Fazial-multilokuläre fibröse Dysplasie
Eine 28-jährige Patientin stellte sich in der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Mainz vor, ihr war einige Zeit zuvor eine harte Auftreibung im Bereich des rechten Kieferwinkels aufgefallen. Neben der ästhetischen Einschränkung gab die Patientin keinerlei Beschwerden oder Schmerzen an. Die Patientin berichtete zudem, an familiärer adenomatöser Polyposis (Vielzahl von Darmpolypen, die unbehandelt maligne entarten) zu leiden.
In der klinischen Untersuchung ließ sich eine dem Unterkieferknochen anhaftende, nicht verschiebliche, knochenharte, irregulär kugelige Struktur im Bereich des Kieferwinkels rechts ertasten. Ein Vincent-Symptom (Sensibilitätsstörung im Versorgungsgebiet des Nervus alveolaris inferior) konnte nicht festgestellt werden.
In der folgenden 3-D-Bildgebung mittels digitaler Volumentomografie zeigten sich an multiplen Lokalisationen im Bereich des Unterkiefers sowie des Jochbeins und der Lateroorbitalregion beidseits knochendichte Strukturen (Abbildung 1). Den mit 30 mm x 23 mm x 27 mm volumenreichsten Befund wies die von der Patientin beschriebene Auftreibung im Bereich des rechten Kieferwinkels auf (Abbildung 2). Auffallend waren im Bereich aller Läsionen charakteristische milchglasfensterartige, homogene Areale, die an transluzenten Übergangszonen zur ausgedünnten gesunden Kortikalis enden und den Befund klar definiert abgrenzten. Somit resultierte jeweils im Bereich der suspekten Befunde ein heterogenes Bild aus strahlendichten und transluzenten Zonen.
Nach Komplettierung der Diagnostik folgte die operative Entfernung des Befunds in Intubationsnarkose, wobei aufgrund der lingulobasalen Befundlokalisation eine Abtragung von extraoral angezeigt war (Abbildung 3). Unter Monitoring und Schonung des Ramus marginalis des N. facialis konnte der Befund bei submandibulärer Schnittführung mittels Piezochirurgie und Meißel entfernt werden (Abbildung 4). Intraoperativ stellte sich dieser, vereinbar mit der Arbeitsdiagnose einer fibrösen Dysplasie als knochenhart, gut vaskularisiert und mit einer irregulären, knöchernen Oberfläche dar. Im Anschluss wurde der verbleibende, gesunde Knochen zur Glättung modellierend osteotomiert. Das entnommene Resektat wurde zur histopathologischen Untersuchung eingeschickt. Hier zeigten sich, vereinbar mit fibröser Dysplasie fibrotisch umlagerte Knochentrabekel angrenzend an gesunde Knochenstruktur.
Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Nach vollständigem Abklingen der Schwellung präsentierte sich der Unterkieferrand der Patientin symmetrisch sowie in Kontur und Verlauf ohne ästhetische Einschränkung. Die Patientin wünschte bei Symptomfreiheit vorerst keine Entfernung der weiteren ossären Läsionen im Bereich des Gesichtsschädels.
Diskussion
Die fibröse Dysplasie wurde durch Liechtenstein und Jaffe erstmals 1938 beschrieben. Unterschieden werden der monostotische und der polyostotische Typ. Im Rahmen der monostotischen fibrösen Dysplasie sind die Gesichtsschädelknochen in nur zehn Prozent der Fälle betroffen, bei polyostotischen Typen zu 50 bis 100 Prozent [Windholz, 1947]. Eine seltene Variante der fibrösen Dysplasie tritt im Rahmen des McCune-Albright-Syndroms auf, hier kommt es zur Bildung von polyostotischen Dysplasien in Verbindung mit Café-au-lait-Flecken und endokrinologischen Malfunktionen wie Hyperthyreoidismus, Akromegalie und pseudopubertas praecox [Dumitrescu und Collins, 2008]. Die Geschlechterprävalenz liegt mit einem Verhältnis von 60:40 leicht beim weiblichen Geschlecht. Als Wachstumsstörung junger Menschen findet sich eine altersspezifische Häufung von circa 60 Prozent der aufgetretenen Fälle in der zweiten und in der dritten Lebensdekade [Wei et al., 2010].
