So wird Ihre Praxis nachhaltig
Wer denkt, in einer Zahnarztpraxis gibt es nur wenige Möglichkeiten zum Einsparen von Ressourcen, der findet in der neuen Broschüre einige Anregungen, wie es doch gehen kann. Das Material, das es seit dem 21. September kostenlos zum Download gibt (siehe QR-Code am Ende des Beitrags), listet zum einen die Aktivitäten der BZÄK in puncto Nachhaltigkeit auf und gibt darüber hinaus eine Übersicht zu den Initiativen und Bemühungen auf europäischer und globaler Ebene – etwa der Weltzahnärzteorganisation (FDI), der Britisch Dental Association (BDA) oder auch der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Letztere setzt sich beispielsweise in der im Mai 2022 beschlossenen „Globale Strategie zur Mundgesundheit“ konkret für ökologische Nachhaltigkeit in der Mundgesundheitspflege ein. Die BZÄK wertet das als einen großen Schritt zur Anerkennung der Bedeutung der Mundgesundheit für die allgemeine Gesundheit und für die Lebensqualität der Menschen.
Prävention in der Zahnmedizin zahlt sich aus ...
In der Broschüre wird noch einmal hervorgehoben, wie fundamental wichtig zahnmedizinische Prävention ist und wie diese zur Nachhaltigkeit beiträgt. Evident ist: Je intakter die Mundgesundheit ist, desto weniger Eingriffe sind nötig – und damit auch desto weniger Ressourcen. Zur Motivation werden Erfolge erwähnt, wie sie etwa bei Kindern und Jugendlichen seit Ende der 1980er-Jahre deutlich zu sehen sind: 80 Prozent der Zwölfjährigen haben heute ein naturgesundes Gebiss.
Auch Erwachsene und Senioren behalten ihre eigenen Zähne im Durchschnitt immer länger. Wenngleich der demografische Wandel mit der älter werdenden Gesellschaft und den damit einhergehenden Erkrankungen wie Diabetes, die wiederum eine Querverbindung zur Parodontitis hat, vielmehr als Herausforderung betrachtet werden muss. Hier können alle Zahnärzte und Kammern die individuelle Krankheitswahrnehmung mit Aufklärungs- und Früherkennungsmaßnahmen stärken und so zur Prävention als effektivsten Nachhaltigkeitsansatz beitragen.
Interview mit den Zahnärzten Jasmin und Manfred Wolf
2021 wurde die Praxis von Dr. Dr. Manfred Wolf als eine von 22 Praxen mit dem Label „Grüne Praxis“ für ihre Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Im Gespräch erklären die Zahnärzte Wolf, wie der lange Weg dahin aussah.
Herr Wolf, gab es einen externen Impuls oder ein persönliches Erlebnis, die Praxis nachhaltiger auszurichten? Falls ja, was und wann war das?
Vor 30 Jahren hatten wir den Wunsch, die Praxis zu erweitern. Nach längerer Überlegung und Recherche war die Erweiterung aus baurechtlichen Gründen nur durch einen Anbau in Form eines Wintergartens möglich. Dieser Wintergarten war dann eigentlich der Beginn, ein langfristiges Energie- und Nachhaltigkeitskonzept zu entwickeln.
Denn der Bau des Wintergartens senkte unsere Wärmeenergiekosten um etwa 50 Prozent, zum einen durch eine effiziente Nutzung der Solarenergie im Winter und zum anderen durch eine effiziente Isolierung mit Horizontaljalousien im Sommer. Das hat damals unser Interesse für diverse Energiekonzepte geweckt, von denen wir einige Maßnahmen nach und nach umgesetzt haben.
Wie sind Sie konkret vorgegangen? Wo haben Sie sich über Probleme/Lösungsansätze informiert?
In Zeitschriften, Fachliteratur, auf Messen, Online aber auch bei Besichtigungen vor Ort, etwa in anderen Praxen.
Was konnten Sie sich abgucken, für welche Maßnahmen haben Sie sich entschieden – und warum?
