Ohne ehrenamtliche Arbeit geht es nicht
Eines wurde bei dem Treffen am 16. September in Berlin noch einmal ganz klar auf den Punkt gebracht: Ohne beherztes und breit gefächertes soziales Engagement von Freiwilligen würde die Versorgung von bedürftigen Menschen hierzulande kaum gestemmt werden können. Die steigenden Preise im Zuge des Ukraine-Krieges und der Inflation, die Aus- und Nachwirkungen der Pandemie und das Fehlen bezahlbaren Wohnraums vielerorts bekommen die Schwächeren der Gesellschaft am stärksten zu spüren. Ob obdachlos oder ohne Krankenversicherung, auf der Flucht oder ohne geregeltes Einkommen – Menschen in Notsituationen sind dann häufig auf kostenlose und niedrigschwellige Hilfe wie die medizinische und/oder die zahnmedizinische Versorgung angewiesen.
So wurde zum Beispiel die Berliner Clearingstelle für nicht krankenversicherte Menschen mit 1.000 Anfragen im vergangenen Jahr zu einer unverzichtbaren Anlaufstelle. Die meisten Hilfesuchenden benötigen eine ambulante Behandlung – und zwar nicht selten dringend. Das berichtete Dr. Karsten Heegewaldt, Präsident der Zahnärztekammer Berlin und Vorstandsreferent der BZÄK für Soziale Aufgaben, bei der Eröffnung und begrüßte als Leiter der Konferenz eine Runde aus Expertinnen und Experten zum Thema soziales Engagement.
Ehrenamtliche Arbeit hat ihre Grenzen
Mit einem aufrüttelnden Impulsvortrag unter dem Titel „Umsonst und freiwillig? Zivilgesellschaftliches Engagement im Strukturwandel des Wohlfahrtstaats“ tauchte Prof. Dr. Silke van Dyk, Professorin für Politische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, tief ins Thema der ehrenamtlichen Hilfe ein und beleuchtete auch kritisch deren Grenzen. Sie erklärte, dass sich zivilgesellschaftliches Ehrenamt auch im Graubereich bewegen könne. Etwa, wenn die Aufwandsentschädigung unter dem Mindestlohn bleibt und Engagierte ihre Einkünfte aufstocken müssen, also anstelle von fester Arbeit diese „Hilfsarbeit“ ausüben, ohne wirklich davon leben zu können. Die Nutzung von gesellschaftlichen Potenzialen und die Aktivierung von Alltagshilfe könnten zwar helfen Versorgungslücken zu schließen. Dabei sei allerdings die Deprofessionalisierung in vielen Bereichen ein wachsendes Problem, etwa in der Pflege, beklagte van Dyk. Professionelle hauptamtliche Kräfte würden zunehmend durch engagierte Laien ersetzt – häufig, um Kosten zu sparen.
Das griff auch Linda Heitmann (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages, auf und versprach, genauer hinzusehen, wer welche Hilfe benötigt. Aus ihrer Sicht müsse jeder Mensch in Deutschland eine Krankenversicherung erhalten. Die Zahl der nicht krankenversicherten Menschen in Deutschland nehme wieder zu, ebenfalls die der obdachlosen – beide Gruppen seien unmittelbar von den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten betroffen und könnten sich eine zahnmedizinische Behandlung meist nicht leisten, betonte sie. Hinzu kommen Geflüchtete, deren Behandlungsbedarf oftmals groß ist. Ungefähr so hoch wie in Deutschland vor 30 Jahren, erklärte Heegewaldt. Ohne ehrenamtliches Engagement sei diese Versorgung kaum zu stemmen. Dennoch dürfe es im Bereich soziale Arbeit und Pflege nicht zu einer Deprofessionalisierung des Ehrenamts kommen – darin war man sich einig. Bei den Zahnmedizinern sei das allerdings nicht der Fall, erklärte Prof. Benz in der Diskussionsrunde. Dort werde die hochwertige Versorgung selbstverständlich immer durch Zahnärztinnen und Zahnärzte geleistet.
Ehrenamtliche Hilfe ist auch unverbindlich
Allerdings müsse eine medizinische und zahnmedizinische Grundversorgung für die Bedürftigen verlangt werden, ergänzte Dr. Martin Schubert vom Hilfswerk Zahnmedizin Bayern (HBZ) aus dem Publikum. „Wir machen das von Herzen gern und sind die letzten, die dafür ein Honorar verlangen. Aber wir schaffen es bald zeitlich nicht mehr.“ Der hohe Bürokratieaufwand in den Praxen lasse kaum Zeit und Energie für die Hilfe, die nur professionell durchgeführt werden könne.
Dr. Maike Grube vom Zentrum Gesundheit, Rehabilitation und Pflege der Diakonie Deutschland erklärte: „Das gesellschaftliche Engagement ist ganz zentral Teilhabe an und in der Gesellschaft. Aber es hat auch seine Tücken, denn es kann recht schnell wieder beendet werden. Helfer verabschieden sich zum Beispiel, wenn es schwierig wird. Unverbindlichkeit ist also eine Herausforderung, denn es gibt keinen rechtlichen Anspruch auf Hilfestellung. Die Hilfe ist immer freiwillig.“
Eine andere Form des sozialen Engagements stellte die Direktorin Gesundheit von Special Olympics Deutschland e.V. (SOD), Dr. Imke Kaschke, vor: Sie berichtete von den nationalen olympischen Sommerspielen mit knapp 3.000 Untersuchungen im vergangenen Juni in Berlin, die alle ehrenamtlich durchgeführt wurden. Immer noch leiden Menschen mit Behinderung unter einer schlechteren Zahngesundheit. Befragungen des SOD während der Spiele hätten gezeigt, dass rund sieben Prozent der Teilnehmer akute Zahnschmerzen hatten.
Im Sommer 2023 finden in Berlin dann die internationalen Spiele statt. Freiwillige Helfer werden ab jetzt gesucht und können bis zum 31. Januar ihre Bewerbung einreichen.
Benz: „Ich Bin stolz auf das Engagement!“
BZÄK-Präsident Prof. Christoph Benz bedankte sich bei allen engagierten Zahnärztinnen und Zahnärzten mit den Worten: „Ganz großen Respekt! Immer noch hält sich hartnäckig das Klischee, dass Zahnärzte nur Golfbags schultern anstatt zu helfen. Und das stimmt hinten und vorne nicht. Es gibt viel Engagement und darauf bin ich total stolz – auf die Kollegenschaft und auch auf die Studierenden!“
„Die Diskussion bleibt wichtig: Ab wann ist privates und ab wann staatlich geregeltes Engagement richtig?“, fragte Dr. Heegewaldt am Ende der Konferenz. „Danke an alle engagierten Zahnärztinnen und Zahnärzte! Wir haben ein großes Netzwerk von 80 Organisationen. Wer interessiert ist und helfen möchte, kann dazu auf die Website der BZÄK gehen“, schloss Heegewaldt.
Hier geht es zur BZÄK-Website für Hilfsorganisationen:
https://www.bzaek.de/ueber-uns/gesellschaftliche-verantwortung/zahnaerztliche-hilfsorganisationen