Die fibröse Dysplasie ist eine benigne, langsam fortschreitende Entwicklungsstörung, die durch konstantes Remodelling des Knochens entsteht. Die insuffiziente Remineralisation führt dabei zu vergleichsweise geringer mechanischer Stabilität. Eine maligne Entartung ist höchst selten und wird mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 2,5 Prozent beschrieben [Ruggieri et al., 1994]. Die Läsion wird meist erst spät durch den Patienten selbst oder im Rahmen von Routinekontrollen durch den behandelnden Zahnarzt entdeckt.
Die Symptomatik fällt dabei lokalisationsabhängig vielgestaltig aus. Häufig sind ästhetische Einschränkungen durch Asymmetrien sowie Malokklusion infolge von Zahnverlagerungen oder bei der älteren Patientenklientel mangelnder Prothesenhalt die ersten bemerkten Symptome [Choi et al., 2009]. Weitere unspezifische Symptome sind Knochenschmerzen, Schmerzen im Rahmen von Nervkompression, Diplopie und Exophthalmus [Choi et al., 2009]. Ebenfalls wurden motorische Ausfälle im Versorgungsbereich des N. facialis sowie selten Einschränkungen in der auditiven Wahrnehmung beobachtet [Yu Hon Wan und Chi Fai Tong, 2008].
Wesentliche diagnostische Informationen erhält der behandelnde Arzt nach der klinischen Untersuchung und der anamnestischen Befunderhebung radiologisch. Erstes Mittel der Wahl sind hierbei die digitale Volumentomografie oder die Computertomografie. Hier kann der bereits beschriebene Wechsel von milchglasfensterartigen, hyperostotischen Inseln zu fibröser, hypostotischer Matrix beobachtet werden und nach strahlenmorphologischer Erscheinung in einen zystischen, sklerotischen oder einen gemischten Typ subklassifziert werden. Ferner kann auch die Magnetresonanztomografie zur weiterführenden radiologischen Diagnostik herangezogen werden, dies sollte besonders bei komplexen Fällen mit Nervkompression oder räumlichem Bezug zu intrakraniellen Strukturen in Erwägung gezogen werden. Erkennen lassen sich vor allem fibröse Übergänge zu gesundem Knochen in T1-Wichtung als hypointense Zonen [Kushchayeva et al., 2018]. Differenzialdiagnostisch müssen Osteosarkome, Morbus Paget, Exostosen und ossifizierende Fibrome in Erwägung gezogen werden, diese können endgültig nur histopathologisch ausgeschlossen werden.
Die Therapieplanung orientiert sich vor allem am Leidensdruck des Patienten und der vorliegenden Symptomatik. Dabei wird zwischen abwartend observierendem Verhalten und operativer Therapie entschieden. Im Fall der operativen Versorgung erfolgt die vorsichtige, modellierende Abtragung unter strengem Schutz der benachbarten, anatomisch relevanten Strukturen. Von einer vollständigen Entfernung des Befunds kann bei Gefahr für Funktionsausfälle abgesehen werden.
Fazit für die Praxis
In seltenen Fällen ist bei einer fibrösen Dysplasie die maligne Entartung möglich, daher sollte der Befund in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden.
Erstes diagnostisches Instrument der Wahl sind die digitale Volumentomografie und die Computertomografie, die Hinzunahme weiterer diagnostischer Mittel kann lokalisationsabhängig sinnvoll sein.
Die Therapie der fibrösen Dysplasie sollte symptomorientiert chirurgisch erfolgen, je nach Befund kann auch observierend abgewartet werden.