Die Totalprothese im Unterkiefer bleibt eine Herausforderung
Der zahnlose Patient stellt seit jeher mit die größte Herausforderung für eine erfolgreiche Rehabilitation dar. Auch im Zeitalter der dentalen Implantologie gibt es – vor allem weltweit – immer noch viele Patientinnen und Patienten, die aus verschiedenen Gründen mit klassischen Totalprothesen versorgt werden müssen. Der rein Schleimhaut-getragene Zahnersatz stellt auf der einen Seite hohe Anforderungen an das Behandlungsteam während der Herstellung, auf der anderen Seite verlangt dieser dem Patienten ein hohes Maß an Adaptation ab. Fraglich ist, ob es harte Faktoren gibt, die eine erfolgreiche Adaptation erschweren und die als Argument in der Planungsphase helfen, kritische und unkritische Ausgangssituationen einzuordnen.
Material und Methode
Die brasilianische Arbeitsgruppe um Anna Ribeiro versuchte diese Fragestellung in einer klinischen, prospektiven Untersuchung anhand von 108 zahnlosen Patienten zu beantworten. Für diese Patienten waren Totalprothesen im klassischen analogen Verfahren hergestellt worden. Dazu gehörten auch die Funktionsabformung mit einem individuellen Abformlöffel, die Randabformung mit einem thermoplastischen Material und die Basisabformung mit Zinkoxid-Eugenolpasten. Zudem erfolgten eine Handbissnahme als Kieferrelationsbestimmung und die Herstellung der Prothesen in einem teiljustierbaren Artikulator. Als dynamisches Okklusionskonzept wurde die bilateral balancierte Okklusion gewählt.
Der Tag der Eingliederung stellte den Beginn der klinischen Studie dar. Die Patienten gaben ihre soziodemografischen Daten, ihren Gesundheitszustand sowie die individuelle Situation vor und nach der Versorgung an. Während der Adaptationsphase wurden Druckstellen entfernt und es wurde auf eine ausgeglichene Okklusion geachtet. Nach drei – und gegebenenfalls nach sechs – Monaten wurden die Patienten befragt, ob sie sprechen, kauen und komfortabel schlucken können. Wurden alle Fragen mit „ja“ beantwortetet, wurden die Prothesen als adaptiert gewertet. War eine Frage mit „nein“ beantwortet worden, wurde die Prothese als nicht adaptiert eingestuft. Zusätzlich wurde das Oral Health Impact Profile (OHIP-Edent 19) anhand des validierten Fragebogens bestimmt. Als weiterer Parameter für die Auswertung wurde die Knochenhöhe des Unterkieferalveolarfortsatzes anhand eines in der Literatur beschriebenen Vorgehens ausgemessen.
Ergebnisse
Die überwiegende Mehrheit der Patienten (Altersdurchschnitt 63 Jahre) hatte bereits Erfahrungen mit Unterkiefertotalprothesen (84,3 Prozent). Nach drei Monaten hatten sich 38 Prozent der Patienten noch nicht an ihre neue Totalprothese gewöhnt. Eine fehlende Adaptation trat signifikant häufiger bei Patienten auf,
die ihre erste Unterkiefertotalprothese bekommen hatten,
die nach 15 Tagen immer noch Druckstellen zeigten und
die eine reduzierte Höhe des Alveolarfortsatzes aufwiesen.
Nach sechs Monaten waren 14,1 Prozent der Prothesen noch nicht adaptiert. Als Anzeichen dafür gewertet wurden die Risikofaktoren persistierende Druckstellen und nicht regelmäßiger Gebrauch der Unterkiefertotalprothese. Regelmäßige Kontrolltermine erhöhten die Adaptationsquote.
Was bedeuten die Ergebnisse für die tägliche Praxis?
Vor allem die erste Totalprothese im Unterkiefer scheint ein erhöhtes Risiko für eine verzögerte Adaptation zu sein.
Auch nach sechs Monaten haben sich fast 15 Prozent der Patienten nicht an eine neue Unterkiefertotalprothese gewöhnt.
Eine Historie von Druckstellen über 30 Tage ist ein starker Faktor für eine fehlende Adaptation.
Soziodemografische Faktoren spielen eine untergeordnete Rolle bei der Adaptation von Unterkiefertotalprothesen.
Originalpublikation: Ribeiro AKC, Verissimo AH, Bezarra de Medeiros AK, Gomes Cardoso R, Almeida de Melo L, de Fonte Porto Carreiro A: Incidence and risk factors for non-adaptation of new mandibular complete dentures: a clinical trial. Clin Oral Investig 2022 Jun;26(6):4633–4645.
AUS DER WISSENSCHAFT
In dieser Rubrik berichten die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der zm regelmäßig über interessante wissenschaftliche Studien und aktuelle Fragestellungen aus der nationalen und internationalen Forschung.
Die wissenschaftliche Beirat der zm besteht aus folgenden Mitgliedern:
Univ.-Prof. Dr. Elmar Hellwig, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Univ.-Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universität Bonn
Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, Universitätsmedizin Mainz