Partielle Pulpotomie ohne Altersbegrenzung
Während der Exkavation einer tiefen kariösen Läsion, die bis weit ins Dentin reicht, lässt sich eine Pulpaeröffnung nicht immer vermeiden. In solchen Fällen kann man versuchen, die Vitalität der Pulpa weitestgehend zu erhalten. Grundvoraussetzung ist allerdings eine Symptomlosigkeit beziehungsweise das Fehlen von Anzeichen einer irreversiblen Pulpitis. Maßnahmen zur Erhaltung der Pulpa können dabei die direkte Pulpaüberkappung, die partielle Pulpotomie oder die komplette Pulpotomie sein.
Klinische Studien konnten zeigen, dass bei Zähnen, bei denen während der Kariesexkavation eine vitale Pulpa eröffnet wurde, eine irreversible Schädigung der Pulpa häufig auf den Bereich begrenzt ist, der direkt an die kariöse Läsion grenzt. Hier stellt sich die Frage, ob man mit einer partiellen oder totalen koronalen Pulpotomie das irreversibel geschädigte Pulpagewebe entfernen und damit eine Vitalexstirpation vermeiden kann. Die partielle Pulpotomie hat dabei den Vorteil, dass das zellreiche Gewebe der koronalen Pulpa erhalten bleibt, was eine weitergehende Anlagerung von Dentin bewirkt und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit einer Wurzelobliteration vermeiden hilft. Während frühere Studien zeigen, dass man mit dieser Maßnahme bei jungen Patienten mit einer hohen Erfolgsrate rechnen kann, gibt es nur sehr wenige Untersuchungen, die sich mit einer partiellen Pulpotomie bei älteren Erwachsenen beschäftigt haben. In der vorliegenden retrospektiven Untersuchung wurden daher die klinischen und radiologischen Erfolgsaussichten einer partiellen Pulpotomie bei bleibenden Zähnen nach Kariesexkavation untersucht, ohne dass die Maßnahme auf bestimmte Altersgruppen beschränkt wurde.
Material und Methoden
Zunächst wurden anhand der Patientendokumentation 191 Patienten identifiziert, die in den Jahren 2010 bis 2019 im Studierendenkurs der Universitätszahnklinik Basel eine vitalerhaltende Pulpatherapie beziehungsweise eine direkte Überkappung erhielten. Diese wurden nach bestimmten Inklusions- und Exklusionskriterien gescreent und die folgenden klinischen Parameter wurden dokumentiert:
Sondierungstiefe
Reaktion des Zahnes auf Kältetest
Schmerzen oder Perkussionsempfindlichkeit
Symptome
Verfärbungen
Überkappungsmaterial
Restaurationsmaterial
Von allen Patienten wurden vor der partiellen Pulpotomie intraorale Röntgenaufnahmen angefertigt. Weitere Röntgenaufnahmen wurden direkt nach Durchführung der Maßnahme und einem Follow-up angefertigt. Die Röntgenaufnahmen wurden miteinander verglichen und unterschiedliche Parameter – zum Beispiel Hartgewebsbildung, Verengung der Pulpenkammer, Vorhandensein einer apikalen Läsion – bewertet. Für detaillierte Informationen sei auf die Open-Access-Originalpublikation hingewiesen.
Pulpotomien wurden ausschließlich an Zähnen durchgeführt, bei denen keine Symptome einer irreversiblen Pulpitis festzustellen waren. Bei diesen Zähnen wurden nach Lokalanästhesie die vorhandene tiefe Dentinkaries entfernt und die dabei eröffnete Pulpa mit 0,2 Prozent Chlorhexidindigluconat beziehungsweise 1 Prozent Natriumhypochlorit vor der Pulpaeröffnung desinfiziert. Die koronale Pulpa wurde mit einem sterilen Diamantbohrer bis zu einer Tiefe von 2–3 mm entfernt. Die Blutstillung erfolgte mit 1 Prozent NaCl für eine bis fünf Minuten, danach wurde die Pulpa mit Kalziumhydroxid oder Mineral Trioxid Aggregat abgedeckt. Dann wurde das Überkappungsmaterial mit einem lichthärtenden Kalziumhydroxid-Liner überschichtet und anschließend wurde der Zahn mit einer konventionellen, adhäsiven Restauration in der gleichen Sitzung gefüllt. Falls die Blutung nach fünf Minuten nicht zum Stillstand gekommen war, wurde weiteres Pulpagewebe entfernt und die Prozedur wiederholt. Kam die Blutung dann nicht zum Stillstand, wurde von einer irreversiblen Pulpitis ausgegangen und eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet.
