FDP-Vorstoß

Gewerbliche Aligner-Anbieter geraten verstärkt unter Beschuss

Die FDP-Fraktion im Bundestag fordert in einem Antrag, gewerbliche Aligner-Behandlungen ohne vollumfängliche zahnheilkundliche Begleitung zu unterbinden. Aus Sicht des FDP-Bundestagsabgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg ist andernfalls das Patientenwohl gefährdet. Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) begrüßt den Vorstoß und macht einen Vorschlag zur Änderung des Zahnheilkundegesetzes.

In dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion heißt es, der Bundestag möge die Bundesregierung auffordern,

1. gemeinsam mit den zuständigen Selbstverwaltungsgremien und Ländern Maßnahmen zu ergreifen, damit Aligner-Behandlungen nicht mehr von gewerblichen Unternehmen ohne eine vollumfängliche zahnheilkundliche Begleitung durch approbierte Kieferorthopäden oder Zahnärzte angeboten werden können,

2. die bestehenden Gesetze daraufhin zu überprüfen, dass sie im Interesse der Patientensicherheit schnell und effektiv durchgesetzt werden können und im Bedarfsfall für rechtliche Klarheit zu sorgen,

3. dem Bundestag bis zum 31. März 2021 über die getroffenen Maßnahmen zu berichten.

Die FDP argumentiert, dass nach § 1 Zahnheilkundegesetz (ZHG) Behandlungen im Bereich der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde zum Schutz der Patienten und der Versorgungsqualität allein in der Verantwortung von Zahnärzten und Kieferorthopäden liegen dürfen. Folgerichtig dürften auch Aligner-Behandlungen nur von Kieferorthopäden oder Zahnärzten durchgeführt werden, da die Veränderung der Zahnstellung einen Eingriff ins stomatognathe System und insbesondere den Zahnhalteapparat darstellt.

Keine Kosmetik, sondern Zahnheilkunde

„Anomalien der Zahnstellung sind in § 1 Abs. 3 ZHG als Krankheit definiert”, schreibt die FDP weiter, „so dass die Korrektur von Fehlstellungen eine Behandlung einer Krankheit im Sinne des ZHG darstellt.” Insofern handele es sich bei einer Aligner-Therapie nicht um eine kosmetische, sondern um eine zahnheilkundliche Behandlung.

BZÄK-Vorschlag für § 1 Abs. 4 ZHG

„Der zahnärztliche Beruf ist kein Gewerbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf. Er kann alleine oder in Gemeinschaft selbstständig sowie in angestellter Form ausgeübt werden. Bei allen Formen der Berufsausübung ist die eigenverantwortliche, unabhängige und nicht gewerbliche Tätigkeit zu gewährleisten.

Eine juristische Person des Privatrechts, deren Unternehmensgegenstand die Ausübung der Zahnheilkunde ist, muss darüber hinaus gewährleisten, dass

a) diese von Zahnärzten oder von Zahnärzten mit anderen selbstständig Tätigen und zur eigenverantwortlichen Berufsausübung berechtigten Angehörigen anderer Heilberufe oder staatlicher Ausbildungsberufe im Gesundheitswesen gegründet und betrieben wird,

b) Gegenstand des Unternehmens die ausschließliche Wahrnehmung heilberuflicher Tätigkeit ist,

c) die unter a) genannten Personen in der Gesellschaft beruflich tätig sind,

d) die Tätigkeit frei von Weisungen berufsfremder Personen erfolgt,

e) die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und der Stimmrechte Zahnärzten zusteht,

f)  diese durch einen Zahnarzt geführt wird und die gesetzliche Vertretung mehrheitlich von Zahnärzten wahrgenommen wird,

g) Dritte nicht am Gewinn der Gesellschaft beteiligt sind,

h) eine ausreichende Berufshaftpflichtversicherung für die juristische Person des Privatrechts und die dort beschäftigten Zahnärzte besteht,

j) die juristische Person ihren Sitz im Inland hat.

Vor Eintragung der juristischen Person ins Handelsregister sowie bei jeglichen Änderungen sind die Gesellschaftsverträge der zuständigen (Landes-)Zahnärztekammer zur Stellungnahme zum Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen vorzulegen.“

„In den vergangenen Jahren sind aber auch Unternehmen in diesen Markt eingestiegen, die meist über das Internet eine Behandlung oft ohne die Begleitung eines Kieferorthopäden oder eines approbierten Zahnarztes anbieten”, beklagt die Fraktion. Die Geschäftspraxis, Patienten Abdruck-Sets mit Alginat-Masse nach Hause zu liefern, damit diese selbst ein analoges Kiefer-Modell erstellen, führe zu einer „Therapie des Patienten in Eigenregie” mit hohen gesundheitlichen und finanziellen Risiken.

Die Patienten sollen geschützt werden

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Wieland Schinnenburg sieht daher dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf: „Die Durchführung von Aligner-Behandlungen ohne eine fachliche zahnheilkundliche Betreuung ist gesetzlich verboten. Wir dürfen nicht zulassen, dass Zahnfehlstellungen ohne medizinische Expertise behandelt werden“, erklärte er gegenüber den zm und fügte hinzu: „Ich fordere daher Bund, Länder und die zuständigen Selbstverwaltungsgremien im Gesundheitswesen dazu auf, die Patientensicherheit zu stärken und hier durchzugreifen.“ Denn oft könnten Patienten nicht erkennen, ob eine angebotene Behandlung den vorgegebenen Standards entspricht. Sie müssten deshalb besonders geschützt werden, um Gesundheitsschäden und hohe Folgekosten durch Fehlbehandlungen abzuwenden, so Schinnenburg weiter.

