Vitalerhaltung der Pulpa – step by step
Noch heute findet sich teilweise die antiquierte, weil auf nicht geeigneten Behandlungskonzepten fußende Lehrmeinung, dass eine direkte Überkappung der Pulpa nach Freilegung im Rahmen der Kariesexkavation keine gute klinische Prognose hat und daher kontraindiziert ist. Der Einsatz neuer Materialien bietet jedoch die Möglichkeit, das Pulpagewebe langfristig vital zu erhalten und es vor dem Eindringen von Mikroorganismen und deren toxischen Stoffwechselprodukten zu schützen.
Die erfolgreiche Vitalerhaltung der Pulpa setzt eine heilungsfähige Pulpa voraus, das heißt, das Pulpagewebe sollte gesund oder allenfalls reversibel geschädigt sein. In der Praxis besteht das Problem, dass der genaue Zustand der Pulpa mit diagnostischen Mitteln nicht oder nur unzureichend eruiert werden kann. Dabei ist die Durchblutung das genaueste Kriterium zur Bestimmung der Pulpavitalität, da sie Auskunft darüber gibt, ob das Pulpagewebe nekrotisch oder vital ist [Abbott und Yu, 2008]. Neben der Schmerzanamnese und der Sensibilitätsprobe sollte daher im Fall einer Pulpaexposition auch die Blutung des Gewebes bewertet werden. Dies kann zu einer zuverlässigeren Diagnose führen, um den Status einer Pulpainfektion zu bestimmen [Matsuo et al., 1996].
Bei Exposition im kariösen Dentin und einer Penetration von Bakterien erstreckt sich die Entzündungsreaktion tiefer ins Pulpagewebe hinein und die Gewebeblutung ist stärker [Langeland, 1981]. Blutungen können daher den Grad der Entzündung der Pulpa widerspiegeln [Christensen, 1998]. Freigelegtes Pulpagewebe mit starken oder anhaltenden Blutungen hat eine signifikant schlechtere Chance auf Heilung als eine Pulpa, die nur eine mäßige Blutung zeigt oder eine Blutung aufweist, die nach kurzer Zeit gestoppt werden kann [Matsuo et al., 1996]. Ist das Pulpagewebe gesund, sollte daher die Pulpablutung innerhalb von fünf Minuten kontrolliert werden können [Kang et al., 2017]. Gelingt die Blutstillung innerhalb dieser Zeit nicht, deutet dies darauf hin, dass die Pulpa irreversibel entzündet ist und eine vollständige Pulpotomie oder Pulpektomie wird empfohlen [Wolters et al., 2017].
Eine suffiziente Blutstillung ist also für die Diagnostik vor einer direkten Überkappung essenziell. Eine Hämostase ist aber auch deshalb so entscheidend für den Behandlungserfolg, da das Überkappungsmaterial (gleich welcher Art) in direkten Kontakt mit dem vitalen Pulpagewebe kommen muss; es darf kein Blutkoagulum zwischen Überkappungsmaterial und dem Pulpagewebe verbleiben [Schröder, 1972]. Natriumhypochlorit (NaOCl) in einer Konzentration von 2,5 bis 5 Prozent gilt derzeit als die effektivste, sicherste und kostengünstigste hämostatische Lösung für die Blutstillung an der Pulpa [Witherspoon, 2008].
Vor der Überkappung ist die Blutstillung essenziell
Kalziumhydroxid-Suspensionen gelten als das universelle Standardmaterial für die Vitalerhaltung. Zu den Nachteilen von Kalziumhydroxid gehören allerdings die schlechte Abdichtung am Dentin, die mechanische Instabilität und die Resorption über die Zeit [Staehle, 1990].
Die Vorteile der Kalziumsilikatzemente gegenüber den Kalziumhydroxid-Produkten liegen in der höheren mechanischen Festigkeit, der geringeren Löslichkeit und der besseren Abdichtung des Dentins. Nachteile von Kalziumhydroxid werden bei der Verwendung von Kalziumsilikatzementen vermieden [Dammaschke et al., 2014].
