Einigung auf Fluoridempfehlungen für Kleinkinder
Der erfreuliche Kariesrückgang in Deutschland konzentriert sich primär auf die permanente Dentition, während die Entwicklung im Milchgebiss weniger ausgeprägt ist [Team DAJ, 2017]. Daher sind weitere konsequente Präventionsmaßnahmen notwendig.
Unter den Präventionsmaßnahmen trägt die Fluoridanwendung wesentlich zur Risikoreduktion bei. Leider wurden in der Vergangenheit aber unterschiedliche Vorgehensweisen im Säuglings- und im frühen Kindesalter empfohlen [Toumba et al., 2019; DGZMK, 2013]. Parallel existierende, unterschiedliche Empfehlungen zur Gesundheitsförderung führen jedoch zur Verunsicherung von Beratungskräften und Eltern und zu einer geringeren Akzeptanz der Empfehlungen. Einheitliche Empfehlungen zur Kariesprävention durch Fluoridanwendung wurden seit vielen Jahren von Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Beratungskräften angemahnt.
Daher ist es sehr erfreulich, dass im Rahmen des Netzwerks „Gesund ins Leben“ alle relevanten Fachgesellschaften und -gruppen nun gemeinsame Empfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und im frühen Kindesalter entwickelt und verabschiedet haben. Der Fokus lag auf der Bewertung der wissenschaftlichen Evidenz bezüglich Nutzen und Risiken und auf der Frage, wie vulnerable Gruppen für die Kariesprävention erreicht werden können inklusive der Umsetzungsmöglichkeiten in den gegebenen Strukturen der Gesundheitsvorsorge in Deutschland. Berücksichtigt wurde auch die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Auftrag gegebene und durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erstellte unabhängige wissenschaftliche Bewertung von Nutzen und Risiken systemischer und lokaler Fluoridanwendungen zur Kariesprophylaxe bei Säuglingen und Kleinkindern [BfR, 2018], weitere wissenschaftliche Publikationen zur systemischen und topischen Fluoridanwendung sowie Empfehlungen, Gesundheitsziele und Leitlinien auf nationaler und internationaler Ebene. Darüber hinaus wurden sorgfältige Fluorid-Expositionsabschätzungen vorgenommen und diskutiert. Ergänzend wurden Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis zur Umsetzbarkeit und Erreichbarkeit von Familien mit Benachteiligungen sowie zur behutsamen Zahnreinigung als soziale Fürsorge- und Pflegehandlung und zu den entwicklungsbedingten Anforderungen an das Erlernen des Zähneputzens befragt.
Besonders lobend hervorzuheben ist der ergebnisoffene Dialog, bei dem die Sichtweisen und Positionen aller Beteiligten beleuchtet und unstrittige Bewertungskriterien für eine einheitliche, verständliche und im Familienalltag praktikable Empfehlung formuliert wurden. Damit liegen nun gemeinsam entwickelte Empfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und im frühen Kindesalter vor (Abbildung 2 und Tabelle 1). Initial können Vitamin-D-Tabletten mit Fluorid genutzt werden. Mit dem Zahndurchbruch soll das regelmäßige Zähneputzen etabliert und spätestens mit dem ersten Geburtstag eine reiskorngroße Zahnpastamenge mit 1.000 ppm Fluoridgehalt zweimal täglich eingebürstet werden, ab dem zweiten Geburtstag dann eine erbsengroße Menge. Tabelle 1 gibt den zentralen Teil der Empfehlungen im Wortlaut wieder [Netzwerk Gesund ins Leben, 2021].
Überdosierung wegen Fluoroserisiko vermeiden
Fluoride gelten als ein Schlüsselfaktor der Kariesprävention, aber insbesondere bei kleinen Kindern sind Überdosierungen wegen der Gefahr einer Dentalfluorose in den bleibenden Zähnen zu vermeiden [Creeth et al., 2013]. Um eine Balance zwischen Wirksamkeit und Sicherheit zu finden, wurde das von der European Food Safety Authority (EFSA) festgelegte Tolerable Upper Intake Level für Fluorid mit einem Wert von 0,1 mg/kg Körpergewicht/Tag berücksichtigt [EFSA, 2013]. Als optimale Dosis (hoher kariespräventiver Effekt und geringes Fluoroserisiko) sieht sie 0,05 mg/kg Körpergewicht/Tag an [Mejare, 2018].
