Antibiotika könnten MIH begünstigen
MIH ist nach Karies die zweithäufigste Zahnerkrankung bei Kindern. Mindestens 450.000 Kinder in Deutschland leiden unter Kreidezähnen, die behandelt werden müssen. Das sind rund acht Prozent aller Sechs- bis Zwölfjährigen.
Experten gehen davon aus, dass die Ursachen für MIH im Prozess der Zahnmineralisation liegen. Barmer-Chef Prof. Christoph Straub hatte deshalb bei der Vorstellung des Reports eine wichtige Botschaft an die Eltern betroffener Kinder: Regelmäßige Zahnpflege habe keinen Einfluss auf die Entwicklung von MIH, da die Zähne bereits bei ihrem Durchbruch geschädigt sind. „Eltern betroffener Kinder haben nichts falsch gemacht, sie haben nicht beim Thema Zahnhygiene ihrer Kinder versagt.“
Die Eltern haben nichts falsch gemacht
Die ätiologischen Faktoren sind noch weitestgehend unklar, derzeit wird von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen. Im Barmer-Zahnreport stand deshalb vor allem die Analyse von Daten im Fokus, die Hinweise auf ätiologische Zusammenhänge liefern könnten. Hierzu wurden zunächst an MIH erkrankte Kinder anhand eines aus den Routinedaten ersichtlichen Behandlungsmusters identifiziert. Durch diese Methodik bedingt seien allerdings eher schwere Fälle verzeichnet worden, was zu einer gewissen „Unterbewertung“ der Prävalenz geführt haben könnte.
Dem Report zufolge gibt es beim Auftreten von Kreidezähnen große regionale Unterschiede. Bundesweit schwanken die Prävalenzen auf Stadt- und Kreisebene zwischen drei und 15 Prozent. Auch in den Bundesländern reichen die Unterschiede von 5,5 Prozent in Hamburg bis zu 10,2 Prozent in Nordrhein-Westfalen. Die Gründe dafür konnten nicht klar herausgearbeitet werden. Die Zahnarztdichte zeigt hier lediglich einen schwachen Zusammenhang mit den Zahlen.
Die KZBV zum Zahnreport
Präventivbetreuung mit Durchbruch des ersten Zahns
Anlässlich der Veröffentlichung des diesjährigen Barmer-Zahnreports mit dem Schwerpunkt „Kreidezähne bei Kindern“ betont die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) einmal mehr die Bedeutung von Früherkennung und Prävention.„Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation, kurz MIH – auch bekannt als ‚Kreidezähne‘ – können bereits beim Zahndurchbruch erkannt werden. Eine frühzeitige Erkennung des Krankheitsbildes mit engmaschiger, intensiver Betreuung und Einleitung therapeutischer Maßnahmen ist ausschlaggebend, um einem weiteren Verlust von Zahnschmelz entgegenzuwirken und einen Zahnerhalt langfristig zu sichern“, sagte der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer.
In den vergangenen Jahren habe der zahnärztliche Berufsstand einen erfolgreichen Wandel gestaltet: „Die Zahnheilkunde hat sich weg von der kurativen und hin zu einer präventiven Ausrichtung entwickelt – ‚Vorsorgen statt versorgen‘ lautet das Motto“, sagte Eßer. „Damit haben wir einen wichtigen Grundstein gelegt, um für alle Menschen beste Voraussetzungen für ein lebenslang gesundes Gebiss zu schaffen.“
Das fange bereits bei den Kleinsten an: „Wenn mit dem Durchbruch des ersten Zahns eine präventive Betreuung beginnt, wird mittels Prävention das Fundament für die spätere dauerhafte Mundgesundheit gelegt. Eltern sollten deshalb mit ihren Kindern möglichst regelmäßig Untersuchungen in Zahnarztpraxen wahrnehmen.“
Ein Trend ist jedoch ersichtlich: Kinder von Müttern mittleren Alters und Mädchen waren deutlich häufiger betroffen. Zwischen 2012 und 2019 hatten 9,1 Prozent der Mädchen und 7,6 Prozent der Jungen eine so schwere Form der Kreidezähne, dass sie in zahnärztlicher Behandlung waren. Barmer-versicherte Mütter haben dagegen gut doppelt so häufig Kinder mit Kreidezähnen, wenn sie zum Zeitpunkt der Geburt zwischen 30 und 40 Jahren alt waren.
Bezüglich der Ätiologie konnte die langjährige Vermutung, dass Antibiotika eine MIH begünstigen, durch die Versicherungsdaten der Barmer bestätigt werden. Demzufolge besteht eine Korrelation zwischen den Antibiotikaverordnungen in den ersten vier Lebensjahren und MIH. Dabei wurden Kindern mit Kreidezähnen gängige Antibiotika bis zu zehn Prozent häufiger verschrieben als anderen Kindern ihrer Altersgruppe, darunter Penicilline sowie Beta-Lactam-Antibiotika. Seltener eingesetzte Präparate zeigten sogar Korrelationen von bis zu 30 Prozent – zu dieser Gruppe zählen zum Beispiel Sulfonamide und Nitrofurane.
Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen
Allerdings ist weiterhin unklar, worin genau der Zusammenhang besteht. Hier seien weitere Untersuchungen erforderlich, sagte Prof. Michael Walter, Autor des Zahnreports und Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden.
Bei der Antibiotikavergabe sei man grundsätzlich bereits auf einem guten Weg. So habe sich die verordnete Antibiotikagabe bei Kindern bis fünf Jahren zwischen 2005 und 2019 mehr als halbiert. 2020 sei die Menge noch einmal deutlich gesunken, wohl auch deswegen, weil die Abstands- und Hygieneregeln während der Pandemie auch grundsätzlich eine Verringerung anderer Infektionen zur Folge hatten.
Ein Zusammenhang mit der Gabe antiinflammatorischer Medikamente konnte hingegen nicht bestätigt werden. Auch Frühgeburten und Schnittentbindungen konnten nicht in Zusammenhang mit einem erhöhten Auftreten von MIH gebracht werden.
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) ist neben Karies die häufigste Zahnerkrankung bei Kindern, wobei über die Ätiologie bislang nur wenig bekannt ist. Dabei steht die Verordnung von Antibiotika in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Auftreten von MIH. Allerdings ist noch unklar, wie genau dieses Zusammenwirken funktioniert.