Zahnarztpraxis testet sozialen Roboter

Probezeit für „Pepper“

mg
2021 wurde die Praxis für MKG-Chirurgie im Würzburger Eastcenter zum ersten Mal zum digitalen Experimentierfeld. Der soziale Roboter „Pepper“ unterstützte im Rahmen eines Universitätsprojekts zwei Wochen lang das Personal am Empfang. Dieser und weitere Tests zeigen, was mit der Technik schon machbar ist, sagt Inhaber Dr. Dr. Boris Herzlieb – der jetzt einen gekauft und damit große Pläne hat.

„Soziale Roboter haben auf jeden Fall das Potenzial, in Arztpraxen eingesetzt zu werden“, betont Herzlieb. Für einen organisatorisch und damit wirtschaftlich sinnhaften Einsatz müsste deren Funktionsumfang jedoch deutlich erweitert werden. Aber schon jetzt stehe fest: „Der Roboter kam unabhängig von Alter und Geschlecht gleichermaßen gut an, auch bei weniger technikaffinen Patienten.“ Und, anders als erwartet, waren vor allem Senioren Ü70 begeistert. „Damit hatten wir nicht gerechnet. Überhaupt hat Pepper die Patienten, die im Wartezimmer darauf warteten, aufgerufen zu werden, sehr gut unterhalten und für Ablenkung gesorgt“, erklärt Praxismanagerin Melli Häußler.

Designkonzept Kawaii sorgt für ein niedliches Aussehen

Das ist kein Zufall, denn der 1,20 Meter große Helfer der Firma SoftBank Robotics wirkt auch deshalb sympathisch, weil sein Design dem japanischen Ästhetik-Konzept „Kawaii“ (japanischer Ausdruck für „liebenswert“, „süß“, „niedlich“), folgt, das Unschuld und Kindlichkeit betont. PatientInnen können per Spracherkennung oder Klicks auf einem Tablet am Bauch mit dem Roboter interagieren, der sich mithilfe von zwanzig Servomotoren und drei versteckten Rädern elegant und geräuscharm mit einer Geschwindigkeit von bis zu 3 Stundenkilometern durch die Praxis bewegt. Zwei positionsstabilisierende Gyrosensoren, zwei Sonar- und sechs Laserscanner stellen sicher, dass es hierbei nicht zu einer Kollision von Mensch und Maschine kommt. Und auch bauliche Hindernisse wie etwa großflächige Glasscheiben bringen Pepper rechtzeitig zum Stehen.

Das wurde „durchaus nicht gerade zimperlich“ getestet, berichtet Herzlieb. Dessen Technikpartner, die internationale IT- und Unternehmensberatung PBD.Global, entwickelte eigens einen 3D-Simulator namens „Pepper in Gefahr“, der den Roboter in der Praxis virtuell gegen Laserdrucker, unachtsam geöffnete Schranktüren und OP-Stühle rasseln ließ. Pepper musste im wahrsten Sinne des Wortes seine Praxistauglichkeit beweisen, erklärt Herzlieb. „Diese Testphase war gnadenlos, denn soziale Robotik soll für unsere Mitarbeitenden und Behandelnden eine Unterstützung sein, keine zusätzliche Last.“

Gut funktioniert hat die Integration in den Praxisalltag, findet der Praxischef. Denn auch das Team hieß Pepper schnell als Verstärkung willkommen. Im eng getakteten Behandlungsalltag ermöglichte die Entlastung durch den sozialen Roboter es den Behandelnden und Mitarbeitenden, einige wertvolle Minuten mehr mit den Patienten zu verbringen. „Wenn die Mitarbeiterinnen gerade ein Telefonat führen, bei der Behandlung assistieren oder anderweitig beschäftigt sind, ist der Rückhalt durch Pepper am Empfang unschätzbar“, erklärt Häußler.

Entsprechend positiv seien die Reaktionen des Teams auf die kurzfristige Unterstützung gewesen. Diese Erfahrung teilt auch Andreas Groh, Senior Partner beim PBD.Global, das Herzlieb die Infrastruktur für den Betrieb des Roboters in der Praxis bereitstellt: „Das Klischee, dass soziale Roboter Mitarbeitern die Arbeitsplätze wegnehmen, ist haltlos. Mitarbeiterteams tendieren dazu, Pepper als wertgeschätzte Entlastung zu sehen und sie oft sogar als Teammitglied aufzunehmen.“ Als ein vergleichbares Modell bei einem schottischen Lebensmittelkonzern wieder abgebaut wurde, weil es damals Probleme mit der Sprachausgabe gab, zeigten einige Kunden Schadenfreude, berichtet Groh, dafür gab es aber Tränen bei den Mitarbeitern, die sich an Pepper als Teammitglied gewöhnt hatten.

