Stirbt die kleine Praxis?
Man hört das oft: Die kleine, allein geführte Zahnarztpraxis hat keine Chance mehr. Warum nicht? Weil das Fach zu groß geworden sei, weil die wirtschaftliche Synergie fehle, weil die Jugend nur noch im Team arbeiten wolle – und das am liebsten angestellt. Stimmt das eigentlich alles?
Als jemand, der jetzt 39 Jahre Zahnarzt ist, lässt sich klar sagen, dass die Zahnmedizin nicht größer wird, sie greift nur ständig Themen neu und anders auf. Dafür fällt dann aber auch wieder viel hinten herunter. Offene Augen und lebenslanges Lernen sind der richtige Weg, damit umzugehen, starre Spezialisierungen können schnell aus der Zeit fallen. Gleichzeitig machen moderne Konzepte auch vieles einfacher: NiTi-Feilen, digitale Abformung, Bohrschablonen, Aligner, neue Leitlinien. Wache Generalisten werden ohne Probleme den Großteil der Patientenbedürfnisse in bester Qualität abdecken. Für den Rest gibt es den Überweiserkontakt, der natürlich keine Einbahnstraße ist, weil jede Praxis irgendetwas besonders gerne und gut macht: Paro, Pflegezahnmedizin, Endo, Kinderbehandlung, Narkose. All das in einer Großpraxis anbieten zu wollen, braucht Workaholic-Chefs und muss nicht besser sein als ein gut etabliertes Netzwerk.
Geht die kleine Praxis unter, weil ihr wirtschaftliche Synergieffekte fehlen? Nein, denn Zahnmedizin ist Manufaktur und nicht Industrie. Behandelnde brauchen Dinge nur für sich: Raum, Stuhl, Assistenz, PC, Endomotor. Mehrere Behandelnde lassen diesen Bedarf linear ansteigen. Um Nadelöhre zu vermeiden, benötigt es dann zusätzlich Ausstattung und Personal an der Rezeption, in der hygienischen Aufbereitung, im Röntgen. Eine kleine Praxis kann ihre Strukturen leichter überblicken, eine große braucht Personalmanagement, Einkaufswesen, Management, nicht selten auch Investorengeld. Steigt damit dann wirklich die Effizienz oder nur die Zahl der Mitverdiener?
Arbeiten im Team ist eine junge Vorstellung, die nach geteiltem Leid und doppelter Freude klingt. Wie aber sieht die Realität aus? Es ist wie beim Autofahren: Wenn alle steuern wollen, entsteht Chaos und Frust. Wenn man sich auf einen Fahrer einigt, sind alle anderen halt nur Beifahrer. Was wenn man sich freiwillig auf den Rücksitz setzt: Angestellt mit festen Arbeitszeiten und nur noch Zahnmedizin? Wenn das so leicht wäre, dann nur, weil manche Praxen ihren Angestellten Vieles abnehmen. Krankenhäuser tun das nicht. 35 Prozent der angestellten Ärztinnen und Ärzte geben an, mehr als drei Stunden am Tag mit Verwaltungstätigkeiten betraut zu sein.
Mit dem Gerede von den vermeintlichen Vorzügen großer Strukturen hat die Medizin das Fremdkapital angelockt. Uns in der Zahnmedizin war von Anfang an klar, wie problematisch das ist. Jetzt endlich wird auch die allgemeine Medizin wach. Dr. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, sagte anlässlich der Vertreterversammlung in Bremen, dass in Fachgebieten wie der Augenheilkunde und der Radiologie bereits zu viele Praxen von Private Equity aufgekauft worden seien. „Dort werden im Zweifelsfall nur noch die Leistungen angeboten, die eine entsprechende Rendite versprechen.“ Die gleiche Warnung sprach Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, auf dem Ärztetag in Bremen aus: „Es kann nicht sein, dass die Versorgung mehr und mehr denjenigen überlassen wird, deren primäres Ziel es ist, für ihre Kapitalinvestoren möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften.“
Die kleine Praxis kann ihre Patientinnen und Patienten nicht nach Rendite selektieren, sie braucht den dauerhaft guten und breiten Patientenkontakt. Die kleine Praxis ist auch die einzige Struktur, die sich den Bedürfnissen des ländlichen Raumes optimal anpassen kann.
Vielleicht gelingt es uns in der Zahnmedizin leichter, die Büchse der Fremdkapital-Pandora wieder zu schließen, die die Politik ohne Not geöffnet hat. Wir haben den Vorteil, dass wir die gleichen freiberuflichen Ziele haben, auch wenn wir unseren Beruf verschieden ausüben: angestellt, kleine Praxis, große Praxis. Alles hat seine Berechtigung, nichts davon wird untergehen, jedenfalls solange nicht, wie wir es am Leben halten. Gute Gründe, die kleine Praxis für eine sterbende Struktur zu halten, gibt es schlicht nicht.