Juristische Stellungnahme von Dr. Walter Konrad und RA Emanuel Wild

„Wenn sie behandeln, machen sich die Studenten strafbar“

Emanuel Wild
,
Walter Konrad

Die deutsche Regelung ist eindeutig. Nur der approbierte Zahnarzt darf die Zahlheilkunde ausüben, § 1 ZHG (Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde i. d. F. d. Bek. v. 16.4.1987, BGBl. I 1225). Die bisher geltende Approbationsordnung für Zahnärzte vom 26.01.1955, BGBl. III, 2123–2, ist mit Wirkung vom 1.10.2020 vorbehaltlich von Übergangsregelungen außer Kraft gesetzt durch die Verordnung zur Neuregelung der zahnärztlichen Ausbildung vom 18.7.2019 (BGBl. I, S. 933). Die dort unter Art. 1 neu gestaltete „Approbationsordnung zur Ausbildung von Zahnärzten und Zahnärztinnen“ (ZApprO), in Kraft ab dem 1.10.2020, soll hier zukunftsgerichtet Anwendung finden.

Eine Ausbildungssituation im Sinne des § 7 ZApprO oder ein Famulaturverhältnis im Sinne von § 15 ZApprO zwischen Dr. W. und den Studenten im Hilfseinsatz liegen nach dem Sachverhalt nicht vor. Die Absprache, bei Problemen den verantwortlichen Zahnarzt augenblicklich zu informieren, vermag kein Ausbildungs- oder Famulaturverhältnis zu konstruieren. Nach deutschem Recht ist das von W. und den Studierenden im Hilfseinsatz abgesprochene regelmäßige Vorgehen ungesetzlich und rechtswidrig.

In Deutschland kommt ein zahnärztlicher Behandlungsvertrag in aller Regel mit dem Träger der Zahnklinik oder dem Inhaber der zahnärztlichen Praxis zustande. Das eingesetzte Personal hat grundsätzlich keine vertraglichen Beziehungen zum Patienten. Vertragliche Schadensersatzansprüche, §§ 280, 281, 611ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), richten sich deshalb nur gegen den Träger beziehungsweise den Inhaber, die – in Anspruch genommen – gegebenenfalls dienst- oder arbeitsrechtliche Regressansprüche gegen ihr Personal prüfen können.

Dagegen richten sich Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung, §§ 823ff. BGB, gegen den unmittelbar Handelnden (hier: die Studenten im Hilfseinsatz), aber auch gegen den, der eine Garantenpflicht verletzt hat (hier: Dr. W.), unbeschadet einer hier nicht einschlägigen beamtenrechtlichen Verweisungsmöglichkeit nach § 839 BGB. W. hat vertraglich die Verantwortlichkeit für den Einsatz der Studenten im Hilfseinsatz übernommen. Sie unterliegen in ihrem Vorgehen seinen Weisungen. Er hat eine Garantenpflicht, dass diese nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen vorgehen. Daher wird er sich auch nicht nach § 831 BGB exkulpieren können.

Für entstandene Schäden haften nach deutschem Recht der Träger der Therapieeinheit auf vertraglicher Grundlage und die mittelbar und unmittelbar Handelnden auf deliktischer Grundlage. Der bloße Wille zur Hilfe steht der zivilrechtlichen Haftung der Helfer nicht entgegen. Ein entstandener Schaden wird voll zu ersetzen sein, es sei denn, dem Patienten könnte ein Mitverschulden angelastet werden. Jedoch kann der humanitäre Antrieb bei der Bemessung der Höhe eines Schmerzensgeldes berücksichtigt werden.

Allerdings kommt wegen zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche nicht das deutsche, sondern das Zivilrecht des jeweiligen südamerikanischen Staates zur Anwendung, auch wenn vom jeweiligen Kläger ein deutsches Gericht anstelle des für den Handlungsort zuständigen Gerichts des jeweiligen südamerikanischen Staates angerufen werden sollte, Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), Verordnung vom 17.6.2008 (Amtsblatt L 177 vom 4.7.2008, S. 6, ber. Amtsblatt L 309 vom 24.11.2009, S. 87).

Der ärztliche Eingriff ist nach deutschem Recht tatbestandsmäßig stets eine Körperverletzung im Sinne von § 223 StGB (Strafgesetzbuch), die nur dann nicht rechtswidrig ist, wenn in sie zumindest konkludent wirksam eingewilligt wurde oder ein rechtfertigender Notstand i. S. v. § 34 StGB vorlag. § 34 StGB lautet: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

Im ersten Schritt wäre zu prüfen, ob der Patient oder dessen gesetzlicher Vertreter in eine Behandlung durch die Studenten im Hilfseinsatz nach entsprechender Aufklärung eingewilligt hätten. Ein Anspruchsteller wird dies in aller Regel, beraten durch einen Anwalt, überzeugend in Abrede stellen.

Eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare konkrete Gefahr für Leben oder Leib i. S. v. § 34 StGB kann nach dem Sachverhalt nicht angenommen werden. Die drei Helfer gehen absprachegemäß regelmäßig so vor, weil die Anzahl der zu behandelnden Patienten sie dazu drängt. Die eng zu beurteilenden Voraussetzungen für einen rechtfertigenden oder auch für einen entschuldigenden Notstand i. S. v. § 35 StGB liegen ebenfalls nicht vor. § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB lautet: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld.“

Darüber stellt § 18 ZHG die Ausübung der Zahnheilkunde ohne Approbation (oder ohne sonstige Ausnahmeregelung, s. § 18 Ziffer 1 ZHG) unter Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Unmittelbar Handelnde wären die Studenten im Hilfseinsatz. W. hat vertraglich die Verantwortlichkeit für den Einsatz der Studenten im Hilfseinsatz übernommen; er hat somit eine Garantenpflicht im Sinne von § 13 StGB, dass die Studenten im Hilfseinsatz nicht entgegen § 1 ZHG handeln, wonach nur approbierte Zahnärzte die Zahlheilkunde ausüben dürfen. Seine Strafbarkeit kommt somit ebenfalls in Betracht.

Der Wille zur Hilfe würde die Strafbarkeit der Helfer nicht beseitigen. Jedoch könnte der humanitäre Antrieb bei der Frage, ob überhaupt und welche Strafe in welcher Höhe zu verhängen sei, berücksichtigt werden, wenn deutsche Strafverfolgungsbehörden mit diesen Auslandstaten überhaupt befasst wären. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden werden jedoch die in Südamerika begangenen Taten nicht verfolgen. Nach § 3 StGB stehen grundsätzlich nur im Inland begangene Taten unter Strafe. Die enumerativen Voraussetzungen nach § 5, § 6 oder § 7 StGB, um im Ausland begonnene Straftaten in Deutschland verfolgen zu können, liegen nicht vor.

In den südamerikanischen Staaten bestehen vergleichbare Regelungen über die Ausübung der Zahnheilkunde, zum zivilrechtlichen Schadensersatz und zur Strafandrohung, wie eine exemplarische Untersuchung zu den Staaten Argentinien, Bolivien, Ecuador und Venezuela schließen lässt.

In Argentinien regelt das „Ley para el ejercicio de la Medicina, Odontología y Actividades de Colaboración – Ley No 17.132 Decreto No 6.126 / 67“ die Zulassung zur Tätigkeit im Bereich der Zahnmedizin, in Bolivien das „Reglamento para el Ejercicio de la Odontología y Servicios Auxiliares, aprobado por DS 18886 de 15/03/1982“, in Ecuador das „Ley de defensa profesional de odontologos y mecanicos dentales, Codificación 8“ und in Venezuela das „Ley de ejercicio de La Odontología vom 27. 07.1970“.

Alle vier beispielhaft genannten Staaten verlangen eine besondere Zulassung für die Ausübung der Zahnheilkunde mit Registrierung bei den Ministerien für Gesundheit und Soziales, in Venezuela zusätzlich eine Eintragung in ein öffentlich einsehbares Register. Gesetzliche Ausnahmen für den Einsatz von Hilfskräften, insbesondere hilfswilligen Studierenden, sind nicht ersichtlich. Wegen Verstößen gegen die Zulassungsgesetze sehen alle vier Staaten Geldstrafe, Argentinien auch Gefängnisstrafe vor, vgl. Art. 128 des Ley para el ejercicio de la Medicina, Odontología y Actividades de Colaboración i. V. m. Art. 208 Codigo penal de la Nation Argentina (Ley 11.179), oder auch Art. 218 des bolivianischen Código Penal (aprobado por DL 10426 de 23/08/1972, elevado a rango de Ley por Ley 1768 de 10/03/1997).

Alle diese vier südamerikanischen Staaten haben wegen der zivilrechtlichen Haftung und wegen der allgemeinen Strafandrohung mit Deutschland vergleichbare gesetzliche Bestimmungen, z. B. wegen Körperverletzung nach Art. 89 Codigo penal de la Nation Argentina (Ley 11.179).

Sollten die Helfer ihre Absprache für einen regelmäßigen Einsatz der studentischen Helfer umsetzen, laufen sie Gefahr, sich nach den Vorschriften des jeweiligen Einsatzstaates strafbar und zivilrechtlich haftbar zu machen. Die Gerichtsbarkeit des jeweiligen Einsatzstaates wäre von Hause aus für das Verfahren nach dem jeweiligen Recht des Einsatzstaates gegeben. Die nach Deutschland zurückgekehrten Helfer laufen auch Gefahr, im jeweiligen Einsatzstaat in ihrer Abwesenheit zum Schadensersatz verurteilt zu werden. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, ein solches ausländisches Urteil in Deutschland zur Vollstreckung zu bringen. Daher sollten genau die Einsatzkriterien und die Anforderungen an die Bewerbungsunterlagen der Hilfsorganisationen für den Einsatz von Zahnärzten, Studenten und Zahntechnikern (zum Beispiel für Ecuador und Bolivien: www.fcsm.org/voluntariate-2019.html, www.fcsm.org/bewerbung-.html und www.fcsm.org/studierende.html) eingehalten werden.

Direktor des Amtsgerichts a. D. Dr. Walter Konrad

Rechtsanwalt Emanuel Wild

Rechtsanwälte Berger & Berger

Brentanostr. 34, 63755 Alzenau in Unterfranken

info@ra-berger.de

Emanuel Wild

Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Berger & Berger
Brentanostr. 34, 63755 Alzenau in Unterfranken

Dr. Walter Konrad

Direktor des Amtsgerichts

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