Endodontologie

Pulpotomie nach traumatischer Kronen-Wurzel-Fraktur

Esra Koşan
,
Falk Schwendicke
,
Sascha Herbst
Die Besonderheit des vorliegenden Falles ergab sich aus der Kombination von Wurzelquerfraktur und 
komplexer Kronenfraktur an einem bleibenden Frontzahn. Erläutert wird die Behandlung mittels partieller Pulpotomie und direkter Kompositrestauration anhand eines klinischen Fallbeispiels.

Eine allgemeinanamnestisch unauffällige 26-jährige Patientin stellte sich circa 30 Minuten nach einem dentalen Trauma in der interdisziplinären Ambulanz des CharitéCentrums für Zahn-, 
Mund- und Kieferheilkunde vor. Die Unfallursache war eine stumpfe traumatische Einwirkung auf die Ober­kieferfront. Eine notfallmedizinische Erstversorgung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt. Es lagen keine Anzeichen einer Gehirnerschütterung oder anderer Verletzungen vor.  Nach Erhebung der Anamnese wurde eine ausführliche klinische und radiologische Diagnostik durchgeführt.

Nach Abtastung der Schädelbasis sowie der Trigeminusdruckpunkte ergab sich kein Anhalt für eine Schädelverletzung. Extraoral zeigten sich eine Schwellung und eine Rötung der Ober- und der Unterlippe. Intraoral zeigte sich eine Kronenfraktur an Zahn 11 (Abbildung 1a), die Pulpa war exponiert und es 
lag eine Sulkusblutung palatinal vor (Abbildung 1b). Auf Kälte reagierten die Zähne 13—23 sensibel. Die Perkussion an Zahn 11 war stark positiv, die Sondierungstiefen palatinal waren physiologisch.

Eine Alveolarfortsatzfraktur konnte 
nach Abtastung ausgeschlossen werden. Auf dem Ausgangsröntgenbild zeigten sich an 11 eine koronale Transluzenz, die bis zur Pulpakammer extendiert war, sowie ein leicht transluzenter Spalt auf Höhe des mittleren Wurzel­drittels (Abbildung 2). Eine Wurzelquerfraktur an 11 konnte daher angenommen werden. Die Dislokation der beiden Fragmente betrug röntgenologisch weniger als ein Millimeter.

Aufgrund der kurzen Expositionszeit der vitalen Pulpa des Zahnes 11 wurde der Patientin als Therapie eine Pulpotomie mit provisorischem adhäsivem Verschluss und aufgrund der vorliegenden Wurzelquerfraktur eine vier­wöchige flexible Schienung empfohlen. Als alternative Behandlung wurde eine Wurzelkanalbehandlung erläutert, die jedoch nur im Fall eines Vitalitätsverlusts empfehlenswert ist. Die Patientin entschied sich für die erste Behandlungsoption und damit für den Vitalerhalt.

Die Behandlung erfolgte unter absoluter Trockenlegung mit Kofferdam. Im ersten Schritt wurde eine partielle Pulpotomie an Zahn 11 mit Entfernung von circa 2-3 mm Pulpagewebe mit 
einem sterilen Diamanten durchgeführt. Die Pulpa stellte sich durchweg hellrot und ausreichend perfundiert dar.

Eine Hämostase wurde durch Applikation von 1 Prozent NaOCl mithilfe von sterilen Schaumstoffpellets nach circa drei Minuten erreicht. Anschließend wurde die Pulpawunde mit einem Kalziumsilikatzement (Biodentine, Septodont, Saint-Maur-des-Fossés, Frankreich) überkappt. Nach zwölfminütiger Aushärtungszeit wurde die Kavität mit einem Sandstrahler gereinigt und für die adhäsive Versorgung vorbereitet. Abschließend wurde eine provisorische Kompositfüllung aus CeramX Duo A2 und CeramX Flow A2 (Dentsply Sirona, York, USA) mit Optibond FL (Kerr, Herzogenrath, Deutschland) in der Etch-and-Rinse-Technik gelegt.