AUS DER WISSENSCHAFT
In dieser Rubrik berichten die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der zm regelmäßig über interessante wissenschaftliche Studien und aktuelle Fragestellungen aus der nationalen und internationalen Forschung.
Die wissenschaftliche Beirat der zm besteht aus folgenden Mitgliedern:
Univ.-Prof. Dr. Elmar Hellwig, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Univ.-Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universität Bonn
Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, Universitätsmedizin Mainz
Bei den primär 154 Patienten wurde in 111 Fällen eine partielle Pulpotomie durchgeführt. Bei 64 dieser 111 Fälle ließ sich eine komplette Dokumentation der Krankengeschichte nachvollziehen. Bei 20 Fällen lag eine nur inkomplette Dokumentation vor, 27 Fälle ließen sich nicht mehr nachvollziehen. Die meisten Pulpotomien wurden bei Molaren durchgeführt, gefolgt von Prämolaren und Eckzähnen. Insgesamt war nur ein einziger mittlerer Schneidezahn betroffen. Bei den meisten Zähnen (n = 63) wurde MTA als Überkappungsmaterial verwendet. Das mittlere Alter der Patientengruppe betrug 37,3 ± 13,5 Jahre. Der mittlere Beobachtungszeitraum nach Durchführung der Maßnahmen betrug 3,1 ± 2 Jahre, wobei der maximale Beobachtungszeitraum bei 7,4 Jahren lag. Insgesamt war bei 89,1 Prozent der eingeschlossenen Fälle die Pulpavitalität gegeben. Nur bei sieben Fällen wurde ein Misserfolg festgestellt. Dieser Misserfolg hatte unterschiedliche Ursachen. Es gab bei genauer Betrachtung der Erfolgsrate keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der Altersgruppe unter 30, der Altersgruppe von 30 bis 40 und der Altersgruppe über 40 Jahren. Betrachtet man die kumulative Überlebensrate der Pulpa, so betrug diese nach einem Jahr 93,8 Prozent, nach zwei Jahren 91,5 Prozent, nach sechs Jahren 85,8 Prozent und fiel nach 7,4 Jahren auf 48,9 Prozent.
Diskussion
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Erfolgsquote nach partieller Pulpotomie mit zunehmendem Alter zwar geringer ist, dass diese aber durchaus eine gute Möglichkeit ist, auch bei älteren Patienten die Pulpa zu erhalten. Wichtig ist dabei allerdings, dass die Indikation für die partielle Pulpotomie klaren Kriterien unterliegen muss. In der vorliegenden Untersuchung wurden vier der insgesamt sieben Misserfolge bereits im ersten Jahr nach Durchführung der Maßnahme gefunden. Dies wurde auch in anderen Studien berichtet und verdeutlicht, dass nach einer partiellen Pulpotomie zunächst eine engmaschige Kontrolle im Rahmen des Recalls stattfinden muss. Dabei muss auch radiologisch darauf geachtet werden, ob es zu einer Obliteration der Kronen- beziehungsweise Wurzelpulpa kommt.
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine retrospektive klinische Untersuchung. Zudem wurden die partiellen Pulpotomien von unterschiedlichen Behandlern durchgeführt. 18 Prozent der Patienten mussten ausgeschlossen werden, weil keine ausreichenden radiologischen Unterlagen vorlagen. Patienten, die im Studierendenkurs behandelt werden, sind zudem nicht repräsentativ für alle Patienten, die in Zahnarztpraxen therapiert werden. Eine weitere Limitation liegt darin, dass 24 Prozent der Patienten nicht nachuntersucht werden konnten.
Klinische Relevanz
Trotz der Limitationen lässt die Untersuchung Schlussfolgerungen für die klinische Praxis zu. Mit einer Erfolgsrate von 89,1 Prozent ist die partielle Pulpotomie eine überlegenswerte Behandlungsmethode bei bleibenden Zähnen mit tiefen kariösen Läsionen in nahezu allen Altersgruppen. Bei richtiger Indikationsstellung können so Wurzelkanalbehandlungen vermieden werden.
Eggmann F, Gasser TJW, Hecker H, Amato M, Weiger R, Zaugg LK: Partial pulpotomy without age restriction: a retrospective assessment of permanent teeth with carious pulp exposure. Clin Oral Investig. 2022 Jan; 26(1):365–373. doi: 10.1007/s00784–021–04007–2