Verbotene Ausübung der Zahnheilkunde?

„Die Verantwortung für zahnheilkundliche Behandlungen liegt [...] ausschließlich in der Verantwortung von approbierten Zahnärzten. Sie entscheiden im Einzelfall, ob Teilaufgaben vom zahnärztlichen Fachpersonal unter Aufsicht unternommen werden können”, verdeutlicht die FDP in ihrem Antrag. „Alles davon Abweichende ist eine verbotene Ausübung der Zahnheilkunde zu gewerblichen Zwecken.”

Branchenriesen steigen in den Endkundenmarkt ein

Es gibt Bewegung im Alignermarkt: Zum Jahreswechsel hat Dentsply Sirona den Aligner-Anbieter Byte übernommen. Byte operiert bisher in den USA und in Australien – und verschickt Abdrucksets per Post. Durch die Transaktion erzielt Dentsply Sirona „Vorteile im wichtigen Markt für Clear Aligner und stärkt seine Bindung zu Zahnärzten und Kieferorthopäden“, teilt das Unternehmen mit.

Dentsply Sirona sieht „ein erhebliches Potenzial“, den Markt für Clear-Aligner-Lösungen weiter zu erweitern. Dazu sollen zusätzliche Patienten mit Zahnärzten und Kieferorthopäden in Kontakt gebracht werden, um ihnen Zugang zu einer „qualitativ hochwertigen zahnmedizinischen Versorgung“ zu erleichtern. Dabei ist Bytes „innovatives Geschäftsmodell“ (Dentsply) ein altbekanntes und – zumindest in Deutschland – stark kritisiertes: Wie der deutsche Anbieter PlusDental auch verschickt das Unternehmen Abdrucksets per Post, mit denen Kunden selbst die Grundlage für ihre kosmetische kieferorthopädische Behandlung liefern.

Mit dem Zukauf erweitert Dentsply Sirona seine Aktivitäten auf dem Alignermarkt um das Endkundengeschäft. Unter den Namen „SureSmile“ bietet das Unternehmen Zahnärzten nach dem Hochladen von Patienten-Scans eine komplette Behandlungsplanung und -organisation auch komplexer Zahnfehlstellungen inklusive Alignerproduktion an. Kunden werden über das gleichlautende Webportal an teilnehmende Zahnärzte weitergeleitet.

Eine vergleichbare Strategie der Binnenaufteilung des Markts fährt auch die Schweizer Straumann Holding AG, die sich im Juli 2020 laut Unternehmen eine „bedeutende Mehrheitsbeteiligung“ am deutschen Aligner-Start-up DrSmile – Medienberichten zufolge inklusive Option auf vollständige Übernahme – gesichert hat. Die Idee: DrSmile soll künftig Alignerprodukte für einfache Lösungen, die Eigenmarke „ClearCorrect“ Lösungen für mittlere bis komplexe Fälle anbieten.

Laut Stellungnahme „begrüßt“ DrSmile den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion. „Wir fordern schon lange eine klare Regelung für den Aligner-Markt“, schreibt das Unternehmen und betont, die Patientensicherheit sollte dabei immer im Vordergrund stehen. Auch Marktbegleiter PlusDental unterstützt den Antrag. „Zwar bieten wir nach wie vor Abdrucksets für zu Hause an“, schreibt das Start-up, „allerdings werden auch diese Abdrücke von Zahnärzten untersucht.“ Man scheint sich einig zu sein: Die ständige Begleitung durch approbierte Zahnärzte und Kieferorthopäden ist zwingend erforderlich.

Problematisch sei, dass die sonst bei Heilbehandlungen übliche Aufsicht und Überwachung durch die Organe der Selbstverwaltungskörperschaften bei gewerblichen Anbietern nicht stattfindet, da diese nur Tätigkeiten ihrer Mitglieder verfolgen können. Fazit der FDP: „Wenn aber eine Behandlung durch die Patienten selbst und ohne Kontrolle von Kieferorthopäden oder Zahnärzten vorgenommen wird, kann die Aufsicht und Überwachung durch die Organe der Selbstverwaltungskörperschaften nicht stattfinden.”

BZÄK für Änderung des Zahnheilkundegesetzes

Aus Sicht der BZÄK klafft eine deutliche Lücke zwischen dem gewerblichen Profitstreben der Aligner-Anbieter und den Ansprüchen des Berufsrechts. Sie begrüßt daher den FDP-Vorstoß, diese Lücke schließen zu wollen. Denn aktuell gelten die Heilberufsgesetze rechtssystematisch nur für die Mitglieder der Landeszahnärztekammern. Da die Unternehmen – in der Regel GmbHs – derzeit nicht Kammermitglieder sind, könnten die Kammern auch keine Berufsaufsicht ausüben, schlussfolgert die BZÄK. Um im Interesse der Patientinnen und Patienten die nötige Transparenz zu schaffen und die zahnärztliche Unabhängigkeit zu wahren, schlägt die BZÄK daher vor, § 1 Abs. 4 ZHG neu zu formulieren, um die berufsrechtliche Aufsicht der Landeszahnärztekammern auszuweiten (siehe Kasten vorherige Seite). Damit geht sie über den FDP-Antrag hinaus.

sr/ck

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