Der besondere Fall aus „CIRS dent – Jeder Zahn zählt!“

Notfallmanagement bei Aspiration

Es gehört zweifellos zu den unangenehmsten und für alle Mitarbeiter belastendsten Situationen in der Praxis, wenn ein Patient während der Behandlung in eine lebensbedrohliche Situation gerät. Abseits jeder Praxisroutine muss nun schnell und richtig gehandelt werden. Im vorliegenden Fall fühlten sich die Behandler und das Praxisteam trotz absolviertem Notfalltraining überfordert.

Ein Patient kam in die Praxis, nachdem sein Goldinlay an 16 herausgefallen war, um es wieder befestigen zu lassen.

Was ist passiert?

Beim Versuch, das Inlay wieder zu befestigen, rutschte es dem Behandler ab und fiel in den Rachen des Patienten. Jener aspirierte das Inlay, es verlegte seine Atemwege. Der sofort eingeleitete Heimlich-Griff war erfolglos. Der Patient war dem Ersticken nahe und wurde zyanotisch. Die Praxis rief die 112 an, schilderte den Sachverhalt, woraufhin der Diensthabende den Behandler aufgrund der Eilbedürftigkeit durch die Situation leitete. 

QM-Instrument Risikomanagement

  • Einbeziehung aller Mitarbeiter

  • Risikoprofil erstellen 

- potenzielle Risiken der individuellen Praxis im Team identifizieren, besprechen und analysieren

  • Risikostrategie festlegen 

- Erkennen und Bewerten potenzieller Risiken, Festlegen von Bewältigungs- und Steuerungsszenarien

- Verantwortung für die Überwachung jedes Risikos festlegen

- Gesamtverantwortung bleibt beim Praxisinhaber

Quelle: KZBV

Der Patient wurde auf Anweisung der Leitstelle bäuchlings auf den Boden gelegt. Anschließend wurde mit beiden Fäusten auf seinen Rücken geschlagen, damit sich das Inlay löst. Nach dem etwa fünften Schlag löste sich das Inlay aus der Trachea und die Respiration des Patienten setzte wieder ein. Trotz eines vor zwei Jahren durchgeführten Notfalltrainings waren der Behandler und sein Team in der Situation überfordert.

Welche Gründe können dazu geführt haben?

Es kann bei aller Sorgfalt vorkommen, dass sich kleine Teile bei der Behandlung lösen und aspiriert werden.

Hätte man das Ereignis verhindern können?

Kleine Restaurationen sind mit der Hand und Gummihandschuhen so schwer zu halten, dass es sich bei der Befestigung einer Gold- oder Keramikfüllung empfiehlt – insbesondere wenn es sich um eine zentrale Restauration handelt – diese an einem kleinen zu diesem Zweck käuflichen Stick (oder Spatel) mit Klebewachs zu befestigen. Eine kurze Einprobe lässt noch einmal die genaue Einbringhaltung üben, um dann erst das Befestigungsmaterial aufzutragen. Auch die Verwendung von Kofferdam, was sich in der Endodontie bereits etabliert hat, kommt gegebenenfalls ergänzend in Betracht.

Kommentierung

Der geschilderte Fall verdeutlicht die Notwendigkeit eines funktionierenden Notfallmanagements als Teil des praxisinternen Qualitätsmanagements. Bei der für jede Praxis spezifisch vorzunehmenden Risikobewertung im Rahmen des Risikomanagements sollte das Notfallmanagement auf die jeweilige Praxis und ihre Schwerpunkte individuell zugeschnitten werden (siehe die Kästen Risikomanagement und Risikoprofil).

Klinisches Risikoprofil erstellen

Nur die Risiken die man kennt, kann man managen:

  • Risiken von Praxisstruktur, -ausstattung und Patientenklientel

  • Risiko des Behandlungseingriffs

  • Notfallrisiko

  • Infektionsrisiko

Quelle: KZBV

Zweck des Notfallmanagements ist es, Sicherheit für Patienten und Mitarbeiter zu schaffen und auf plötzlich eintretende Notfallsituationen adäquat reagieren zu können.

Hilfreich sind insgesamt klare, allen im Team bekannte Regelungen zur schnellen Notfallerkennung und -versorgung sowie regelmäßige interne und externe Schulungen beziehungsweise Fortbildungen. Darüber hinaus ist je nach Patienten- und Leistungsspektrum eine entsprechende Notfallausstattung und -kompetenz, die durch regelmäßiges Notfalltraining aktualisiert werden sollte, unabdingbar (siehe Kasten Notfallmanagement).

