Kein Platz für Diskriminierung
Sie erwarten von einer Kollegin ein bestimmtes Verhalten – etwa Höflichkeit – und sind enttäuscht, wenn sie unhöflich ist? Ihre Erwartung ist das Ergebnis Ihres Stereotyps einer Zahnärztin. Werden solche Einstellungen negativ oder abwertend, hat sich ein Vorurteil gebildet.
Wir kategorisieren unsere Erfahrungen mit einzelnen Gruppenmitgliedern und bilden automatisch Stereotypen. Wir vereinfachen unsere soziale Umwelt, indem wir allen Gruppenmitgliedern pauschal dieselben Eigenschaften zuordnen – nach dem Motto „Alle Zahnärzte sind ...“. Manchmal geschieht das unbewusst, etwa weil das Vorurteil in einer Kultur schon nahezu selbstverständlich ist. Oft entstehen solche Bewertungen allerdings aus Interessen von Einzelnen oder Gruppen, etwa als Rechtfertigung für einen Anspruch oder ein Verhalten. Und besonders häufig treten sie auf, wenn Gruppen miteinander im Wettstreit stehen. Innerhalb der Praxis kann das beispielsweise die Aufmerksamkeit – und insbesondere die Wertschätzung – der Chefin sein.
Im Wettstreit um die Gunst der Chefin
Wir können uns solcher Bewertungen bewusst werden und sie dadurch gegebenenfalls relativieren. Doch wo treten in der Praxis Vorurteile auf? Es gibt mehrere typische Situationen:
Vorurteile von Mitarbeitenden übereinander – wegen des Geschlechts, der geschlechtlichen Orientierung, Größe, Gewicht, Alter, wegen einer ethnischen Zugehörigkeit, Religionspraxis, der politischen Einstellung, kognitiver, sprachlicher oder schriftlicher Kompetenzen, der allgemeinen Arbeitshaltung und inzwischen auch teilweise wegen des Impfstatus
Entsprechende Vorurteile gegenüber Patient:innen
Vorurteile von Patient:innen gegenüber Behandelnden oder Assistierenden
Vorurteile von Gruppen übereinander: „die Verwaltung“, „die Rezeption“, „die Assistenz“, „die Prophylaxe“
Die Folgen sind Belastungen für einzelne Betroffene – und für das ganze Team. Darüber hinaus kann die Bindung an die Praxis und die Arbeitsfreude deutlich sinken. Um zu prüfen, inwieweit solche Vorurteile in der eigenen Praxis vorkommen, sollte man sich regelmäßig fragen, wie häufig in der Praxis folgendes Verhalten vorkommt und in welchem Zusammenhang:
Werden abwertende Begriffe benutzt („die Schnecken“), wird getuschelt oder schlecht geredet?
Wird schief geguckt, länger nachgeschaut oder belächelt?
Beobachten Sie abwertende Gesten wie Augen verdrehen oder Kopfschütteln hinterm Rücken?
Wird schnell weggeschaut, wenn die Person den Raum betritt?
Oder plötzlich geschwiegen beziehungsweise das Thema gewechselt?
Vielleicht auch ängstlich oder vorsichtig reagiert ohne dass ein erkennbar bedrohendes Verhalten von der Person ausgeht?
Wird sie direkt gemieden, etwa indem die Zusammenarbeit/Behandlung verweigert wird?
Wird jemand direkt benachteiligt, etwa nicht eingeladen, öfter vergessen oder unfair behandelt?
Werden bewertende Witze gemacht oder widerspruchslos zugelassen?
Das sind klassische Situationen, in denen Vorurteile dikriminierend spürbar werden. Denn von Diskriminierung spricht man, wenn Vorurteile dazu führen, dass Mitglieder der abgelehnten Gruppe geschädigt werden. Dabei gibt es auch Situationen, in denen entsprechende Verhaltensweisen direkt auf ein einzelnes unangemessenes vorhergehendes Verhalten der betreffenden Person zurückzuführen sind. Aber das ist ein anderes Thema.
Dahinter steckt oft gar keine böse Absicht
Betreffen negativ wertende Haltungen ganze Gruppen („Die Verwaltung hat’s gut, die sitzen den ganzen Tag in Ruhe da hinten rum!“), ist auch von Vorurteilen auszugehen. So ein Zuweisen negativer Eigenschaften wird oft als Kritik empfunden und dies führt zu Rechtfertigungen und Gegenvorwürfen. Das stört die Kommunikation im Team und damit auf Dauer die betrieblichen Abläufe. Dafür Sorge zu tragen, dass es nicht zu Vorurteilen oder zu Diskriminierung kommt, liegt daher im Interesse der Praxisleitung.
