So sollte ein Mundschutz gestaltet sein
Bei vielen Sportarten ist das Verletzungsrisiko für Zähne, Mund und Kieferknochen sehr hoch. Deshalb wird nicht nur bei Kontakt-Sportarten, sondern etwa auch beim Inline-Skating oder beim Reiten das Tragen eines Zahnschutzes empfohlen. Dabei korreliert die Effektivität mit der korrekten Passform. Forschende aus Toronto haben in einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit den derzeitigen Wissensstand zusammengefasst und die Studienergebnisse in der Fachzeitschrift Dental Traumatology veröffentlicht.
Ein Mundschutz zur Verhütung orofazialer Verletzungen sollten idealerweise eine feine Balance zwischen Schutz und Tragekomfort halten. Die Autoren erklären, dass die Maxilla grundsätzlich einem höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt sei, wenngleich sich bei einer Klasse-III-Okklusion das Risiko eher in Richtung Mandibula verschiebe. Idealerweise wird in beiden Kiefern ein Schutz getragen – wird das vom Träger nicht toleriert, sollte der Mundschutz in dem Kiefer getragen werden, der dem höheren Risiko ausgesetzt ist.
Mindestens 3 Millimeter stark
Bei der Herstellung müsse grundsätzlich darauf geachtet werden, die gesamte Zahnreihe bis zum letzten Molaren zu integrieren (distale Extension). Überdies müssten genügend Raum fürs Weichgewebe belassen und Aussparungen im Bereich des Frenulums integriert werden. Lippen und Wangen sollten trotz des recht voluminösen Mundschutzes nicht gespannt werden und noch eine natürliche Position einnehmen können. Die Zähne müssen vom Mundschutz vollständig bedeckt sein, darüber hinaus auch ein Teil der Gingiva, wobei im Hinblick auf den Tragekomfort palatinal nicht weiter als zehn Millimeter über den Zahnfleischsaum extendiert werden sollte. Eine durchgehende Materialstärke von drei Millimetern solle nicht unterschritten werden, um einen sicheren Schutz zu bieten. Eine Materialstärke von mehr als vier Millimetern erhöhe den Schutz nicht immens, erklären die Autoren. Diese Werte gelten auch okklusal im Hinblick auf die Absorption von Kräften.
Es gibt grundsätzlich drei verschiedene Mundschutz-Typen: den konfektionierten, den individuell angepassten und den individuell angefertigten Mundschutz. Der konfektionierte Mundschutz ist sehr kostengünstig, biete aber einen nur geringen Schutz sowie wenig Komfort aufgrund der schlechten Passform und halte nur durch konstantes Zusammenbeißen. Dies berge langfristig das Risiko der Entwicklung von Schmerzen im Kiefergelenkbereich, weshalb die Autoren von diesem Typ abraten. Der individuell angepasste Mundschutz besteht aus thermoplastischem Material und biete einen kostengünstigen Schutz, obgleich die Anpassung bei Weitem nicht der eines individuell angefertigten Mundschutzes entspreche. Wenn die Anpassung fehlerhaft durchgeführt wird, könne dieser Typ ebenfalls die Gefahr von negativen Auswirkungen beim Tragen bergen. Weiterhin könne die Materialstärke bei der Anpassung in manchen Bereichen so reduziert werden, dass sie drei Millimeter unterschreite und nicht mehr sicher sei.
Der individuell gefertigte Mundschutz ist der Goldstandard
Ein individuell angefertigter Mundschutz stelle gegenüber den vorgenannten den Goldstandard dar und sei insbesondere bei impaktierten Eckzähnen sowie bei Patienten mit Implantaten indiziert, erklären die Forschenden. Neben einem optimalen Schutz sollen diese sogar die Leistungsfähigkeit der Sportler steigern, während andere Varianten diese eher herabsetzen. Die optimale Passform könne den Unterkiefer in seiner natürlichen Position fixieren und damit die Balance fördern. Auch festsitzende kieferorthopädische Apparaturen könnten bei einem individuell angefertigten Mundschutz berücksichtigt werden.