Wir haben seit 2005 eine Fotovoltaikanlage und nutzen seit 2019 zwei Elektroautos für Hausbesuche, Praxiseinkäufe, Laborauslieferungen und ähnliches. Außerdem haben wir die Öl-Zentralheizung auf eine Pellet-/Scheitholzheizung umgestellt. Die Motivation dabei waren Ökologie und Autarkie. Wir haben einen nahe gelegenen, eigenen Forst und verfügen darum über kurze Lieferwege für das Scheitholz.
2010 haben wir begonnen, die Praxis so weit wie möglich zu digitalisieren. Daraus ergeben sich Vereinfachungen der Prozesse, eine schnellere und effizientere Verfügbarkeit von Daten, eine einfachere Kommunikation mit Kollegen und Überweisern, eine schnellere Verfügbarkeit von Röntgenbildern sowie eine Reduzierung von Material und Materialkosten. Und es ermöglicht unseren Mitarbeitenden, etwa Teilzeitkräften mit Kindern, auch im Homeoffice zu arbeiten, zum Beispiel für die Abrechnung.
Außerdem nutzen wir soweit wie möglich lokale Anbieter, also Apotheke, Schreibwarenhändler, Drogeriemarkt, Dentaldepot und Edelmetallhändler. Uns geht es dabei um die Unterstützung der lokalen Infrastrukturen, die Reduktion emissionsbehafteter Logistikwege, aber auch den Austausch im persönlichen Kontakt. Außerdem ist es immer gut, direkte Ansprechpartner zu haben.
Letzter Punkt ist, dass wir unser Warenmanagement umgestellt haben, jetzt also mehr Großbestellungen von ständig verwendeten Verbrauchsmaterialien wie Speichelsaugern, Mundschutzen, Handschuhen und ähnlichem vornehmen. Das reduziert Verpackungsmüll, spart Versandkosten und -wege und senkt den Personalaufwand bei der Warenannahme und -lagerung.
Und nachhaltige Produkte wie Gläser statt Plastikbecher, Handtücher statt Papierservietten oder wiederverwendbare OP-Kleidung statt Einmalkittel haben sich schon beim Praxisstart vor mehr als 30 Jahren für uns bewährt. Deren Einsatz haben wir einfach beibehalten.
Welche Schwierigkeiten, also Überraschungen oder Rückschläge, gab es bei den Maßnahmen?
Beim Thema Digitalisierung fehlte es anfangs an der Akzeptanz einiger Mitarbeitender. Bei baulichen Maßnahmen waren hingegen bürokratische Hürden zu nehmen, hier meine ich Genehmigungs- oder Prüfverfahren. Natürlich gab es auch hohe Investitionskosten. Das gilt immer dann, wenn sehr neue Technologien zum Einsatz kommen. Ein weiterer Wermutstropfen ist, dass Müllvermeidung nicht komplett möglich ist.
Wie waren denn die Rückmeldungen der Kollegen, des Teams und, nicht zuletzt, der Patienten?
Bisher hatten wir nur gute Rückmeldungen, das heißt, es gibt viele interessierte Kollegen. Einige haben sich von uns sogar Empfehlungen oder Anregungen geholt. Vom Team wurden einige Umstellungen anfänglich von einigen langjährigen Mitarbeitenden schwierig angenommen und zunächst als störend empfunden. Von Patientenseite spüren wir fast ausschließlich großes Wohlwollen und Interesse an den eingesetzten neuen Technologien.
Welchen Kosten und Einsparungen haben die Maßnahmen ausgelöst?
Maßnahmen wie der Wintergarten, der brauchwasserthermische Pufferspeicher und die Fotovoltaikanlage, zwei ortständige Scheitholzöfen – haben sich in der Zwischenzeit mehr als refinanziert. Die Pellet- und Scheitholzheizung soll sich in den kommenden 15 Jahren amortisieren. Das hängt natürlich von den schwankenden Rohstoffpreisen ab.
Planen Sie weitere Maßnahmen?