Die semiflexible TTS-Schienung (Titan-Trauma-Splint, Medartis, Basel, Schweiz) wurde nach Konditionierung der Labialflächen der Zähne 12—22 mit Phosphorsäure und unter Anwendung von Optibond FL (Kerr) und Monobond Plus an Zahn 11 (Ivoclar Vivadent, Schaan, Liechtenstein) mithilfe von fließbarem Komposit (CeramX Flow, Dentsply Sirona) befestigt. Aus zeitlichen Gründen wurde die radiologische Kontrolle der Pulpotomie auf den Folgetermin verlegt; hier war die Wurzelquerfraktur deutlich zu erkennen (Abbildungen 3 und 4).

Nach vierwöchiger Schienungszeit reagierte Zahn 11 weiterhin reproduzierbar auf Kälte mit einer leicht erhöhten Mobilität des koronalen Fragments (Lockerungsgrad I). Einen Monat später wurde der Zahn mit einer definitiven ästhetischen Kompositfüllung versorgt.

Bei allen Folgeuntersuchungen nach einem, drei und neun Monaten zeigte sich eine reproduzierbare und plausible Reaktion des Zahnes 11 auf den Kältereiz. Radiologisch waren keine apikalen oder parodontalen Pathologien erkennbar. Bereits circa drei Monate nach der Erstversorgung mit Biodentine zeigte sich eine radiologische Opazität unterhalb der Pulpaüberkappung, die als Dentinbrücke interpretiert werden kann (Abbildung 5).

Bei der klinischen Kontrolluntersuchung nach einem Jahr zeigten sich gesunde parodontale Verhältnisse ohne erhöhte Beweglichkeit des Zahnes 11; die Kältereaktion war weiterhin reproduzierbar und plausibel positiv (Abbildung 7). Auf eine radiologische Untersuchung musste vorerst verzichtet werden, da die Patientin mittlerweile schwanger war.

Diskussion

Fast 90 Prozent aller dentalen Unfälle treten vor dem 20. Lebensjahr auf [Petersson et al., 1997]. Dentale Traumata an bleibenden Zähnen sind mit einer weltweit durchschnittlichen Prävalenz von 15,2 Prozent (95 CI, 13,0—17.4 Prozent) [Petti et al., 2018] keine Seltenheit. Traumata im adulten Gebiss werden weniger durch Stürze oder Spielunfälle verursacht, sondern durch Sportunfälle, körperliche Auseinandersetzungen und Verkehrsunfälle [Hecova et al., 2010].

An bleibenden Zähnen treten häufiger unkomplizierte Kronenfrakturen (ohne Pulpabeteiligung) auf als an Milchzähnen, bei denen Luxationsverletzungen die Mehrheit aller dentalen Traumata ausmachen [Andreasen und Ravn, 1972]. Dies beruht unter anderem auf entwicklungsbedingten Unterschieden der Knochen- und der Zahnstrukturen und der damit korrelierenden Energieübertragung bei einer traumatischen Einwirkung. Eine Kombination von Kronen- und Wurzelfraktur stellt eine seltene Form dentaler Traumata dar (1,0 Prozent in bleibenden Zähnen; 4,8 Prozent in Milchzähnen) [Díaz et al., 2010].

Im Zuge einer Wurzelfraktur kommt es zu einer Schädigung von Pulpa, Dentin, Wurzelzement, parodontalem Gewebe und gegebenenfalls Alveolarknochen. Vertikale Wurzelfrakturen sind charakteristisch für avitale, wurzelkanalbehandelte Zähne [Komatsu et al., 2014], während horizontale Wurzelfrakturen in vitalen Frontzähnen häufig als Folge traumatischer Einwirkung entstehen [Mizuhashi et al., 2021].