Die Anfertigung erfolgt auf der Basis eines digitalen oder physischen Abdrucks. Die Autoren empfehlen für den Mundschutz ein Material auf Ethylvinylacetat-Basis, da dessen Materialeigenschaften in puncto Flexibilität und Elastizität optimal seien. Eine sorgfältige Politur nach Herstellung der Schiene sei wichtig für eine langfristig gute Reinigungsfähigkeit. Alternativ werden in der Übersichtsarbeit dünnere EVA-Schienen mit zusätzlicher Gummibeschichtung auf den Okklusalflächen erwähnt, da diese eine optimierte Schockabsorption bieten könnten. Ein Magnet zur Befestigung könne bei der Herstellung auf Patientenwunsch integriert werden, ebenso wie elektronische Sensoren zur Messung von Kollisionen.
Checkliste
Fester Sitz
Die natürliche Okklusion sollte nicht gestört (oder gar „optimiert“) werden.
Atmung und Sprechen sollten nicht allzu sehr gestört werden.
Der Mundschutz sollte keine Spannung auf Weichteile und Lippen ausüben.
3–4 mm Dicke, distale Extension
Quelle: Sliwkanich und Ouanounou, 2021
Bei der Anpassung des Mundschutzes sollte die okklusale Balance im Vordergrund stehen. Der Kontakt mit den Unterkieferfrontzähnen schütze zudem vor einem Verlust des Mundschutzes. Trotz aller Vorteile ist ein individuell angefertigter Mundschutz die für den Patienten mit Abstand teuerste Option, obgleich die Folgen eines dentoalveolären Traumas bei Weitem kostspieliger wären.
Auch die Kondylen sind besser geschützt
Die Empfehlung zum Tragen eines Mundschutzes hängt nicht nur von der Sportart, sondern auch vom Level der Sporttreibenden (Amateur oder Profi) ab. Die Autoren sehen das größte orofaziale Verletzungsrisiko bei Sportarten mit regelmäßigen Kollisionen (Boxen, Eishockey) und bei Kontaktsportarten (Handball, Basketball, Fußball) – demzufolge raten sie diesen Sportlern zu einem individuell angefertigten Mundschutz. Der Mundschutz könne nicht nur direkt die Zähne und das Zahnfleisch schützen, sondern auch indirekt eine protektive Wirkung auf die Kondylen haben. „Einige Studien haben gezeigt, dass das Tragen eines Mundschutzes den Kondylus im Gelenkspalt so positionieren kann, dass beim Aufprall eines Schlages die Belastung gleichmäßiger verteilt wird und der Kondylus nicht gegen den empfindlicheren Teil des Kiefergelenks gedrückt wird. Dies kann auch die Gefahr eines Subarachnoidalhämatoms verringern“ [Sliwkanich und Ouanounou, 2021].
DGZMK-Empfehlung
American Football
Baseball
Basketball
Boxen und andere Kampfsportarten
Eishockey
Feldhockey
Fußball
Geräteturnen
Handball
Inline-Skating
Radsport, insbes. Mountainbiking
Reiten
Rugby
Skate-Boarding
Wasserball
Bevor ein individueller Mundschutz vom Zahnarzt hergestellt wird, solle zunächst das Risiko des Patienten in Bezug auf Sportart und Level genau evaluiert werden. Vorangegangene Verletzungen sind dabei genauso zu berücksichtigen wie impaktierte Zähne, Implantate, aktuelle kieferorthopädische Behandlungen oder individuelle Risiken durch Zahn- oder Kieferfehlstellungen. Die Information des Patienten über mögliche Konsequenzen bei Unfällen ohne Schutz (Frakturen, Avulsion) und die verschiedenen Arten der Mundschutze gehören ebenfalls zum Aufklärungsgespräch, und nicht zuletzt eine Instruktion zur täglichen Pflege des Mundschutzes sowie die regelmäßige Kontrolle der Passform durch den Zahnarzt.
Erst die zahnärztliche Aufklärung überzeugt die Sportler
Die Forschenden führen eine Studie mit Handballspielern an, die belegt, dass erst das Aufklärungsgespräch beim Zahnarzt den entscheidenden Impuls für die Spieler gegeben habe, einen Mundschutz zu tragen. Lediglich die Spieler, die eine Empfehlung vom Zahnarzt erhielten, trugen einen Schutz, alle anderen taten dies nicht.
Originalpublikation: Sliwkanich L, Ouanounou A: Mouthguards in dentistry: Current recommendations for dentists. Dent Traumatol. 2021 Oct;37(5):661–671. doi: 10.1111/edt.12686. Epub 2021 May 21. PMID: 34019343.