Zur Rolle der Zahnärztlichen Gutachter

Ein wichtiger Gehilfe des Gerichts

Was macht eigentlich ein Gutachter? Wie sieht sein Auftrag aus und was erwartet das Gericht? Wolfgang Frahm ist Richter am Oberlandesgericht (OLG) Schleswig und Fachmann für Arzthaftungsrecht. Auf dem Zahnärztetag Westfalen-Lippe Mitte März schilderte er online rund 120 interessierten Zahnärztinnen und Zahnärzten, worauf es in dem Job ankommt. 

Ohne Sachverständige könnten die Gerichte ihre Verfahren nicht betreiben und würden nicht zu gerechten Entscheidungen finden können“, beschreibt Frahm die Rolle des zahnärztlichen Gutachters. Der Sachverständige ist damit ein wichtiger „Gehilfe des Gerichts“.

Vor allem wenn es um konkrete Fragen zur Behandlung geht, seien die Richter auf die Expertise angewiesen. „Die Aufgabe des Sachverständigen ist es, zu beurteilen, ob die vorgenommene Behandlung dem entspricht, was von einem gewissenhaft arbeitenden und aufmerksamen Zahnarzt in dieser Situation hätte erwartet werden können“, erklärt Frahm. Er empfiehlt, zur Beurteilung Leitlinien- und Standardwerke heranzuziehen, eine Literaturliste sei im schriftlichen Gutachten ebenfalls gern gesehen. So werde dem Gericht signalisiert, dass sich der Gutachter mit dem Fall auch wissenschaftlich auseinandergesetzt hat.

Abweichen ist noch kein Fehler

Doch auch wenn der Zahnarzt bei der Behandlung von den vorgegebenen Leitlinien abgewichen ist, bedeute das nicht automatisch, dass ein Behandlungsfehler vorliegt. In diesem Fall sollte der Zahnarzt begründen, warum er anders agiert habe, rät er. Die Aufgabe des Gutachters bestehe dann darin, zu sagen, ob dieses Vorgehen in Ordnung war.

„Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Zahnarzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Zahnarzt schlechterdings nicht unterlaufen darf“, verdeutlicht Frahm. Im Prozess gehe der Gutachter diese Definition Schritt für Schritt durch. „Die Herausforderung besteht darin, dem eigenen Berufskollegen, zu sagen, dass es unverständlich war, was hier passiert ist.“

Ein Gutachter könne auch dazu beauftragt werden, die Risikoaufklärung zu beurteilen. „Immer wenn es eine Behandlungsalternative gibt, muss der Patient unter bestimmten Voraussetzungen darüber aufgeklärt werden“, stellt er klar. Und dann werde eben auch der Sachverständige gefragt, ob es eine echte Behandlungsalternative gab.

Sachverständige sollten objektiv, neutral, unbefangen, verantwortungsbewusst und sachkundig sein – und nicht aus der Umgebung des Beklagten kommen. „Wenn der Sachverständige beispielsweise aus dem 25 Kilometer entfernten Nachbarort kommt, wäre es möglich, dass er den zu beurteilenden Zahnarzt kennt und der klagende Patient das Gefühl haben kann, er sei ihm wohlgesonnen“, bekräftigt Frahm. In dieser Konstellation könne die örtliche Nähe nachteilig für den Patienten sein. Der Sachverständige sollte indes aus einer ähnlichen Versorgungsstufe stammen wie der zu beurteilende Zahnarzt, stellt Frahm fest: „Ein niedergelassener Zahnarzt schätzt eine Situation anders ein als ein Chefarzt.“

Zu den Pflichten eines Gutachters gehört in erster Linie – selbstredend – die Erstellung des Gutachtens. Daher sollte er zu Beginn prüfen, ob seine eigene Sachkunde in Hinblick auf die Beweisfragen ausreicht. Kann man in bestimmten Bereichen nichts sagen, sollte man das dem Gericht vorher auch mitteilen. Wenn Befangenheitsgründe vorliegen, müssen die Richter davon erfahren, betont Frahm. Hat der Gutachter Zweifel am Inhalt oder am Umfang des Auftrags, müsse er das Gericht davon in Kenntnis setzen, etwa wenn Behandlungsunterlagen fehlen sollten oder die Fragestellung keinen Sinn ergibt. 

Das Gericht muss wissen, was man nicht weiß

Das Gericht sollte auch erfahren, ob Sachverhaltslücken bestehen oder ob die Ausweitung des Auftrags erforderlich ist. Wichtig ist: Als Sachverständiger darf man – abgesehen von der körperlichen Untersuchung des Patienten – keine Kontakte zu einer der am Verfahren beteiligten Parteien aufnehmen, ansonsten besteht der Verdacht der Befangenheit. „Jeder Sachverständige ist zur Verschwiegenheit verpflichtet und muss bei Bedarf zu einer – mündlichen oder schriftlichen – Ergänzung des Gutachtens bereitstehen“, unterstreicht Frahm.

Aus persönlichen oder sachlichen Gründen darf ein Sachverständiger auch die Begutachtung ablehnen. Befangenheit ist beispielsweise ein möglicher Grund dafür, Arbeitsüberlastung allerdings regelmäßig nicht. In diesem Fall sollte man laut Frahm bei Gericht eine Fristverlängerung von drei auf sechs Monate beantragen.

Der Sachverständige rechnet seine Tätigkeit als Gutachter selbst ab. Seine Vergütung muss er innerhalb von drei Monaten geltend machen. Medizinische Gutachten werden nach den Honorargruppen M1 bis M3 mit unterschiedlichen Stundensätzen vergütet. Da es sich bei Gutachten in der Zahnmedizin um einen hohen Schwierigkeitsgrad handelt, erhält ein zahnärztlicher Sachverständiger laut Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) M3. Das entspricht einem Stundensatz von 120 Euro.

Haftet der Gutachter auch? Nur in Ausnahmefällen – zum Beispiel wenn das Gutachten vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch erstellt wurde und die gerichtliche Entscheidung dann auf den Ausagen beruht, führt Frahm aus. Dennoch müsse man sich als Gutachter darüber keine Sorgen machen, denn es gebe so gut wie keine Haftungsfälle.

Die Beurteilung ist der Kern

Was aber gehört eigentlich in ein Gutachten? „Neben der vorangestellten kurzen Zusammenfassung des Inhalts und einer kurzen Wiedergabe des Sachverhalts, vor allem die sachverständige Beurteilung“, erklärt Frahm. „Sie ist der Kern des Gutachtens. Hier geht der Sachverständige auf Behandlungsfehler, mögliche Aufklärungsfehler und den Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und beklagtem Gesundheitszustand ein.“ Im Anschluss folge dann die zusammenfassende Stellungnahme, die ein Richter gerne zu Beginn liest, wie Frahm aus eigener Erfahrung weiß. Den Abschluss bilden das Literaturverzeichnis und die Unterschrift. Ein Gutachten muss übrigens stets persönlich vom Sachverständigen erstellt werden, betont Frahm. Andere Personen dürfen daran nur mitarbeiten, wenn sie namentlich benannt werden und dies das Gericht gestattet hat. 

Wolfgang Frahm

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht (OLG) Schleswig

Der Begriff „Sachverständiger“ wird meist von Behörden verwendet, geläufiger ist die Bezeichnung „Gutachter“. Jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt hat die Pflicht zur Gutachtenerstellung, wenn sie oder er von einem Gericht beauftragt wird.

Wolfgang Frahm

Vorsitzender Richter 
am Oberlandesgericht (OLG) Schleswig

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