Nach Ablauf der 20-jährigen Einspeiseverpflichtung der Fotovoltaikanlage 2025 ist eine Umstellung auf Batteriespeicher geplant, um das Elektroauto sowie die weiteren hauseigenen Stromverbraucher zu versorgen.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in puncto nachhaltiger Zahnmedizin für die Zukunft?
Die Reduktion der Abfallmenge bei Einhaltung beziehungsweise Steigerung der bestehenden und kommenden Vorschriften zu Hygiene, Verarbeitung, Dokumentation und Aufbewahrung.
Das Gespräch führte Marius Gießmann.
In zehn kompakten Kapiteln widmet sich die BZÄK dem Thema Nachhaltigkeit erstmals so ausführlich, praktisch orientiert und nach aktuellem Sachstand. Den Anfang macht der Bereich der Mobilität, die tatsächlich der größte Punkt in der CO2-Bilanz einer Zahnarztpraxis ist. Die An- und Abreise der Patienten macht dabei einen Anteil von mehr als 60 Prozent aus, wie der National Health Service (NHS) ermittelte. Was liegt da nahe? Genau, die Termine nach Möglichkeit zusammenzulegen. Aber auch auf die Anfahrt mit dem Rad oder dem ÖPNV hinzuweisen und diese durch gezielte Informationen auf der Praxis-Website leichter zu machen. Das Team selbst kann über Fahrgemeinschaften nachdenken und Wege verbinden. Ein E-Bike für die Mitarbeiter könnte darüber hinaus ein Incentive sein.
... und auf das Konto Nachhaltigkeit ein
Bei der Behandlung stellt sich die Frage nach der Hygiene und der – bewiesenen – Nachhaltigkeit von alternativen Materialien, wenn es darum geht, Plastik und Einwegartikel zu reduzieren. Symbolisch dafür steht der Plastikbecher – und ja, es gibt Alternativen. Auch mit der Frage, ob eine Aufbereitung tatsächlich ökologisch sinnvoller ist, beschäftigt sich die Broschüre. Die Checkliste zu diesem Punkt reicht von der Empfehlung zu möglichst umweltfreundlichen Reinigungsmitteln über die Dokumentation von Verfallsdaten (um Verschwendung vorzubeugen) bis hin zur Frage nach dem Einsatz von digitalen Röntgen- und Abformgeräten zur Materialvermeidung.
SUSTAINABILITY TOOLKIT DER FDI
Die World Dental Federation (FDI) hat gerade das interaktive „Sustainability Toolkit“ für zahn- medizinische Praxen online auf den Weg gebracht. Damit sollen „Nachhaltigkeits-Champions“ gekürt werden.
Der Punkt Verwaltung dreht sich vor allem um die Papierfrage: Ist papierlos nachhaltig und wie kommt recyceltes Papier bei den Patienten an? Und jedem Praxischef und jeder Praxischefin sollte bewusst sein, dass die Rechnerleistung und die Internetnutzung sehr wohl auch CO2 produzieren.
Besonders interessant, weil derzeit von noch größerer Relevanz: der Energieverbrauch. Dieser macht etwa 15 Prozent des CO2-Fußabdrucks einer Zahnarztpraxis aus. Zu Buche schlagen hier besonders der Autoklav, das RDG und der Kompressor. Hier rät die BZÄK zu einem Vergleich des Energieverbrauchs beim Neukauf und erinnert an viele oft gehörte Aspekte des Energiesparens – Stoßlüften, gut isolierte Heizkörper, Wechsel zu LED-Leuchtmitteln und Ausschalten aller Geräte, die die Möglichkeit dazu bieten. Ganz am Ende der Broschüre ist extra eine Checkliste für den Kauf von Neugeräten angeführt – wenn sich eine Reparatur nicht mehr lohnt.