Klassifiziert werden diese Wurzelquerfrakturen nach ihrer Lokalisation im koronalen, mittleren oder apikalen Wurzeldrittel und nach dem Dislokationsgrad des koronalen Fragments [Andreasen et al., 2018]. Die Prognose einer Wurzelquerfraktur ist neben diesen beiden Faktoren auch von der Wurzelentwicklung (Alter), vom Abstand der beiden Fraktursegmente, von der Mobilität des koronalen Fragments und von der Sensibilität des Zahnes abhängig [Andreasen et al., 2004]. Obwohl die Höhe der Wurzelquerfraktur laut Andreasen et al. keine signifikante Auswirkung auf die Entwicklung von Pulpanekrosen hatte [Andreasen et al., 2004], konnten diese seltener bei Frakturen in der zervikalen Wurzelregion beobachtet werden.

Bei einer zusätzlichen Dislokation des koronalen Fraktursegments wurden jedoch in circa 25 Prozent der Fälle Pulpanekrosen beobachtet [Andreasen et al., 1989]. Dabei spielte auch der Abstand zwischen den beiden Fragmenten eine Rolle. So kann bei einem Frakturspalt von > 1 mm von einer Unterbrechung der Gefäß-Nerven-Versorgung der Pulpa ausgegangen werden, was die Wahrscheinlichkeit einer Pulpanekrose verdoppelt [Andreasen et al., 2004].

Komplexe Kronenfrakturen sind Verletzungen des Zahnhartgewebes, die in einer Exposition der Pulpa resultieren. Bei einer akzidentiellen Pulpaeröffnung kommt es nach einer gewissen Expositionszeit zu einer bakteriellen Infiltration aus dem oralen Milieu und darauffolgend zu einer Inflammation der Pulpa [Hargreaves et al., 2012]. Um eine Ischämie und eine nachfolgende Pulpanekrose zu vermeiden, wird in der internationalen Literatur in diesen Fällen bereits seit Längerem eine Pulpotomie als Therapiemittel der Wahl empfohlen [Bergenholtz et al., 2010].

Laut der European Society of Endodontology (ESE) sollten solche Kronenfrakturen ebenfalls bevorzugt mit vital­erhaltenden Maßnahmen, wie einer direkten Überkappung oder Pulpotomie, versorgt werden [Krastl et al., 2021]. Jedoch gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass es nach einer direkten Überkappung häufiger zu Pulpanekrosen kommt als nach Pulpotomien [Hecova et al., 2010; Wang et al., 2017]. Daher empfiehlt eine aktuelle systematische Literaturübersicht bei traumatischen Pulpaeröffnungen bevorzugt eine Pulpotomie [Donnelly et al., 2022].

Die Besonderheit des vorliegenden Falles ergab sich aus der Kombination von Wurzelquerfraktur und komplexer Kronenfraktur. Die Entscheidung für den Vitalerhalt des Zahnes wurde mit mehreren Faktoren begründet. Dabei spielten vor allen Dingen die kurze Expositionszeit der Pulpa mit der Mundhöhle (< 1 Stunde) und die vermutlich ununterbrochene Gefäßversorgung des Zahnes durch eine geringe koronale Dislokation des Fraktursegments eine Rolle [Andreasen et al., 2004].

Studien konnten zeigen, dass die Erfolgsrate für einen Vitalerhalt der Pulpa von bleibenden und Milchzähnen mit komplexer Kronenfraktur nach partieller oder vollständiger Pulpotomie zwischen 75,0 und 96,7 Prozent liegen kann [Donnelly et al., 2022]. Der Vitalerhalt sollte jedoch nicht nur bei Zähnen mit inkomplettem Wurzelwachstum mit dem Ziel der weiteren Wurzelreifung angestrebt, sondern auch bei ausgereiften Zähnen favorisiert werden [Tzanetakis et al., 2022].