Nach den einschlägigen Leitlinien sollen Zahnärzte und Zahnärztinnen einmal jährlich in der Erkennung und Bewältigung von medizinischen Notfällen einschließlich der Durchführung von CPR (kardiopulmonale Reanimation), inklusive Grundlagen des Atemwegsmanagements und Verwendung eines AED (automatisierter externer Defibrillator), praktisch geschult werden.

QM-Instrument Notfallmanagement

  • Zweck

    • Sicherheit für Patienten und Mitarbeiter schaffen

  • Mittel

    • klare Regelungen zur Notfallerkennung

    • klare Regeln zur Notfallversorgung

    • regelmäßiges Notfalltraining des Praxisteams

    • Notfallausstattung und -kompetenz in der Praxis vorhalten

Quelle: KZBV

Das Luftwegemanagement und die Telefonreanimation wurden im vorliegenden Fall bereits berücksichtigt und haben dem Patienten vermutlich das Leben gerettet. Insbesondere die Telefonanimation ist heute ein wesentlicher Faktor für lebensrettende Maßnahmen. Diese sind auch in den Leitlinien auf der empfehlenswerten Plattform des Deutschen Rats für Wiederbelebung German Resuscitation Council (GRC) einzusehen:

Dort finden sich auch Handlungsempfehlungen bei Verschluss der Atemwege durch Fremdkörper:

  1. Aufforderung zum Husten, wenn der Patient bei Bewusstsein ist und dies kann, um so durch hohen Atemwegsdruck den Fremdkörper ausstoßen zu lassen.

  2. Ist das Husten wirkungslos, verabreicht man bis zu fünf Rückenschläge zwischen die Schulterblätter des vorgebeugten Patienten.

  3. Sind die Rückenschläge wirkungslos, gibt man bis zu fünf Oberbauchstöße durch Kompression des Oberbauchs (Heimlich-Handgriff), indem man hinter dem Patienten steht, beide Arme um seinen Oberbauch legt und kräftig nach innen und oben zieht. Der Patient ist dabei auch vorgelehnt. Wenn der Fremdkörper nach fünf Oberbauchkompressionen nicht beseitigt ist, wird abwechselnd mit fünf Schlägen auf den Rücken und fünf Oberbauchkompressionen fortgefahren.

  4. Falls der Patient keine normale Atmung zeigt und bewusstlos wird, müssen kardiopulmonale Reanimationsmaßnahmen eingeleitet werden. Diese sind – aktualisiert unter Corona-Bedingungen – auch ausführlich auf der erwähnten Plattform der GRC dargestellt und können zur Wiederholung lebensrettender Maßnahmen in der Praxis empfohlen werden.

  5. Nach erfolgreicher Fremdkörperentfernung muss der Patient auf jeden Fall in einer Klinik (HNO-Abteilung) vorstellig werden, da noch immer Teile des Fremdkörpers in den Atemwegen zurückgeblieben sein könnten und die Rettungsmanöver zu Verletzungen geführt haben könnten.

CIRS dent-Team

Weitergehende Hilfe: Dr. med Ulrich Heister Facharzt für Anästhesiologie/Notfallmedizin, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes (ÄLRD) der Stadt Bonn, Lievelingsweg 112, Bonn 53119, E-Mail: heister@bonn.de

CIRS dent – Jeder Zahn zählt!

Aus diesen Schäden wird man klug

Überall dort, wo Menschen arbeiten, entstehen Fehler – da sind auch Zahnärzte keine Ausnahme: Abläufe funktionieren nicht immer so, wie es sein sollte, Diagnosen sind manchmal nicht einfach zu stellen, Therapien versagen aus unerwarteten Gründen, Geräte und Hilfsmittel zeigen Schwächen. Die Liste möglicher „unerwünschter Ereignisse“, die in der Praxis eintreten können, ist lang. Aus „unerwünschten Ereignissen“ kann man jedoch lernen, es künftig besser zu machen. Hilfreich ist dabei der Erfahrungsaustausch mit Kollegen.

Die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung haben Anfang 2016 das internetbasierte Berichts- und Lernsystem „CIRS dent – Jeder Zahn zählt!“ gestartet (CIRS = Critical Incident Reporting System). Dort können Zahnärzte Fall berichte aus der Praxis von Kollegen lesen und auch selbst vollkommen anonym eigene Berichte einstellen. Die eingesandten Berichte werden von einer Fachredaktion geprüft, gegebenenfalls bearbeitet.

Daten, die eine Rückverfolgung auf die Praxis oder den Patienten ermöglichen würden, werden entfernt, die Berichte erst danach veröffentlicht. In der Rubrik „Der besondere Fall aus CIRS dent“ veröffentlichen wir Fallschilderungen, die allgemein von Interesse sind.

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