Diskriminierungen erzeugen reaktiv Gegendiskriminierungen. Dadurch wird der Zusammenhalt im Team weiter erschwert. Dabei muss hinter diesen Handlungen gar keine böswillige Absicht stehen – Vorurteile fühlen sich für die Person, die sie hat, leider nicht falsch an.
Diskriminierung spiegelt sich im Alltag oft in sogenannten Mikroaggressionen wider. Diese können von Betroffenen oft nicht sicher als Diskriminierung eingeordnet werden, erzeugen jedoch starke Verunsicherungen. Sie führen zu anhaltenden, diffusen negativen Gefühlen, zu Irritationen, Hilflosigkeit und unklaren Schuldgefühlen. Dazu zählen:
Übergangen und gemieden werden („Engländer trinken nur Tee, da müssen wir keinen Kaffee anbieten“),
nicht gefragt werden („Die ist vegan, da will sie sicherlich nicht mit zum Grillen kommen“)
verächtliche oder neugierige Blicke beim Umziehen, Tuscheln, plötzliches Schweigen, wenn jemand hereinkommt, Augen verdrehen, oder das Verschieben des Mittagessens von Teilen des Teams („Die Jungen sitzen da noch, komm, wir essen später“).
Nur wenige haben ein dickes Fell. Und die gehen.
Abgesehen davon, dass das Betriebsklima leidet, lohnt es sich auch aus anderen Gründen, Diskriminierung innerhalb der Praxis zu unterbinden. Personen, die sich diskriminiert fühlen, haben ein vermindertes Selbstbewusstsein, sind in sozialen Situationen unsicherer, haben mehr Ängste und werden immer empfindlicher und dünnhäutiger. Diese Faktoren führen wiederum zu vermehrter Unsicherheit, zu einer Erhöhung der Fehlerhäufigkeit und damit zu neuen Anlässen zur Diskriminierung gegenüber den Betroffenen.
Nur wenige Opfer geben hingegen an, dass sie sich ein dickes Fell zugelegt haben oder selbstbewusster geworden sind. In der Regel sind das die, die kündigen und gehen. Wie aber kann man mit Diskriminierung in der Praxis angemessen umgehen? Zuerst einmal sollte man sich bewusst sein, dass aller Wahrscheinlichkeit nach Vorurteile auftreten und dass sich Vorurteile negativ auf Patientenbeziehungen und auf die Leistungsfähigkeit des Teams auswirken können.
Daher ist es sinnvoll, jegliche Diskriminierung systematisch sichtbar zu machen und als unerwünscht zu klassifizieren:
nonverbal durch intensive missbilligende Blicke und gegebenenfalls durch eine Stopp-Geste
verbal durch klare Äußerungen, dass derartige Bemerkungen oder Verhaltensweisen nicht dem Stil der Praxis entsprechen
Handelt es sich um einzelne Personen, die negativ agieren, ist es sinnvoll, mit ihnen Einzelgespräche zu führen. Dabei ist es am wirksamsten, wenn Sie die Person durch Fragen anleiten, quasi in die Schuhe der negativ beurteilten Person zu steigen (Perspektivübernahme).
Zusammenarbeiten für den gemeinsamen Erfolg
Haben sich Vorurteile zwischen Gruppen ausgebildet, besteht die nützlichste Strategie darin, Aufgaben zu verteilen, bei denen einzelne Mitarbeiter aus den verschiedenen Gruppen intensiv zusammenarbeiten müssen, um gemeinsam Erfolg zu haben. Es ist etwas anderes, wenn „die Verwaltung das QM macht“ und auf „die Zuarbeit der Assistenz“ wartet, als wenn eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung und eine aus der Assistenz gemeinsam die Checklisten für bestimmte Behandlungsabläufe zu einem festen Termin erstellen und dann dem Team vorstellen.
Je besser es gelingt, Vorurteile abzubauen oder zu vermeiden, umso entspannter und angenehmer ist auf Dauer das Klima in der Praxis – und desto besser ist die Bindung der Mitarbeitenden.
Dr. med. dent. Anke Handrock
Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie, Coaching und Mediation, Speakerin und Autorin
anke@handrock.de
Maike Baumann
Diplompsychologin, Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin
info@tonart-coaching.de
Literatur: Jonas, K., Stroebe, W., Hewstone M.: Sozialpsychologie. Springer. Berlin, Heidelberg, 2014.Hambrock, U., Urlings S.: Vorurteile und Diskriminierung machen krank. rheingold institut im Auftrag der IKK 2021.