Thinktank mit vernetzten Strukturen
Wie kann die dringend nötige Neuausrichtung von Public Health in Deutschland gelingen? Dazu haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Versorgungsforschung ein Papier mit dem Titel „Impulse für ein Bundesinstitut für Public Health“ veröffentlicht. Das Team aus dreizehn Autoren um Prof. Dr. Volker Amelung (Vorsitzender des Bundesverbands Managend Care, BMC) und Prof. Dr. Reinhard Busse (TU Berlin) hat Ideen und Vorschläge erarbeitet, wie ein solches Institut beschaffen sein müsste. Anlässlich eines Webinars des Bundesverbands Managed Care am 15. März wurde das Papier veröffentlicht.
Zum Hintergrund: Seit Jahren bestehen im Bereich der Öffentlichen Gesundheit (Public Health) Defizite, die im Zuge der COVID-19-Pandemie offen zutage getreten sind. Die verkrusteten, veralteten Strukturen bei den öffentlichen Gesundheitsämtern sind nur ein Beispiel. Die Ampelkoalitionäre haben deshalb im Koalitionsvertrag eine Neuausrichtung festgelegt. Geplant ist unter anderem, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in einem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit (BMG) aufgehen zu lassen.
„Es braucht dringend mehr Koordination und Zusammenarbeit der zahlreichen Public-Health-Institutionen in Deutschland. Das von der Bundesregierung geplante ‚Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit‘ kann dazu der Schlüssel sein, allerdings nicht in Form einer Bundesoberbehörde, sondern als offene Plattform im Sinne eines Deutschen Zentrums für Public Health, das die Gesundheitsämter aktiv einbindet.“
Prof. Dr. Volker Amelung, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care
Hier docken die Autoren mit ihrem Konzept an. Ihre Idee: Ein neues Bundesinstitut müsste die nötige Verzahnung von Forschung, Versorgung und Administration sicherstellen. Dazu stellt sich das Team „agile Strukturen ohne Behördencharakter“ vor. Es plädiert dafür, das Bundesinstitut als hybriden und durchlässigen Thinktank zu konzipieren, der eine variable Einbindung hochkarätiger Experten ergänzend zu hauptamtlichen Fachkräften ermöglicht. Das Bundesinstitut dürfe gegenüber dem BMG nicht weisungsgebunden sein, es sollte aber über die nötige politische Anbindung verfügen.
Die Pandemie hat die Defizite sichtbar gemacht
In ihrem Papier benennen die Autoren zunächst die hierzulande herrschenden Defizite im Public-Health-Bereich. Dazu zählen sie – im Gegensatz zur internationalen Szene – ein generelles Desinteresse am Fach, fehlende und verzögerte Daten für Forschung und politische Entscheidungen, unzureichende Kommunikationskanäle zwischen Wissenschaft, Politik und Versorgung, eine mangelnde Koordination zwischen den zuständigen Institutionen und eine mangende zielgruppengerechte Kommunikation gegenüber der Bevölkerung.
In der Pandemie seien diese Defizite stark sichtbar geworden, wie die Forschenden ausführlich darlegen. Dazu gehöre, wie suboptimal Aufgaben und Kompetenzen der BZgA geregelt seien. Diese könne weder Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zielgruppengerecht erläutern noch die Bevölkerung aufklären – mit verheerenden Folgen (wie etwa niedrige Impfquote, fehlende Akzeptanz von Schutzmaßnahmen). Stattdessen übernähmen das Robert-Koch Institut (RKI) sowie das BMG selbst einen Großteil der Kommunikation. Dies allerdings in einer fachlichen Sprache und über Kanäle, mit der große Teile der Öffentlichkeit nicht erreicht werden könnten. Darüber hinaus würden Maßnahmen wiederholt inkonsistent kommuniziert, wenn sich verschiedene Institutionen dazu äußerten (neben BMG, RKI, auch die Ständige Impfkommission STIKO sowie Gesundheitsämter oder die Landespolitik). Dies stifte Verwirrung in der Bevölkerung. Daneben bestünden Mängel im Informationsaustausch zwischen Leistungserbringenden, Laboren, Gesundheitsämtern, dem RKI, der Wissenschaft und politischen Entscheidungsträgern, sodass Versorgungsdaten nur unvollständig und mit Verzögerung für Analysen und Entscheidungen herangezogen werden könnten.
Mit der Gründung eines Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit besteht nach Ansicht des Autorenteams die Chance, diese Schwachstellen zu beheben und die verschiedenen Stakeholder besser zu koordinieren. Ziel müsse eine Neuordnung aller bestehenden Institutionen und ein klar definierter Aufgabenkatalog mit dazu passendem organisatorischen Rahmen sein. Konkret benennt das Autorenteam drei Aufgabenfelder, die beim Bundesinstitut für Public Health angesiedelt sein müssten:
1. Forschungsdatenzentrum:
Das Bundesinstitut sollte bevölkerungsbezogene klinische und Versorgungsforschungsdaten zusammenführen, belastbare Analysen durchführen und gemeinsam mit der Wissenschaft Evidenz generieren. Daraus sollten Kennzahlen zum Gesundheitszustand der Bevölkerung sowie zu Versorgungsstrukturen entwickelt werden, mit denen der Erfolg von Public Health gemessen werden könnte. Die Gesundheit der Bevölkerung sollte dabei auch über das Gesundheitswesen hinaus betrachtet werden. Dazu gehörten etwa Fragen der Bildung, der Ernährung, der Umwelt, des Verkehrs sowie der Entwicklungshilfe.
2. Erkenntnisse transferieren:
Die Rolle des Instituts sollte über die eines reinen Wissenschaftszentrums hinausgehen. Entscheidend sei, dass die dort gewonnenen Erkenntnisse zu praxistauglichen Strategien und Programmen weiterentwickelt werden. Dies könnte zum Beispiel Fragen der Qualitätsentwicklung oder der Umsetzung medizinischer Leitlinien betreffen. Dafür sollte das Institut Praktiker aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst und der Versorgung mit Public-Health-Wissenschaftlern, Ausbildungsakademien und anderen Experten vernetzen.
3. Information und Umsetzung:
Das Bundesinstitut sollte regelmäßig über aktuelle Entwicklungen und neue Erkenntnisse informieren, um evidenzbasierte politische Entscheidungen zu unterstützen. Andererseits sollte die Politik auch das Institut in gesundheitsrelevanten Gesetzesvorhaben regelhaft, etwa in Form von Anhörungen, konsultieren. Auch eine Einbindung im G-BA sei denkbar, so die Autoren. Das Bundesinstitut solle ferner die Aktivitäten der verantwortlichen Institutionen koordinieren. Nicht zuletzt sollte es für eine adressatengerechte Kommunikation von Gesundheitsthemen (etwa Prävention, Gesundheitskompetenz, Versorgungsqualität, Krisenmanagement) sorgen und die Öffentlichkeit umfassend informieren.
Fazit der Autoren: Bisher leide Public Health in Deutschland vor allem an fehlender Koordination der relevanten Akteure. Einem schlagkräftigen Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit, das die zahlreichen Aktivitäten aufeinander abstimmt, Institutionen einbindet und Forschung, Versorgung sowie Administration unter einem Dach vereint, komme daher eine Schlüsselfunktion zu.