Zähne mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum sind laut Studien­lage [Cvek, 1992; Andreasen et al., 2002] besonders anfällig für Wurzelfrakturen, da die Dentinwände entsprechend dünner und somit weniger frakturresistent sind [Duggal et al., 2017]. Doch auch ausgereifte Zähne junger Patienten können durch einen Vital­erhalt und einer damit einher­gehenden Apposition von Sekundär- und Tertiärdentin im zervikalen Abschnitt der Wurzel vor späteren Wurzelfrakturen geschützt werden [Donnelly et al., 2022]. Bei Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum kann durch die Vitalerhaltung die Propriozeption gesichert und die Zahnhartsubstanz geschont werden, wodurch das Risiko für Längsfrakturen reduziert wird [Khasnis et al., 2014].

Im vorliegenden Fall wurde die Heilung der Wurzelquerfraktur durch die Schienungsdauer von vier Wochen 
unterstützt. Bereits nach zwei bis drei Wochen — mit Ausheilung des Parodontiums — war hierbei eine Primärstabilität zu erwarten [Mandel and Viidik, 1989]. Laut Studienlage ist eine längere Schienungsdauer nur dann empfehlenswert, wenn das koronale Fragment stark gelockert oder disloziert ist [Andreasen et al., 2004]. Da in diesen Fällen häufig die Funktion des Parodontiums gestört ist, wird eine Ausheilung durch Hartgewebsbildung im Sinne einer Dentin- und Wurzelzementapposition im Frakturspalt angestrebt [Andreasen et al., 2004], die nachweislich von einer längeren Schienungsdauer profitiert [Isaksson et al., 2021].

Hydraulische Kalziumsilikatzemente eignen sich aufgrund ihrer Material­eigenschaften und sehr guten Biokompatibilität für die Vitalerhaltung [Parirokh und Torabinejad, 2010]. Als Nachteile sind hingegen eine lange Abbindezeit, hohe Kosten und ein allgemein erschwertes Handling [Parirokh und Torabinejad, 2010; Tanalp et al., 2012] zu nennen.

Bei der Verwendung von Kalziumsilikatzementen mit Bismutoxid als Röntgenkontrastmittel wurden häufig Zahnverfärbungen beschrieben [Abuelniel et al., 2020]. Durch die Verwendung eines Materials mit einem Zirkonoxid-Kontrastmittel (wie in diesem Fall mit Biodentine) kann das Risiko einer Zahnverfärbung reduziert werden [Camilleri, 2014; Marciano et al., 2015].

Wie sowohl in vivo als auch in vitro gezeigt werden konnte [Katge und Patil, 2017; Kim et al., 2016], sind hydraulische Kalziumsilikatzemente in der Lage, die Bildung von Zahnhartgewebe durch die Anregung der Zellproliferation und durch eine Erhöhung enzymatischer Aktivität [Luo et al., 2014] zu induzieren. Die dabei entstehende Dentinbrücke wird als ein Indikator für den Erfolg der Pulpotomie und den Funktionserhalt der Pulpa angesehen [Katge und Patil, 2017].

Im vorliegenden Fall konnte dieses Phänomen radiologisch schon nach kurzer Zeit nachgewiesen werden. Dies ist kongruent mit einer anderen Studie, laut der sich nach der Anwendung von Biodentine nach einer vollständigen Pulpotomie eine signifikant dickere Dentinbrücke als bei der Verwendung eines Kalizumhydroxidpräparats bildete [Grewal et al., 2016].

Die Erstversorgung durch eine Pulpotomie mit anschließender Schienung stellte in diesem Fall trotz einer Kombination aus Kronen- und Wurzelfraktur eine zuverlässige Methode für den Vitalerhalt dar. So konnte die Wurzelquerfraktur ausheilen und durch eine direkte Kompositrestauration konnten die Ästhetik sowie die Funktionalität des Zahnes rehabilitiert werden.

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