Praktische Lehre unter Pandemiebedingungen

Manchmal müssen vier Kronen reichen

In schottischen Zahnkliniken ließ der National Health Service zur Infektionsprophylaxe Luftzelte um Behandlungseinheiten bauen. Diese Maßnahme hält Prof. Dr. Reinhard Hickel für übertrieben. Der Direktor der LMU-Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie und Dekan der Medizinischen Fakultät setzt in München stattdessen auf strukturelle Maßnahmen, damit die praktische Lehre so weit wie möglich stattfinden kann.

In München wird in beiden Kurssälen mit jeweils 40 Behandlungseinheiten weiter am Patienten behandelt, erklärt Hickel. „Unsere Voraussetzungen sind aber auch vergleichsweise gut. Bei uns waren die Einheiten schon vor der Pandemie baulich durch hohe Glaswände voneinander getrennt.“ Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme erfolgt die praktische Lehre aktuell im Schichtbetrieb. So sei zu jedem Zeitpunkt sichergestellt, dass zeitgleich nur jede zweite Einheit im Kurssaal belegt ist. Hickel: „Das gilt auch für unseren Phantomkurs, damit nicht ein positiver Fall das gesamte Semester ausknockt.“

Im schottischen Dundee Dental Hospital wurden Ende März Isolationszelte aufgebaut, um Aerosol-lastige Behandlungen – auch im Rahmen der Lehre für Zahnmedizinstudierende – wieder aufnehmen zu können. Kostenpunkt: umgerechnet 250.000 Euro.

Um die Sicherheit – vor allem auch für die Patienten – noch weiter zu erhöhen, werden wöchentliche PCR-Pooltestungen der Studierenden durchgeführt. Außerdem gibt es seit ein paar Wochen ein Impfangebot mit dem Vakzin von BioNTech/Pfizer für alle Studierenden. Hickel schätzt, dass bereits alle Impfwilligen die erste Dosis erhalten haben. Planmäßig sollen im Juni die ersten Zweitimpfungen verabreicht werden.

Wenn alles gut läuft, könnte im Wintersemester 2021/2022 nach drei Corona-bedingten Ausnahmesemestern etwas mehr Normalität einkehren. „Wir hoffen, dass wir im Sommer in ruhigeres Fahrwasser kommen“, sagt Hickel. 

Ruhigeres Fahrwasser hoffentlich ab Sommer

Denn zuletzt sei es trotz aller Anstrengungen unvermeidlich gewesen, dass viele Studierende praktisch weniger Leistungen erbringen konnten als gefordert. „Wir versuchen natürlich, das Maximale herauszuholen“, sagt der Klinikdirektor, aber in der aktuellen Situation hätten manchmal auch vier statt sieben Kronen genügen müssen, um den Schein zu bekommen. Aktuell sei dieses Augenmaß der Lehrenden auch bei Wurzelkanalbehandlungen gefragt.

Eine Ausweitung der Schutzmaßnahmen – wie zuletzt in Schottland – ist nach Hickels Angaben in München nicht nötig. Der Einsatz von Virenfiltern sei diskutiert, aber nach einer kritischen Kosten-Nutzen-Abwägung verworfen worden: Eine Überprüfung der Lüftungsanlage in den Kursräumen zum Pandemiebeginn habe ergeben, dass diese mit ihrem sechsfachen Luftaustausch pro Stunde absolut ausreichend ist.

„Das Wintersemester könnte wieder normal laufen“

Auch an der Universität Witten/Herdecke ist es in der Pandemie „auf und ab gegangen“, berichtet Prof. Dr. Stefan Zimmer, Departmentleiter für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Zwei Wochen wurde die Privatuni komplett geschlossen, es gab Wechselbetrieb in der Präklinik und Einschränkungen bei der Behandlungszeit der Studierenden. Aber jetzt geht es nur noch aufwärts.

„Das Sommersemester ist durch“, sagt Zimmer, „aber ich glaube, das Wintersemester könnte wieder normal laufen.“ Bis dahin war es ein weiter Weg. Im Mai und vor den Weihnachtsferien 2020 war der Lehrbetrieb aus Sicherheitsgründen für jeweils eine Woche komplett eingestellt worden, in Zeiten besonders hoher Inzidenzen wurde nur die Hälfte der 15 Behandlungszimmer genutzt. „Unser Ziel war, den Betrieb in der Universität insgesamt zu reduzieren“, erklärt Zimmer. Denn schnell sei den Verantwortlichen klar gewesen, dass von den Behandlungssituationen selbst kein nennenswertes Risiko ausging. Zimmer: „Schwierig waren vielmehr die sozialen Bagatellkontakte.

“Hier gibt es jetzt mehr Sicherheit: Nachdem das zuständige Gesundheitsamt im Februar 2021 entschied, dass die Wittener Human- und Zahnmedizinstudierenden priorisiert impfberechtigt sind, wurden alle mit dem Vakzin von AstraZeneca geimpft. In Kürze starten die Zweitimpfungen. 14 Tage später soll dann die wöchentliche Testpflicht für die Studierenden aufgehoben werden.

Längst wird wieder im Normalbetrieb „durchbehandelt“, sagt Zimmer und ist froh, in Witten separate Behandlungszimmer statt großer Kurssäle zu haben. Andere Besonderheiten der Privatuniversität – etwa die Möglichkeit für Studierende im Präklinikum mit einer Raumzugangskarte quasi rund um die Uhr am Phantomkopf zu üben – bleiben hingegen weiter eingeschränkt. Seit Jahresbeginn überwachen studentische Hilfskräfte, dass beim freien Üben Abstandsregeln eingehalten werden.

„Insgesamt gibt es schon einen nennenswerten Verlust an Behandlungszeit“, resümiert Zimmer, weshalb die Zielanforderungen für die praktischen Kurse um etwa 20 Prozent gekürzt worden seien. „Wir haben für die praktischen Kurse aber auch einen sehr ambitionierten Katalog. Da fällt es uns nicht schwer, ein paar Abstriche zu machen.“

Für die Zukunft sieht Zimmer auch positive Effekte: Die Lehre sei durch die Zwänge der Pandemie effizienter geworden, auch weil jetzt alle Seminare im digitalen Raum stattfinden. Die Zahn- und Humanmedizinstudierenden sparen vor allem Fahrzeiten, denn die Abteilungen Hals-Nasen-Ohren und Dermatologie sind in Wuppertal und Hagen, die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist in Dortmund untergebracht.

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