Studie des Plymouth Marine Laboratory in Großbritannien

Mehr Mikroplastik im Meer – weniger in Dentalprodukten

In den Ozeanen befindet sich mindestens doppelt so viel Mikroplastik wie bisher angenommen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Untersuchung aus Großbritannien. Ein Teil des Problems sind Kosmetikprodukte, die Mikroplastik enthalten. Deren Zahl steigt weiter – trotz aller Erkenntnisse zur Tragweite des Problems. Positive Ausnahme bilden die Dentalprodukte.

Die neuesten Forschungsergebnisse in Sachen Mikroplastikverschmutzung der Weltmeere können schockieren: Denn die Dimension des Problems wurde offensichtlich stark unterschätzt – und könnte noch größer sein, als die Wissenschaftler vom Plymouth Marine Laboratory jetzt nachweisen konnten. Denn für ihre Erkenntnis nutzten die Forscher keine bahnbrechend neuen Tools oder Berechnungsmethoden, sondern schlicht feinere Netze.

Normalerweise werden Netze mit Maschenweiten von 333 Mikrometer (0,333 Millimeter) zum Filtern von Mikroplastik verwendet. Für die in der Zeitschrift Environmental Pollution veröffentlichte Studie wurden stattdessen Netze mit Maschenweiten von 100 Mikrometer (0,1 mm) verwendet – in denen sich am Ende von Schleppfahrten vor der Küste von Plymouth in Großbritannien und der Küste von Maine in den USA rund 2,5-mal mehr Partikel fanden als im Standardnetz.

Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse deutet nach Ansicht der Studienautoren darauf hin, dass die Funde für Gewässer in der Nähe von besiedeltem Land repräsentativ sind. Durch eine Hochrechnung kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Mikroplastikkonzentrationen 3.700 Partikel pro Kubikmeter überschreiten könnten – das ist weit mehr als die Anzahl an Zooplankton in derselben Wassermenge.

Bekannt ist, dass Mikroplastikverschmutzung die Fruchtbarkeit, das Wachstum und das Überleben von Meereslebewesen beeinträchtigt. Kleinere Partikel gelten als besonders besorgniserregend, da sie die gleiche Größe haben wie die vom Zooplankton verzehrten Lebensmittel, die die marine Nahrungskette stützen und eine wichtige Rolle bei der Regulierung des globalen Klimas spielen.

„Die Mikroplastikkonzentration im Meer könnte derzeit stark unterschätzt werden“, sagte Prof. Pennie Lindeque vom Plymouth Marine Laboratory in Großbritannien, das die Forschung leitete. Denn offen bleibt, wie viele noch kleinere Partikel es gibt, die selbst von den jetzt verwendeten, feinmaschigeren Netzen nicht aufgefangen werden. Das würde bedeuten, dass die Belastung noch einmal größer sein könnte.

Laut der Umweltorganisation BUND stieg die Zahl der betroffenen Kosmetikprodukte ungeachtet der wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen Jahre weiter. „Es braucht kein Mikroplastik in Kosmetika, die jeweiligen Produkte lassen sich auch ohne Kunststoffe realisieren. Das gilt ganz sicher, und meist ohne großartigen Aufwand, für feste Plastikpartikel“, sagt ein Sprecher des BUND. Was die Verwendung von flüssigem Plastik angeht, hätten die Hersteller größere Kopfschmerzen hinsichtlich einer schnellen Substitution. „Aus unserer Sicht gibt es aber auch hier umsetzbare Alternativen.“ Generell ist der intendierte Einsatz von Mikroplastik in Kosmetikprodukten, angesichts der Durchdringung aller Lebensbereiche und Ökosysteme nach Einschätzung des BUND angesichts der weitgehend unbekannten Risiken „nicht zu rechtfertigen“.

