Osteomyelitis nach operativer Weisheitszahnentfernung
Die Osteomyelitis ist eine akute beziehungsweise chronische Entzündung des Kieferknochens – der Kompakta und der Spongiosa – auf der Grundlage einer bakteriellen Infektion, die nach zahnärztlichen Behandlungen (zum Beispiel Wurzelkanalbehandlungen, Zahnextraktionen), Traumata des Gesichtsschädels oder infolge bereits vorbestehender odontogener bakterieller Entzündungen auftreten kann. In vielen Fällen wird diese durch Staphylococcus aureus verursacht, wobei auch eine Vielzahl anderer Erreger möglich ist (zum Beispiel Staphylococcus epidermidis). Darüber hinaus kommen nahezu alle Keime der Mundhöhlenflora in Betracht.
Während bei Erwachsenen meist von einer exogenen, lokal fortgeleiteten Infektion des Kieferknochens auszugehen ist, kann es bei Kindern auch zu einer endogenen, hämatogenen Infektion kommen. Die Osteomyelitis kann auch einer genetischen Disposition unterliegen. Im Kiefer- und Gesichtsbereich ist die Osteomyelitis überwiegend im Unterkiefer lokalisiert, vermutlich da dieser eine kräftigere Kompakta aufweist und weniger gut vaskularisiert und damit der körpereigenen Abwehr weniger gut zugänglich ist.
Die akute Osteomyelitis weist häufig keine spezifischen radiologischen Zeichen auf – der Prozess der Entkalkung verläuft langsamer als die Progression der Entzündung. Die Erkrankung verursacht häufig starke bis sehr starke Schmerzen und geht in vielen Fällen mit einer ausgeprägten Vincent-Symptomatik einher. Begleiterscheinungen können unter anderem Eiter aus dem Parodontalspalt oder sogenannte tanzende Zähne sein. Die Therapie ist in erster Linie konservativ, wobei neben einer adäquaten Schmerztherapie eine häufig intravenöse, hochdosierte und breite Antibiotikatherapie angewendet wird.
Die chronische Osteomyelitis kann weiterhin primär- oder sekundär-chronisch sein. Typisch ist hier unter anderem ein Wechsel symptomreicher und symptomfreier Krankheitsphasen, eine mögliche Chronifizierung des Schmerzes, Periostschwielen, radiologisch sichtbare, osteolytische Veränderungen und Sklerosierungen des Kieferknochens nebeneinander und mögliche Sequesterbildungen mit Totenladen. Neben den sekundär-chronischen Osteomyelitiden, die aus einer akuten Osteomyelitis hervorgehen, sind primär-chronische Osteomyelitiden auch teils nicht-bakterieller Genese wie beispielsweise die chronisch-rekurrierende multifokale Osteomyelitis (CRMO) als Teil des SAPHO-Syndroms (Synovitis, Akne, Pustulosa, Hyperostose, Osteitis). Diese tritt meist bei Kindern und Jugendlichen auf und zeigt in etwa 10 Prozent der Fälle eine Beteiligung des Kieferknochens [Tlougan et al., 2009; Haeffs et al., 2018; Buch et al., 2019; Dunphy et al., 2019; Figueiredo et al., 2019; Kudva et al., 2019; Liu et al., 2019].
Kasuistik
Eine 69-jährige Patientin stellte sich aufgrund eines paramandibulären Infiltrats und starker Schmerzen im Bereich des linken Unterkiefers zwei Wochen nach operativer Entfernung des Zahnes 38 alio loco sowie mit dem Verdacht auf ein in der regio 038 in situ befindliches Zahnfragment erstmals an unserer Klinik vor. Ihr Allgemeinzustand war zum Zeitpunkt der Erstvorstellung deutlich reduziert. Anamnestisch ergaben sich eine leichte Depression und eine ausgeprägte, bislang nicht behandelte, pulmonale Hypertonie.
Zunächst erfolgte in Lokalanästhesie die Spaltung des paramandibulären Infiltrats von intraoral mit Spülung und Streifeneinlage. Anschließend wurde die Patientin zur Schmerz- und systemischen Antibiotikatherapie (Ampicillin/Sulbactam) stationär aufgenommen. Im DVT bestätigte sich der anfängliche Verdacht auf ein in regio 038 befindliches Zahnfragment (Abbildung 1). Aufgrund der Lage des Fragments, der starken Schmerzen und des reduzierten Allgemeinzustands der Patientin erfolgte die Entfernung des verlagerten und ankylosierten Zahnfragments in regio 038 in Vollnarkose.
Der postoperative Verlauf gestaltete sich schwierig und zeigte zunächst keinerlei Verbesserung der Symptome. Die Patientin klagte weiter über ausgeprägte Schmerzen im Bereich des linken Kieferwinkels sowie über eine zunehmende Par-/Hypästhesie im Innervationsgebiet des N. alveolaris inferior im Sinne einer Vincent-Symptomatik. Des Weiteren kam es sowohl klinisch als auch laborchemisch zu einer weiteren Progredienz des Entzündungsgeschehens am linken Unterkiefer. In Vollnarkose erfolgte dann nach Einschmelzung die Eröffnung des mittlerweile in der masseterico- und pterygomandibulären Loge lokalisierten Abszesses von extraoral sowie die Einlage von zwei Drainageröhrchen in die entsprechenden Logen.