Echte Probleme gab es Herzlieb zufolge mit der niedlichen Roboterhelferin bisher keine. Das sei auch der guten Vorbereitung zu verdanken. Denn eine Herausforderung war die Bauweise der Praxis mit viel Glas, das zu Hall neigt. Auch gab es das Phänomen, dass manche Patienten Berührungsängste mit Pepper zeigten – nicht etwa, weil sie ein Roboter ist, sondern weil sie Angst hatten, etwas an dem Gerät kaputt zu machen. „Das wäre ja sicher sehr teuer“, äußerte eine Patientin. Doch Pepper bringt so leicht nichts um. Als der Roboter mit französisch-japanischen Wurzeln 2021 seinen ersten Auftritt in der Praxis absolvierte, damals noch unter den wachsamen Augen der WissenschaftlerInnen, war er bereits mehr als sechs Jahre in der Entwicklung und in anderen Branchen bereits im Einsatz, wodurch der Hersteller Erfahrungen sammeln konnte.

Trotzdem ging dem Einsatz bei Herzlieb eine mehrmonatige Planungsphase voraus, die gesamte Praxis wurde per Laser vermessen und von einem Architekturbüro als sogenannter „digitaler Zwilling“ nachgebaut. Schließlich seien die Sicherheitsanforderungen in der volldigitalen, hochvernetzten Praxis groß und Pepper kein billiges Unterfangen. „Die Version, bei der der Hersteller alle Sensoren zugänglich macht und eine spezielle Entwicklungsschnittstelle (API) anbietet, kostet einen fünfstelligen Betrag", erklärt der Zahnarzt, „und ist damit deutlich teurer als die verbreitetere, eingeschränkte Business-Version, die in einer Schweizer Großbank oder in Silicon-Valley-Hotels ihren Dienst tut.“

In der „Virtual Reality“ des 3-D-Modells konnten dank der Entwicklerschnittstelle zum Roboter ohne die Gefahr einer Beschädigung verschiedene Einsatzszenarien für Pepper durchgespielt und zum Teil auch als noch zu futuristisch wieder verworfen werden. Wenn zu den sozialen Funktionen des Roboters noch automatisierbare motorische Fertigkeiten kommen, perspektivisch vielleicht sogar das Anreichen von OP-Instrumenten, „dann wäre das ein echter Gamechanger“, sagt Herzlieb.

„Personal wird an wichtigeren Stellen gebraucht“

Prof. Dr. Birgit Lugrin hat seit 2015 eine Professur für Medieninformatik an der Universität Würzburg. Sie gehörte zu den LeiterInnen des Forschungsprojekts für soziale Robotik. Trotz großer Herausforderungen sieht sie viel Potenzial für den Einsatz von Robotern in Zahnarztpraxen.

Frau Prof. Lugrin, die wissenschaftliche Auswertung des Projekts dauert noch an. Können Sie trotzdem schon sagen, wie Sie den Einsatz des sozialen Roboters in der Praxis von Dr. Dr. Herz­lieb bewerten?

Prof. Dr. Birgit Lugrin: Der Roboter kam vor allem beim Personal sehr gut an. Überrascht hat mich, dass das Personal eine Entlastung empfunden hat, obwohl die Funktionalität unseres Prototypen recht eingeschränkt war. Die Angestellten berichteten, dass sie, sobald sie den Roboter hörten, wussten, dass nun jemand an der Anmeldung steht. Sie hatten in diesen Situationen also noch ein bis zwei Minuten Zeit, um das fertigzustellen, woran sie gerade gearbeitet haben.

Roboter haben am Empfang also schon jetzt ihre Berechtigung?

Ich denke, dass das Potenzial für diese Anwendungsmöglichkeit sehr hoch ist, ja. Vor allem natürlich, da durch den Fachkräftemangel das Personal an wichtigeren Stellen gebraucht wird – und häufig sowieso schon überlastet ist.

Wo sehen Sie denn die größten Herausforderungen beim Einsatz von sozialen Robotern?