Eine bakterielle Infektion des Gewebes während und nach der Therapie muss grundsätzlich sicher ausgeschlossen werden. Dies setzt eine Verwendung von Kofferdam und sterilen Instrumenten, eine vollständige Exkavation der Karies sowie eine definitive bakteriendichte koronale Restauration in der gleichen Behandlungssitzung voraus [Bogen et al., 2019]. Die negativen Auswirkungen einer temporären Versorgung nach Überkappung wurden sowohl für Kalziumhydroxid als auch für Kalziumsilikatzemente nachgewiesen. Temporäre Versorgungen können zu deutlich niedrigeren Erfolgsraten führen [Schäfer und Dammaschke, 2019].
Prof. Dr. Till Dammaschke
Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Poliklinik für Parodontologie und Zahnerhaltung
Albert-Schweitzer-Campus 1
Waldeyerstr. 30, 48149 Münster
tillda@uni-muenster.de
Auf die Erläuterung der theoretischen Hintergründe haben wir in diesem Beitrag verzichtet. Diese können Sie zusammengefasst in den „Aktuellen Empfehlungen zur Vitalerhaltung der Pulpa“ der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), veröffentlicht in derzm 6/2019 nachlesen.
Weiterführende LITERATUR
Bogen G, Chandler NP: Vital Pulp Therapy. In: Rotstein I, Ingle JI (Eds.): Ingle´s Endodontics. 7th Edition. PMPH USA 2019, 885–910.
Dammaschke T, Galler K, Krastl G: Aktuelle Empfehlungen zur Vitalerhaltung der Pulpa. zm 2019; 109 (6), 46–55.
Schäfer E, Dammaschke T: Probleme bei der Vitalerhaltung der Pulpa. In: Hülsmann M, Schäfer E (Hrsg.): Probleme in der Endodontie. Prävention, Identifikation und Management. 2. Aufl. Quintessence Publishing, Berlin 2019, 37–48.
Literaturliste
1. Abbott PV, Yu C. A clinical classification of the status of the pulp and the root canal system. Aust Dent J 2008;52(1 Suppl):S17-S31.
2. Bogen G, Chandler NP. Vital Pulp Therapy. In: Rotstein I, Ingle JI (Eds.) Ingle´s Endodontics. 7th Edition. PMPH USA 2019. 885-910.
3. Christensen GJ. Pulp capping 1998. J Am Dent Assoc 1998;129:1297-1299.
4. Dammaschke T, Camp JH, Bogen G. MTA in Vital Pulp Therapy. In: Torabinejad M (ed). Mineral Trioxide Aggregate – Properties and Clinical Applications. Wiley Blackwell 2014, 71-110.
5. Kang CM, Sun Y, Song JS et al. A randomized controlled trial of various MTA materials for partial pulpotomy in permanent teeth. J Dent 2017;60:8-13.
6. Langeland K. Management of the inflamed pulp associated with deep carious lesion. J Endod 1981;7:169-181.
7. Matsuo T, Nakanishi T, Shimizu H, Ebisu S. A clinical study of direct pulp capping applied to carious-exposed pulps. J Endod 1996;22:551-556.
8. Schäfer E, Dammaschke T. Probleme bei der Vitalerhaltung der Pulpa. In: Hülsmann M, Schäfer E (Hrsg.) Probleme in der Endodontie. Prävention, Identifikation und Management. 2. Aufl. Quintessence 2019, 37-48.
9. Schröder U. Evaluation of healing following experimental pulpotomy of intact human teeth and capping with calcium hydroxide. Odontol Rev 1972;23:329-340.
10. Staehle HJ. Calciumhydroxid in der Zahnheilkunde. Hanser 1990.
11. Witherspoon DE. Vital pulp therapy with new materials: new directions and treatment perspectives - permanent teeth. J Endod 2008;34(7 Suppl):S25-S28.
12. Wolters WJ, Duncan HF, Tomson PL, Karim IE, McKenna G, Dorri M, Stangvaltaite L, van der Sluis LWM. Minimally invasive endodontics: a new diagnostic system for assessing pulpitis and subsequent treatment needs. Int Endod J 2017;50:825-829.