Die Patientenautonomie muss überall respektiert werden
In Zeiten der Pandemie sind Hilfseinsätze von sozialen Projekten und Organisationen nur sehr eingeschränkt möglich. Umso wichtiger war der diesjährige Termin der Konferenz der in- und ausländischen Hilfsorganisationen, initiiert von der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), um im Austausch zu bleiben – natürlich virtuell. Dr. Karsten Heegewaldt, Vorstandsreferent für Soziale Aufgaben und Hilfsorganisationen, betonte bei der Eröffnung die Hoffnung, „dass wir beim Impfen und bei der Entwicklung einer effektiven Teststrategie zügig vorankommen. Damit die engagierten Zahnärztinnen und Zahnärzte ihre ehrenamtliche Arbeit bald wieder im vollen Umfang aufnehmen können.“ Im Zuge dessen adressierte er auch an die Politik, den Kampf gegen die Missstände nicht vorrangig und dauerhaft von ehrenamtlichen Helfern austragen zu lassen.
„Die Pandemie verschärft soziale Ungleichheiten im Inland und in noch größerem Maße im Ausland, sie wirkt wie ein Brennglas“, sagte Prof. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. „Die Einschränkungen waren und sind ein großes Problem. Dennoch haben Zahnärztinnen und Zahnärzte in dem durch Corona sehr engen Rahmen geholfen, wo es möglich war.“ Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Maria Flachsbarth (CDU), dankte in ihrer Videobotschaft den Helfern für ihren Einsatz und brachte es bereits eingangs auf den Punkt: „Die Pandemie kann nur weltweit besiegt werden oder gar nicht!“
Für Selbst-Marketing ist kein Platz
Das zentrale Thema der Zusammenkunft waren vor allem die ethischen Aspekte, unter denen deutsche Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Studierende Hilfe leisten. Selbstverständlich müssten bei den Einsätzen in armen Regionen dieselben ethischen und rechtlichen Voraussetzungen berücksichtigt werden wie bei einer Behandlung in einer deutschen Zahnarztpraxis. Der Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Aachen, Prof. Dominik Groß, nannte beispielhaft die Wahrung der Patientenautonomie. Mit Falldiskussionen veranschaulichte er, was sowohl die medizinischen Helfer vor Ort als auch die Berichterstattung im Anschluss berücksichtigen müssen.
Zwei Punkte sind für Groß dabei zentral: Zum einen dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, dass Zahnärzte vor allem als Touristen in Krisengebieten oder ärmeren Ländern unterwegs sind. Ihre Person und ihre Geschichte sollten bei der Berichterstattung daher nicht im Vordergrund stehen. Den Urlaubsaufenthalt selbst mit dem Hilfseinsatz zu verbinden, sei aber grundsätzlich „nicht unethisch“, so Groß‘ Fazit. Der touristische Aspekt dürfe allerdings den Inhalt der medizinischen Hilfe nicht überlagern: „Der Bericht sollte die Rolle der Helfer und der Hilfsbedürftigen in angemessener Weise reflektieren und darstellen – auf der inhaltlichen Ebene mit einer respektvollen Beschreibung der Ungleichheiten, sowie auf der sprachlichen Ebene wertschätzend formuliert“, erklärte er.
Zum anderen erörterte der Medizinethiker den Einsatz und das Tätigkeitsspektrum von Zahnmedizinstudierenden bei Hilfseinsätzen. Die Rechtslage sei dabei klar: Nach § 1 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde dürften nur approbierte Zahnärzte diese durchführen. Die Ausnahmen stellten eine Ausbildungssituation im Sinne des § 7 ZApprO oder ein Famulaturverhältnis im Sinne von § 15 ZApprO dar. Weiter erlaube der Eingriff im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands, also eines akut lebensbedrohlichen Zustands, den Einsatz von Studierenden. Doch auch, wenn es vor Ort nicht immer übersichtlich zugehe: Der übergeordnete Zahnarzt müsse sicherstellen, dass sich die Studierenden in diesem rechtlichen Rahmen bewegen, und habe die Garantenpflicht. Groß betonte: „Der hehre Wille zur Hilfe kann die zivilrechtliche Haftung der Helfer nicht übertrumpfen.“
Um dem entgegenzuwirken, müsse auch vor Ort immer die Patientenautonomie respektiert und der Ausbildungsstand der Studierenden dargelegt werden, erklärte er weiter. Hierfür müsse grundsätzlich eine vollständige und verständliche Aufklärung erfolgen, bei der es gelingt, die Sprachbarriere zu überwinden und eine Beziehung herzustellen. Das könne mit einem einheimischen Übersetzer, mittels Piktogrammen oder Aufzeichnungen in Lautschrift, mit der Gestik, Mimik und der Tonalität der Stimme geschehen. Außerdem seien gegebenenfalls Behandlungsalternativen abzuklären.
Keine Hilfe zu leisten ist unmoralisch
Für die Einsätze gelte ebenfalls das Nichtschadensgebot. Dieses umfasse die arbeitstechnischen Rahmenbedingungen – Instrumentarien, Geräte, Diagnostik, Hygiene, Einwegartikel und die Stuhlassistenz. Aber eben auch das Wissen und die Erfahrung des Behandlers. „Studierende sollten nur gemäß ihrer Qualifikation und der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen eingesetzt werden“, lautet der Rat des Medizinethikers.
Die Hilfe von Studierenden könne dazu beitragen, die zahnmedizinische Versorgung zu verbessern. Andererseits gelte jedoch auch: „Aufgrund reduzierter oder erschwerter diagnostischer Möglichkeiten und mangelnder Routine besteht ein erhöhtes Risiko für fehlerhafte Diagnosen und Therapieentscheidungen.“ So dürften Patienten niemals instrumentalisiert werden, um das fachliche Wissen und die Skills zu verbessern. Und auch die Fairness-Kriterien müssten überprüft werden: „Ist die Belastung für den Patienten im angebotenen Setting angemessen und ist er in seiner Entscheidung frei? Verbessert die Einbindung von Studierenden in der Summe die Versorgung der Patienten? Sind umgekehrt die an den Studierenden gestellten Erwartungen fair und angemessen?“ Unproblematisch sei der Einsatz der Nachwuchszahnärzte im Ausland bei der allgemeinen Anamnese und der vorbereitenden Aufklärung, bei Vorbehandlungen und Mundhygieneinstruktionen.
Die Herden-Intelligenz kann helfen
Nicht jeder Helfer müsse eine medizinische Ausbildung haben, um einen Hilfsbeitrag zu leisten, erklärte Prof. Dr. Andrew Ullmann, der stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses Globale Gesundheit des Deutschen Bundestags und selbst Arzt sowie Infektiologe. Er unterstrich in seinem Vortrag die Wirkung von Herden-Intelligenz – also die Kraft aus der Summe der Helfer, „wie eine mobilisierte Hilfe in der Masse“. Diese habe die Kindersterblichkeit in Teilen Afrikas verringert und bei der Prävention von Infektionskrankheiten wie Malaria, Aids und Tuberkulose geholfen.
Ullmann wies im Zusammenhang mit der Pandemie auf die wachsende Ungleichbehandlung von Frauen und auf die Vernachlässigung von Kindern hin und lud die Organisationen und Helfer dazu ein, sich auf der Plattform globalhealthhub.de anzumelden und hier zu vernetzen.