Kann die Rezessionsdeckung von Wurzeloberflächen Dentinhypersensitivität beseitigen?
Indikationen für plastisch-parodontalchirurgische Verfahren zur Deckung der freiliegenden Wurzeloberfläche bei gingivalen Rezessionen können eine beeinträchtigte Ästhetik, der Schutz vor Wurzelkaries oder nicht-kariösen zervikalen Läsionen, aber auch die Beseitigung einer Dentinhypersensitivität (DH) sein. Diese ist definiert als kurzer oder transienter scharfer Schmerz der von freiliegendem Dentin ausgeht, typischerweise als Reaktion auf mechanische, thermische, chemische oder osmotische Stimuli. Basierend auf aktuellen Metaanalysen liegt die geschätzte Prävalenz bei 11,5 Prozent.
Allerdings gab es bisher hinsichtlich der positiven Effekte derartiger chirurgischer Eingriffe bei einer DH noch nicht ausreichend wissenschaftliche Evidenz. Die Autoren der vorliegenden Publikation haben nun den Effekt einer chirurgischen Rezessionsdeckung freiliegender Wurzeloberflächen auf eine Überempfindlichkeit des Dentins bei gingivalen Rezessionen in einem systematischen Review untersucht und die Ergebnisse im Herbst 2022 im Journal of Clinical Periodontology publiziert.
Material und Methode
Die Autorengruppe um Professorin Virginie Monnet-Corti von der Universität Marseille hat zur Klärung dieser Frage eine systematische Übersicht mit Metaanalyse durchgeführt. Nach systematischer Literaturrecherche, die den Zeitraum von Januar 2000 bis März 2022 umfasste, konnten 13 randomisierte kontrollierte klinische Studien (RCTs) eingeschlossen werden. Somit standen Daten von insgesamt 701 Patienten im Alter von über 18 Jahren mit DH an einem oder mehreren Zähnen in Verbindung mit Gingivarezessionen (1.086 Rezessionen) der Klassen I, II (Miller) oder RT1, RT2 (Cairo) für die Analyse zur Verfügung.
Als primäres Studienziel wurde die folgende fokussierte Frage formuliert:„Reduzieren Verfahren zur Wurzeldeckung die Inzidenz der Dentinhypersensitivität, die mit einer gingivalen Rezession assoziiert ist?“.Sekundäre Ziele waren:
zu untersuchen, ob Zusammenhänge zwischen einer Reduktion der DH mit einer der folgenden Variablen bestanden: Rezessionsreduktion (mm), Rezessionsdeckung (Prozent), Gewinn an Breite und an Dicke der keratinisierten Gewebe (mm), und
die Effekte verschiedener Verfahren zur Wurzeldeckung auf die Reduktion der DH zu vergleichen.
Die Auswertung umfasste somit die Ermittlung des Anteils der Patienten, die nach dem Eingriff keine DH mehr angaben, und eines möglichen Zusammenhangs zwischen der Reduktion der DH und verschiedenen der oben beschriebenen Parameter der Wurzeldeckung. Das Vorhandensein oder Fehlen einer DH für einen Patienten durfte nicht nur allein auf dessen Angaben beruhen, sondern musste in den eingeschlossenen Studien durch einen standardisierten Luft-Stimulus jeweils vor und nach der chirurgischen Wurzeldeckung innerhalb derselben Behandlungsgruppe bewertet worden sein.
Ergebnisse
Im Ergebnis der Metaanalyse betrug die Reduktion der DH (ausgedrückt als prozentualer Anteil der Patienten, die initial von DH betroffen und nach der chirurgischen Wurzeldeckung davon befreit waren) 70,8 Prozent. Univariate Meta-Regressionen zeigten, dass sowohl das Ausmaß der Reduktion der Rezession (mm) als auch der Wurzeldeckung (Prozent) statistisch signifikant mit der Beseitigung der DH assoziiert waren. Hingegen zeigten der Zugewinn an Breite und Dicke der keratinisierten Gewebe keine signifikante Assoziation mit dem Rückgang der DH.
Metaanalysen für Subgruppen bezüglich der chirurgischen Techniken ergaben, dass der koronale Verschiebelappen in Verbindung mit einem Bindegewebstransplantat statistisch effektivere Ergebnisse hinsichtlich eines DH-Rückgangs lieferte als die Kombination des koronalen Verschiebelappens mit einer xenogenen Kollagenmatrix (73,3 Prozent vs 61,4 Prozent).
Diskussion
Stärken der vorliegenden Arbeit sind der alleinige Einschluss von RCTs, von verschiedenen Rezessionstypen, von verschiedenen chirurgischen Verfahren und die Tatsache, dass die meisten Studien ein niedriges Verzerrungspotenzial aufwiesen. Als Limitationen ihrer Übersicht weisen die Autoren darauf hin, dass in allen eingeschlossenen RCTs die DH nur eine sekundäre Zielgröße war. Auch unterschieden sich die Protokolle zur Bewertung der DH in den einzelnen Studien. Keine der Studien hatte einen Nachuntersuchungszeitraum, der länger als zwölf Monate war, so dass keine Aussagen zur Langzeiteffektivität gemacht werden können. Zukünftige Studien mit DH als der Hauptzielvariablen und einem Langzeit-Follow-up seien nun erforderlich, um die Indikation der chirurgischen Rezessionsdeckung zur Behandlung einer DH weiter zu untermauern.
Bedeutung für die Praxis
Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass eine parodontalchirurgische Wurzeldeckung bei mehr als zwei Dritteln der Patienten zu Beseitigung ihrer Dentinhypersensitivität führen konnte. Dabei waren sowohl das Ausmaß der Rezessionsreduktion als auch der prozentualen Wurzeldeckung mit einer Beseitigung der DH assoziiert. Dementsprechend kann ein plastisch-parodontalchirurgischer Eingriff zur Rezessionsdeckung nach Beseitigung möglicher ätiologischer Faktoren für die Rezessionsentstehung zur Behandlung einer DH empfohlen werden.
Originalpublikation:
Antezack, A., Ohanessian, R., Sadowski, C., Faure-Brac, M., Brincat, A., Etchecopar-Etchart, D., & Monnet-Corti, V. (2022): Effectiveness of surgical root coverage on dentin hypersensitivity: A systematic review and meta-analysis. Journal of Clinical Periodontology, 49(8), 840–851.
doi.org/10.1111/jcpe.13664