Bei den Berechnungen wurden die Fluoridaufnahmen über die Nahrung – einschließlich Trinkwasser, Tabletten, Salz – und das Verschlucken von Zahnpaste berücksichtigt, um die tolerierbare Tageshöchstmenge nicht zu überschreiten – selbst unter Einbezug des zusätzlichen Zähneputzens in der Gruppenprophylaxe. Grundsätzlich sollten Speisen im Säuglingsalter ohnehin nicht gesalzen werden, im Kleinkindalter in nur sehr geringem Maß. Bei einem Trinkwasserfluoridgehalt über 0,7 mg/l und mehr soll weiterhin kein fluoridiertes Speisesalz verwendet werden [DGE, 2018; SCCNFP, 2003; Strittholm et al., 2016].
Alle Familien erreichen und befähigen
Um das gravierende Problem der frühkindlichen Karies zu lösen, müssen alle vorhandenen medizinischen Versorgungssysteme einbezogen und Konzepte umgesetzt werden, damit möglichst alle Familien mit Kindern im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter zur Kariesprophylaxe informiert und motiviert werden können, insbesondere auch Familien mit Benachteiligungen.
Die neu eingeführten Leistungen der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen (FU), praktischen Mundhygieneunterweisungen (FUPr) und Fluoridlackapplikationen (FLA) bieten ein umfassendes Präventionskonzept, das in dem kostenfrei verfügbaren praktischen Ratgeber „Frühkindliche Karies vermeiden“ (Abbildung 3) für die zahnärztliche Praxis erläutert wird.
Zusammen mit der Aufklärung und dem Verweissystem über die Pädiater und Hebammen sowie der Gruppenprophylaxe könnte es gelingen, alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen.
Prof. Dr. Christian H. Splieth
Leiter der Abteilung für Präventive Zahnmedizin & Kinderzahnheilkunde
Universitätsmedizin Greifswald, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Fleischmannstr. 42, 17475 Greifswald
splieth@uni-greifswald.de
Univ.-Prof. Dr. Dr. Norbert Krämer
Poliklinik für Kinderzahnheilkunde UKGM,
Universitätsklinikum Gießen
Schlangenzahl 14, 35392 Gießen
Prof. Dr. Ulrich Schiffner
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZMK), Poliklinik für Parodontologie, Präventive Zahnmedizin und Zahnerhaltung,
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistr. 52, 20246 Hamburg
Die Handlungsempfehlungen Kariesprävention im Säuglings- und im frühen Kindesalter gibt es kostenlos zum Bestellen oder Herunterladen unter: www.ble-medienservice.de (Bestell-Nr. 0250).
Literaturliste
BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung). Für gesunde Zähne: Fluorid-Vorbeugung bei Säuglingen und Kleinkindern. Stellungnahme Nr. 015/2018 des BfR vom 31. Mai 2018. 2018, DOI: DOI 10.17590/20180531-085715-0.
Team DAJ. Epidemiologische Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016. In. Bonn; 2017
DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde). S2k-Leitlinie „Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe“. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/083-001l_S2k_Fluoridierungsmaßnahmen_zur_Kariesprophylaxe_2013-01.pdf; Zugriff: 06.06.2014;
Toumba KJ, Twetman S, Splieth C et al. Guidelines on the use of fluoride for caries prevention in children: an updated EAPD policy document. European Archives of Paediatric Dentistry 2019, DOI: doi.org/10.1007/s40368-019-00464-2
EFSA NDA Panel. Scientific Opinion on Dietary Reference Values for fluoride. EFSA Journal 2013; 11: 3332
Creeth J, Bosma ML, Govier K. How much is a 'pea-sized amount'? A study of dentifrice dosing by parents in three countries. International dental journal 2013; 63 Suppl 2: 25-30
Mejare I. Current Guidance for Fluoride Intake: Is It Appropriate? Advances in dental research 2018; 29: 167-176
Netzwerks Gesund ins Leben (B. Berg, M. Cremer, M. Flothkötter, B. Koletzko, N. Krämer, M. Krawinkel, B. Lawrenz, H. Przyrembel, U. Schiffner, C. Splieth, K. Vetter, A. Weißenborn). Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter: Handlungsempfehlungen des bundesweiten Netzwerks Gesund ins Leben. Monatszeitschrift Kinderheilkunde 2021 im Druck.
DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung), Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE). D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. In. www.dge.de; 2019
SCCNFP (Scientific Committee on Consumer Products and Non-Food Products Intended for Consumers). Opinion on the safety of fluorine compounds in oral hygiene products for children under the age of 6 years, adopted by the SCCNFP by written procedure on 24-25 June 2003. SCCNFP/0653/03 2003, DOI:
Strittholt CA, McMillan DA, He T et al. A randomized clinical study to assess ingestion of dentifrice by children. Regulatory toxicology and