cases. Archives of Pathology & Laboratory Medicine. 2006;130(12):1799–1806.
9. Boffano P., Gallesio C., Barreca A., Bianchi F. A., Garzino-Demo P., Roccia F. Surgical treatment of odontogenic myxoma. Journal of Craniofacial Surgery. 2011;22(3):982–987.
10. Batsakis J. G. Myxomas of soft tissues and the facial skeleton. Annals of Otology, Rhinology & Laryngology. 1987;96(5):618–619.