„Wo manch andere Greenwashing betreiben, möchten wir konkret werden ... Die Broschüre ist keine Pflicht, sondern eine Ideensammlung als Impuls für die Praxen. Sie soll definitiv keine neue Bürokratie bedeuten.“
Konstantin von Laffert, Vizepräsident der BZÄK und Vorsitzender des BZÄK-Ausschusses Nachhaltigkeit, Praxisführung und Hygiene
Praxen, die bauen oder renovieren, können langfristigere Maßnahmen einplanen und die Räume nicht nur mit Grünpflanzen grüner gestalten. Das reicht von Natur- und ökologischen Baumaterialien über ein begrüntes Flachdach oder eine installierte Solaranlage bis zu reflektierenden Glasfenstern. Außerdem kommt der Hinweis für finanzielle Förderung von Steckdosen für E-Autos.
Quecksilber, Aluminium und Bambus
Auch der Bereich der Entsorgung spielt eine wichtige Rolle. Während wohl die meisten Patienten beim Stichwort Abfall aus Zahnarztpraxen an Amalgam und Quecksilber denken, sehen viele Praxismitarbeiter die täglich anfallenden Mengen an Plastikmüll aus Plastikbechern, Einwegspritzen, Handschuhen, Einmalinstrumenten, Mundhygieneprodukten und vielem mehr. Ein erster wichtiger Schritt wäre hier die Sensibilisierung des Teams, etwa indem ein Abfall-Guide in der Praxis aufgehängt wird. Jeder kann die Big Five – Aluminium, Glas, Kunststoff, Papier und Stahl – recyceln. Auch bei Medikamenten sollte im Sinne der Nachhaltigkeit auf eine sachgemäße Entsorgung geachtet werden. Landen diese tatsächlich im Abwasser, ist dessen Aufbereitung problematisch. Interessant auch: Lachgas wirkt als Treibhausgas rund 300-mal so stark wie CO2.
Kaum ein Produkt steht für die Zahngesundheit wie die Zahnbürste, die in der Regel aus Kunststoff besteht. Hier führt die BZÄK eine Studie an, nach der die CO2-Bilanzen einer manuellen Zahnbürste aus Kunststoff mit austauschbarem Kopf und einer Bambus-Handzahnbürste besser abschneiden als herkömmliche manuelle und elektrische Zahnbürsten aus Kunststoff. Allerdings – so viel sei noch verraten: Die Bambus-Bürste ist nicht die Antwort auf die Nachhaltigkeitsfrage in der Zahnpflege.
Apropos Kunststoff und Mikroplastik – deren Einsatz lässt sich stellenweise nicht vermeiden. Ein bisher weniger beachteter Aspekt ist nach wie vor die Auswirkung von Kunststoffen. Die Wirkung von Bestandteilen ist aufgrund ihrer komplexen chemischen Natur schwer zu quantifizieren, erklärt die BZÄK. In Deutschland sind Zahncremes seit 2014 frei von Mikroplastik. Die Mikropartikel entstehen jedoch auch durchs Waschen synthetischer Textilien. Pro Kilo Wäsche fallen dabei bis zu 308 mg Mikroplastik an. Sollte sich eine Praxis entscheiden, Einweg- durch Handtücher zu ersetzen, sollte auf Produkte aus Baumwolle oder anderen natürlichen Materialien geachtet werden, um hier nachhaltig und umweltschonend zu handeln.
Nicht zuletzt können die Patienten selbst zur Nachhaltigkeit in der Praxis beitragen. Die Umsetzung der Maßnahmen wird Zeit, Ressourcen und auch finanzielle Mittel in Anspruch nehmen. Umso wichtiger ist, dass die Bemühungen auch nach außen sichtbar sind. Idealerweise, und soweit es das Praxiskonzept erlaubt, können Patienten darüber informiert und gegebenenfalls zu mehr Nachhaltigkeit motiviert werden. Um mit Konstantin von Laffert, dem Vizepräsidenten der BZÄK, zu schließen: „Suchen Sie sich die für Sie sinnvollen und umsetzbaren Maßnahmen heraus. Je mehr, desto besser, aber letztendlich macht Kleinvieh auch Mist, oder in diesem Fall eben kein CO2!“
Die Broschüre zum Download finden Sie auf der BZÄK-Websitehttps://www.bzaek.de/berufsausuebung/nachhaltigkeit-in-der-zahnmedizin.html .