Aufgrund weiterhin zunehmender Beschwerden sowie einer klinisch und laborchemisch nicht rückläufigen Entzündungsproblematik erfolgte einige Tage später ein CT der Kopf-Hals-Region mit Kontrastmittel. Hier zeigte sich eine neu aufgetretene Abszessausbreitung in Richtung links submandibulär-anterior. Zusätzlich zeigte sich im Knochenfenster eine deutliche, ausgeprägte Osteolyse des gesamten linken aufsteigenden Unterkieferastes distal des Zahnes 37 bis hin zum Collum mit Beteiligung der nahezu gesamten Innen- und Außenkortikalis (Abbildung 2).
In Vollnarkose erfolgte von extraoral die Einlage eines weiteren Röhrchens in Richtung links submandibulär-anterior sowie eine gründliche Revision der intraoralen Wunden. Dabei kam es bei der intraoralen Inspektion und Wundrevision zu einer pathologischen Kieferwinkelfraktur. Es bestätigte sich die bereits in der CT-Bildgebung diagnostizierte, ausgeprägte osteolytische Veränderung des Unterkieferknochens. Die Fraktur wurde zunächst temporär mittels einer 2.0-Mini-Osteosyntheseplatte fixiert (Abbildung 3).
Nach Rückgang der akut sezernierenden Entzündung erfolgte dann in Vollnarkose der operative Zugang zum linken Unterkiefer von extraoral und die Darstellung der Fraktur und des linken aufsteigenden und nahezu gesamten horizontalen Unterkieferastes. Bei der Dekortikation der Außenkortikalis zeigte sich eine massiv entzündliche, osteolytische Veränderung des gesamten Unterkieferknochens von regio 38 bis hin zum hohen linken Collum.
Aufgrund des ausgedehnten Befunds fiel die Entscheidung zu einer Kontinuitätsresektion mit einer Exartikulation des linken Kiefergelenks und Einbringen einer Rekonstruktionsplatte mit Gelenkersatz (Abbildung 4). Der N. alveolaris inferior sowie der N. lingualis konnten erhalten werden. Die pathologische Aufarbeitung des Unterkieferresektats zeigte eine umschriebene Knochennekrose mit mehrherdiger, überwiegend chronischer Osteomyelitis zusammen mit einer Fettmarksfibrose und einer periostalen Stromafibrose.
Der postoperative Heilungsverlauf zeigte sich bei kontinuierlich klinisch und laborchemisch rückläufigem Entzündungsgeschehen komplikationslos. Die Schneidekantendistanz betrug postoperativ gemessen 38 mm.
Neben einem engmaschigen Recall wird die Patientin zur Verbesserung der Unterkiefermobilität physiotherapeutisch begleitet. Bezüglich der pulmonalen Hypertonie erfolgt nach konsiliarischer Empfehlung in domo die zeitnahe Weiterbehandlung an einem entsprechenden Zentrum. Aktuell befindet sich die Patientin in einem sehr guten, entzündungs- und schmerzfreien Allgemeinzustand mit einer regelrechten Okklussion und einer guten mandibulären Funktion (Abbildung 5).
Diskussion
Akute Osteomyelitiden werden mitunter erst spät erkannt beziehungsweise fehldiagnostiziert, wodurch sich der zeitnahe Beginn einer entsprechenden Therapie empfindlich verzögern kann. Ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel ist die ausführliche Anamnese in Kombination mit dem klinischen Beschwerdebild des Patienten.
Ergänzend dazu erlauben laborchemische Parameter (zum Beispiel C-reaktives Protein, Leukozyten, Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit), die mikrobiologische Untersuchung (Erregernachweis) sowie insbesondere die entsprechende Bildgebung in der Zusammenschau der Befunde die Verdachtsdiagnose einer Osteomyelitis, die abschließend histopathologisch gesichert werden sollte.
Hinsichtlich der bildgebenden Diagnostik kann die Panoramaschichtaufnahme besonders in fortgeschrittenen Stadien typische osteomyelitische Veränderungen darstellen, beispielsweise einen wolkig- und polyzistisch veränderten Kieferknochen, Sklerosierungen und Periostschwielen. Des Weiteren eignen sich die 99mTc-Knochenszintigrafie und das SPECT (Single Photon Emission Computed Tomography)-CT zur weiteren bildgebenden Diagnosefindung [Ogura et al., 2019]. Zu beachten ist jedoch, dass sowohl die 99mTc-Knochenszintigrafie als auch das SPECT-CT bei frühen und noch nicht sehr ausgedehnten Befunden und hoher Sensitivität auch sehr unspezifische Befunde liefern können.