BUND: „Es gibt umsetzbare Alternativen.“

Laut Einkaufsratgeber des BUND gibt es aktuell drei Dentalprodukte, die Mikroplastik enthalten – dabei aber eine positive Entwicklung. Betroffen ist aktuell noch eine Haftcreme der Marke Kukident („Professionell Haftcreme Med + Kamille“), nachdem es Mitte 2018 noch zwei Produkte waren. In der Stellungnahme weist die Reckitt Benckiser Deutschland GmbH darauf hin, dass Polyethylen „nur in sehr kleinen Mengen enthalten“ sei. Weiter heißt es, man sei sich der Problematik durchaus bewusst, weshalb auch im globalen Kosmetik- und Haushaltspflegeportfolio keine Mikroperlen aus Polyethylen oder Polyurethan mehr verwendet werden. Die Inhaltsstoffe unterlägen jedoch längeren Austauschprozessen und Validierungen. Das Unternehmen arbeite bereits an Alternativen für das Polyethylen in der Haftcreme, heißt es, und „sobald eine Alternative validiert wurde, die eine vergleichbare Produktleistung verspricht, [...] werden wir diese in den Markt einführen“.

Das Unternehmen Unilever verwendet in dem Zahnaufhellungsstift „Whitening Pen White Now CC Touch“ vom BUND beanstandetes Acrylates Copolymer (AC), will dieses jedoch nicht als Mikroplastik klassifiziert wissen. Stattdessen verweist die Unternehmenskommunikation darauf, dass in einer 2018 veröffentlichten, vom BUND in Auftrag gegebenen Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik ein weitgehender Konsens darin bestehe, „dass in der wissenschaftlichen Literatur bisher keine löslichen, gelartigen oder flüssigen Polymere unter dem Oberbegriff Mikroplastik behandelt werden“.

Problembewusster zeigt man sich bei der Beovita Vital GmbH. Auch das durch die Start-up-Fernsehshow „Höhle der Löwen“ bekannt gewordene Parodont-Zahnfleischpflege-Gel enthält flüssiges Plastik, in dem Fall Polyethylen. Es seien jedoch nur 0,1 g pro 10-ml-Tube, betont Geschäftsführer Dr. Ismail Özkanli – erklärt aber, trotzdem sei eine neue Rezeptur bereits entwickelt und getestet. Ab September soll dann das neue, plastikfreie Gel produziert werden. Damit schaffe man „ein für alle Mal die Diskussion aus der Welt“, so Özkanli.

Penelope K. Lindeque et al.; „Are we underestimating microplastic abundance in the marine environment? A comparison of microplastic capture with nets of different mesh-size“, Environmental Pollution, Available online 3 May 2020, doi.org/10.1016/j.envpol.2020.114721

Die Politik reagiert – mit erstaunlichen Folgen

Mikroplastik wird weiterhin in vielen Kosmetika zugesetzt. Nach kritischen Berichten in den 2010er-Jahren, die zeigten, wie Mikroplastik in die Nahrungskette des Menschen gelangt, reagierte die Dentalbranche als erste. Mehrere Zahnpastahersteller änderten ihre Rezepturen und verwendeten fortan kein Mikroplastik mehr als Putzkörper oder optisches Accessoire. Die Politik hingegen reagierte zahnlos, so der Vorwurf von Umweltorganisationen wie Greenpeace: Die Bundesregierung setzte 2013 mit dem sogenannten „Kosmetikdialog“ auf eine freiwillige Selbstverpflichtung* der Industrie, ab 2020 ganz auf Mikroplastik zu verzichten.

Trotzdem hat sich Zahl der Kosmetikprodukte, die Mikroplastik enthalten, seit 2014 in Deutschland mehr als verdoppelt. Laut der Umweltorganisation BUND sind es aktuell 1.015. Für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) ist es allerdings kein Widerspruch, dass die Zahl der vom BUND gelisteten Produkte trotz Kosmetikdialog steigt, erklärte es bereits 2018: „Beim Dialog geht es um feste Mikroteilchen aus Kunststoff, nicht um sogenannte flüssige Kunststoffteilchen.“

Immerhin: Im März 2019 stimmte das EU-Parlament für ein Verkaufsverbot von verschiedenen Einwegprodukten aus Kunststoffen (Besteck, Teller, Wattestäbchen oder Fastfood-Behälter), die vermehrt in Ozeanen gefunden wurden und dort durch Umwelteinflüsse in immer kleinere Teile zerfallen. Es tritt 2021 in Kraft.

*(Für flüssiges Mikroplastik oder solches im Nanobereich gilt die freiwillige Selbstverpflichtung explizit nicht.)

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