Mehr Gesundheitskompetenz für Kinder und Jugendliche
Das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (Helmholtz Munich) will mit Förderung der AOK Bayern und mit Schülern und Lehrkräften eine Informationsplattform mit multimedialen Angeboten zu Gesundheitsförderung und Prävention aufbauen. Ziel soll sein, die Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Gerade die Pandemie hat aus Sicht der Initiatoren besonders verdeutlicht, dass Gesundheitskompetenz ein großes Thema im Gesundheitswesen ist – nicht nur bei Erwachsenen, sondern eben auch bei jungen Menschen: Gute Gesundheitsinformation zu finden, zu verstehen, zu bewerten und sich vor Fake News zu schützen, sei auch für diese Altersgruppe wichtig, um ihre Gesundheit positiv zu beeinflussen und sich im Gesundheitssystem sicher bewegen zu können, sagen die Initiatoren. Bei dem Projekt handelt es sich um einen Plan, der im Laufe der Konzeptphase noch – entsprechend der explizit vorgesehenen Abstimmung mit den beteiligten Zielgruppenvertretern – angepasst werden kann.
Fundiertes Wissen, praktische Methoden
Die Idee für das Vorhaben beruht auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen. Besonders schwer fällt jungen Menschen demnach das Suchen, Finden und Bewerten von digitalen Gesundheitsinformationen. Zielsetzung des Projekts ist es deshalb, einen nachhaltigen Beitrag zur Stärkung der allgemeinen und insbesondere digitalen Gesundheitskompetenz bei Schülerinnen und Schülern in deren Lebenswelten zu leisten. Wichtig ist dabei, die Bedeutung von Prävention in ihrer Vielfalt zu vermitteln. Das Vorhaben richtet sich an Klassen ab der 5. Jahrgangsstufe und an Lehrkräfte.
Kernstück für sämtliche Angebote und Aktivitäten wird eine Informations- und Lernplattform sein. Hier werden bereits bestehende Angebote zur Gesundheitsförderung für Schulen berücksichtigt und nach Evidenzkriterien in die noch zu entwickelnde Plattform aufgenommen (Beispiel: das Diabetes-Informationsportal diabinfo.de mit E-Learning-Modulen zum Alltag mit Diabetes). Die Beteiligten sollen fundiertes Wissen und praktische Methoden zur Gesundheitskompetenz erhalten, darunter etwa zu Themen wie Ernährung, Bewegung, Sucht oder Stressreduktion.
Entwickelt werden soll auch eine Toolbox für die Schulen, um eigene Projekte zur Gesundheitskompetenz zu initiieren. Veranstaltungsangebote für Lehrende und Schülerinnen und Schüler sollen hinzukommen, um etwa eigene Arbeitsgruppen einrichten zu können oder Kompetenzen zum Projektmanagement zu stärken. Darüber hinaus sollen die Jugendlichen ihre Erfahrungen und ihr Wissen durch Peer-Teaching, also Lernen durch Lehren, an ihre Mitschüler weitergeben. Alle Inhalte und Prozesse sollen mit insgesamt zwölf Modellschulen entwickelt werden. Der Aufbau des Programms ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Die in der Pilotphase gewonnen Erkenntnisse sollen später bayernweit ausgerollt werden.
Bei der Informations- und Lehrplattform sollen die Schülerinnen und Schüler selbst im Mittelpunkt der Entwicklung stehen. Im gesamten Prozess fließt das Feedback der Schüler und Lehrer regelmäßig in die Weiterentwicklung der Plattform mit ein.
Gesundheitskompetenz in Deutschland ist mäßig
Das Modellvorhaben in Bayern dockt an generelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur Gesundheitskompetenz in Deutschland an. Um diese ist es in Deutschland nämlich nicht so gut bestellt: So weisen insgesamt 58,8 Prozent der Bevölkerung eine geringe Gesundheitskompetenz auf, dies zeigen die jüngsten Ergebnisse des zweiten Health Literacy Survey (HLS-Ger-2) der Universität Bielefeld. Diese Menschen haben dem Survey zufolge Schwierigkeiten, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, einzuordnen und zu nutzen. Im Verlauf der vergangenen Jahre habe sich die Gesundheitskompetenz gegenüber früheren Untersuchungen sogar verschlechtert. Auffällig sei zudem, dass auch viele junge Menschen im Alter zwischen 18 und 20 Jahren eine deutlich geringere Gesundheitskompetenz aufweisen. Für die Projektverantwortlichen von Helmholtz Munich zeigt sich hier die Notwendigkeit möglichst früher Interventionen zur Förderung der Gesundheitskompetenz.