Besonders in der frühen Phase der akuten Osteomyelitis können konventionelle radiologische Befunde wie zum Beispiel in der Panoramaschichtaufnahme völlig unspezifisch oder gar nicht vorhanden sein. Im fortgeschrittenen Stadium ermöglichen das DVT und das CT eine detaillierte Darstellung des Umfangs und der Ausdehnung der Osteomyelitis. Charakteristisch ist dabei in vielen Fällen ein Zusammenspiel aus osteolytischen und sklerosierenden Bereichen.
Die Therapie der Osteomyelitis beinhaltet in erster Linie die systemische (meist intravenöse), hochdosierte und breite Antibiotikatherapie, beispielsweise mit einem Aminopenicillin in Kombination mit einem Penicillinase-inhibitor. Die Wahl des Antibiotikums kann dabei vom Erregernachweis und von möglichen Resistenzen im Antibiogramm beeinflusst werden. Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, ob die parenterale der oralen Antibiotikatherapie bei der Behandlung der Osteomyelitis zwingend überlegen ist. In vielen Fällen folgt die ambulante orale Antibiose der parenteralen Gabe während eines stationären Aufenthalts.
Auch die ideale Dauer der Antibiotikatherapie ist nicht abschließend geklärt, wobei eine Gabe über mehr als vier bis sechs Wochen bis hin zu mehreren Monaten empfohlen wird [Spellberg und Lipsky, 2012].
Daneben bilden die Sanierung des möglichen Fokus, die Dekortikation des Kieferknochens und die Entfernung von Sequestern und möglichen Totenladen etablierte chirurgische Therapieverfahren. Zusätzlich können Bisphosphonate oder andere Antiresorptiva, wie zum Beispiel RANKL-Antikörper, eingesetzt werden [Hallmer et al., 2018]. Aufgrund des Risikos einer dadurch bedingten Antiresorptiva-induzierten Osteonekrose des Kieferknochens (AR-ONJ) müssen die betroffenen Patienten vor, während und nach der Therapie in ein engmaschiges Prophylaxe- und Recallprogramm eingebunden werden. Bei weiterer Progredienz kann eine Unterkieferteil- beziehungsweise Kontinuitätsresektion erforderlich sein. Supportive Therapieoptionen wie zum Beispiel die hyperbare Sauerstofftherapie konnten die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllen [Re et al., 2019].
Mögliche Differenzialdiagnosen der Osteomyelitis sind die infizierte Osteo-radionekrose (IORN) im Sinne einer strahleninduzierten Devitalisierung des Kieferknochens (Devaskularistion, Hypoxie, Schädigung osteogener Zellen) sowie die AR-ONJ. Beide Differenzialdiagnosen können anamnestisch bei Fehlen der entsprechenden Faktoren (vorangegangene oder laufende Radiatio beziehungsweise Antiresorptivatherapie) ausgeschlossen werden. Allen drei Krankheitsbildern gemeinsam sind allerdings der nekrotische Knochen, die Inflammation und reaktive Knochenveränderungen. Ebenfalls finden sich meist bakterielle Besiedelungen, die bei der Osteomyelitis kausal und bei der IORN und der AR-ONJ meist mit einer Superinfektion beziehungsweise als Co-Faktor in Verbindung stehen [Shuster et al., 2019].
Histopathologisch scheint bei der IORN die Anzahl an leeren Knochenlakunen im Vergleich zur Osteomyelitis und AR-ONJ signifikant erhöht zu sein [De Antoni et al., 2018]. Als weitere mögliche Differenzialdiagnosen kommen intraossäre und odontogene Tumoren in Betracht, zum Beispiel das Osteosarkom. Auch die Langerhans‘sche Zell-Histiozytose und aseptische Knochennekrosen sind als Differenzialdiagnosen beschrieben [Kim et al., 2019].
Oberstabsarzt Dr. med. Dr. med. dent. Andreas Pabst
Klinik VII; Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie
Bundeswehrzentralkrankenhaus
Rübenacherstr. 170, 56072 Koblenz
Andreas1Pabst@bundeswehr.org
Oberfeldarzt Bernd-Günther Laskowski
Klinik VII; Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie
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Flottillenarzt Dr. med. Dr. Med. dent. Axel Mayer
Klinik VII; Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie
Bundeswehrzentralkrankenhaus
Rübenacherstr. 170, 56072 Koblenz
Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Richard Werkmeister
Klinik VII; Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
Bundeswehrzentralkrankenhaus
Rübenacherstr. 170, 56072 Koblenz
Fazit für die Praxis
Bei Verdacht auf eine Osteomyelitis des Kieferknochens sollte unmittelbar eine Überweisung an eine Klinik mit der Möglichkeit einer stationären Therapie erfolgen.
Neben einer systemischen, breiten und hochdosierten Antibiotikatherapie und gegebenenfalls chirurgischen Therapie muss eine adäquate Schmerztherapie dringend empfohlen werden, um einer möglichen Chronifizierung der Schmerzsymptomatik zeitnah zu begegnen.
Die frühzeitige Diagnostik und Therapie beeinflusst die Prognose entscheidend. Wenn therapeutisch möglich sollte eine Exartikulation des Kiefergelenks vermieden werden.
Literaturliste
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