Heute erhältliche Roboter sind noch sehr wartungsintensiv und alle Funktionalitäten, die einen Mehrwert in der echten Welt liefern, müssen für die jeweilige Situation aufwendig programmiert werden. Daher lohnt es sich für Unternehmen häufig noch nicht, einen Roboter anzuschaffen. Außerdem findet die meiste Forschung noch in den Laboren statt. Feldforschung wie in Zusammenarbeit mit Dr. Herzlieb ist eher die Ausnahme, aber sehr wichtig, um das Feld tatsächlich voranzutreiben.

Die Chance zum kostenlosen Test kam durch Zufall zustande, als Herzlieb beim Sport einen Universitätsmitarbeiter kennenlernte, der ihm von dem Forschungsprojekt „ESF-ZDEX-Digitales Experimentierfeld für Unternehmen“ der Julius-Maximilians-Universität Würzburg berichtete und ihn als Kooperationspartner warb. Der technikaffine Mediziner war sofort begeistert und auch sein IT-Administrator und das Praxisteam unterstützten die Idee. So kam der Kontakt zu Prof. Birgit Lugrin und deren Doktorandin Melissa Donnermann vom Lehrstuhl für Medieninformatik zustande, die den Roboter in die Praxis brachten. Ob es zu einem Folgeprojekt mit einer Erweiterung des Funktionsumfangs kommt, ist noch offen.

Die Chance zum kostenlosen Test kam mehr oder weniger zufällig zustande. Die Doktorandin Melissa Donnermann beim Lehrstuhl für Medieninformatik von Prof. Birgit Lugrin der Uni Würzburg hatte eine Suchmaschine gefüttert, die dann die Praxis von Herzlieb „entdeckte“. Nachdem er beim Sport von einem Universitätsmitarbeiter mehr über das Forschungsprojekt „ESF-ZDEX-Digitales Experimentierfeld für Unternehmen“ erfahren hatte, sagte er als Kooperationspartner zu. Der technikaffine Mediziner war sofort begeistert und auch sein IT-Administrator und das Praxisteam unterstützten die Idee. So schickten Lugrin und Donnermann den Roboter in die Praxis. Ob es zu einem Folgeprojekt mit einer Erweiterung des Funktionsumfangs kommt, ist noch offen.

In 57 Betrieben war Pepper im Einsatz

Das Forschungsprojekt der Universität Würzburg wurde vom Europäischen Sozialfonds der EU unterstützt und hat zum Ziel, die digitale Arbeit in kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern und Digitalisierungsprozesse nachhaltig zu stärken. In einem von drei Teilen ging es um den Einsatz von sozialen Robotern in Empfangssituationen. Wie Teilprojektleiterin Prof. Dr. Birgit Lugrin berichtet, war die MKG-Praxis von Dr. Dr. Boris Herzlieb die einzige Gesundheitseinrichtung im Projekt, bei den übrigen 56 Kooperationspartnern handelte es sich um Hotels oder Eventlocations. Die Befunde des Projekts, also auch des Einsatzes in der Zahnarztpraxis, sind noch nicht wissenschaftlich veröffentlicht. Ein Folgeprojekt ist angedacht, aber noch nicht beantragt.

Herzlieb ist überzeugt, er will zuschlagen

So lange will der MKG-Chirurg, der selbst schon Software programmiert hat, nicht warten: Bereits in wenigen Wochen wird sich ein neuer Pepper aus Italien auf den weiten Weg nach Würzburg machen. Der vorläufig liebevoll „Pepe bianco“ getaufte Roboter ist die neueste Iteration der internationalen Zusammenarbeit, die Herzlieb und PBD.Global forcieren. In den folgenden Monaten soll Pepper bei Herzlieb dann den Mitarbeitern zunächst noch mehr repetitive Aufgaben abnehmen, etwa Erstpatienten beim Ausfüllen des digitalen Anmeldebogens helfen oder Patienten zu den Behandlungsräumen führen.

Pepe bianco kostete knapp 7.000 Euro und habe den Vorteil, dass der obligatorische Wartungsvertrag für knapp 50 Euro pro Monat entfällt und man vollen Zugriff auf die etwa 130 Sensoren des Roboters hat und so die Choreografie des Roboters frei gestalten kann, berichtet Herzlieb. „Die Anwendungen der Android-Oberfläche können dann über Python und andere Sprachen programmiert werden“, sagt er.

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