Zur Gesundheitskompetenz von Jugendlichen lagen bislang nur wenige Studien vor – doch hier ist man jetzt in Bezug auf Datenmaterial einen Schritt weiter. Vor Kurzem wurden Ergebnisse einer bundesweiten Online-Befragung zur Messung der Gesundheitskompetenz im Jugendalter (Measurement of Health Literacy Among Adolescents – MOHLAA 2) veröffentlicht. Das Projekt ist Teilprojekt (Teil zwei von drei Teilen) eines vom Bundesforschungsministerium geförderten Forschungsverbunds zu Health Literacy im Kindes- und Jugendalter (HLCA). Durchgeführt wird es am Robert Koch-Institut.
MOHLAA 2 untersuchte den Zusammenhang zwischen der Gesundheitskompetenz und dem Gesundheitsverhalten Jugendlicher, auch unter Berücksichtigung von soziodemografischen Merkmalen. Dazu wurden von September bis Dezember 2019 insgesamt 1.235 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren befragt. Die Bilanz der Befragung zeigt, dass in etlichen Bereichen Handlungsbedarf herrscht.
Hier einige Ergebnisse:
50,6 Prozent der Befragten berichteten über viele (8,4 Prozent) oder einige Schwierigkeiten im Umgang mit gesundheitsbezogenen Informationen (42,2 Prozent).
56,8 Prozent zeigten eine teils passive, teils aktive „Einstellung zu Gesundheit und Gesundheitsinformationen“, das heißt, sie haben nur teilweise Interesse daran, sich um Gesundheit und Gesundheitsinformationen zu kümmern. Neun Prozent zeigen passive Einstellungen. 22,7 Prozent haben ein geringes „Gesundheitswissen“.
Bei 28,1 Prozent lagen geringe gesundheitsbezogene „Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten“ vor.
Es bestehen signifikante Unterschiede nach Geschlecht: Mädchen zeigen häufiger aktive „Einstellungen“ und schätzen ihre „Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten“ höher ein, Jungen berichten hingegen seltener über Schwierigkeiten im „Umgang mit Gesundheitsinformationen“.
Es existiert ein sozialer Gradient hinsichtlich des familiären Wohlstands und der Schulbildung, jedoch nicht des Migrationshintergrunds.
Das Vorhaben in Bayern soll einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz leisten, der unter anderem von der Universität Bielefeld und der Hertie School erarbeitet und von der Robert Bosch Stiftung und dem AOK-Bundesverband gefördert wurde. Er wurde 2018 veröffentlicht und hat Leitplanken zum Handlungsfeld der Gesundheitskompetenz in Deutschland gesetzt. Die Autoren fordern dort, dass das Erziehungs- und Bildungssystem in die Lage versetzt werden müsse, die Förderung von allgemeiner und digitaler Gesundheitskompetenz so früh wie möglich im Lebenslauf zu beginnen. Darüber hinaus bestehe ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und niedriger Gesundheitskompetenz. Eine besondere Herausforderung zeige sich gerade in der Informationsflut der digitalen Informations- und Wissensgesellschaft. Dass die digitale Gesundheitskompetenz im Gesamtkontext von Gesundheitswissen und -kompetenz als Schlüsselqualifikation zu sehen ist, zeigt auch ein zentrales Ergebnis einer Studie des AOK-Bundesverbands zur digitalen Gesundheitskompetenz in Deutschland (2020).
„Das Modell ist ein Leuchtturmprojekt“
In ihrem Modellvorhaben beziehen sich Helmholtz Munich und die AOK-Bayern auf all diese Erkenntnisse: „Wir geben den Jugendlichen mit diesem Projekt das Werkzeug an die Hand, Informationen selbstständig zu beurteilen und auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen“, erklärte Dr. Irmgard Stippler, Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, bei der Vorstellung des Vorhabens. Und Prof. Martin Hrabě de Angelis, Forschungsdirektor bei Helmholtz Munich verwies auf den weltweiten Anstieg von Volkskrankheiten wie Diabetes oder krankhaftem Übergewicht: „Das neue Vorhaben ist eines unserer Leuchtturmprojekte, mit dem wir bereits die jungen Menschen stärken möchten.“