„An der Mundgesundheit kommt nun keiner mehr vorbei!“
In Artikel 1 Paragraf 2 des sächsischen „Gesetzes über Kindertagesbetreuung“ (SächsKitaG) heißt es nun bei „Aufgaben und Ziele“ unter Absatz 3: „Der ganzheitliche Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag dient vor allem […] der Befähigung zu einer gesunden Lebensführung sowie der Entwicklung des Gesundheitsbewusstseins, insbesondere in Bezug auf hygienisches Verhalten, Körperpflege und Mundgesundheit, gesunde Ernährung und Bewegung.“ Die Landesregierung griff damit eine Anregung auf, für die die Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege des Freistaates Sachsen (LAGZ Sachsen) sich jahrelang eingesetzt hatte und die sie unter anderem im Rahmen einer Sachverständigenanhörung im Landtag im Oktober 2022 eingebracht hatte. „Dabei konnten wir eindrücklich zeigen, wie bedeutend gesunde Zähne für ein gesundes Aufwachsen sind und welche wichtige Rolle die Kindertageseinrichtungen dabei spielen“, berichtet Birte Eckardt, Geschäftsführerin der LAGZ Sachsen.
Um das Thema Mundgesundheit im Kita-Gesetz zu verankern, verfolgte die LAGZ Sachsen eine zweigleisige Strategie. Sie sprach nicht nur die GesundheitspolitikerInnen der Parteien an, sondern parallel auch die bildungspolitischen SprecherInnen der Fraktionen. „Im gesundheitspolitischen Bereich rennen wir als LAGZ mit unseren Inhalten mittlerweile offene Türen ein“, führt Eckardt aus. Im bildungspolitischen Ressort seien viele Zusammenhänge jedoch unbekannt gewesen. „Wir konnten den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern für Bildungspolitik verdeutlichen, wie viel an einer guten Mundgesundheit hängt.“
Mit zweigleisiger Strategie zum Erfolg
Die LAGZ Sachsen bezog auch die UN-Kinderrechtskonvention und die dort verbrieften Rechte der Kinder auf Gesundheit und Bildung in ihre Argumentation ein. Damit verknüpfte sie die Frage „Hat eine schlechte Mundgesundheit Auswirkungen auf die Bildungsbiografie eines Kindes?“. Dass die Antwort „Ja“ lautet, veranschaulichte die LAGZ insbesondere am Beispiel der frühkindlichen Karies – von der in Sachsen fast schon jedes siebte Kind betroffen ist. „Wir haben dargestellt, wie es einem Kind mit einem stark zerstörten, kariösen Gebiss und einem gegebenenfalls damit verbundenen Frontzahnverlust geht“, sagt Eckardt. Die möglichen Folgen – Schmerzen, schlechter Schlaf, eine eingeschränkte Kaufunktion, Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen, Mundgeruch, soziale Ausgrenzung – hätten Eindruck hinterlassen. „Im Anschluss haben wir aufgezeigt, dass es sich um prinzipiell vermeidbare Krankheitserfahrungen handelt und dass es dabei hilft, den Bildungsauftrag der Kitas gesundheitsförderlich auszurichten. Denn hier verbringen die Kinder teilweise 35 bis 40 Stunden pro Woche. Oder sogar mehr.“
Diese Botschaften sind angekommen. Das bestätigt unter anderem die Einordnung der Novellierung durch die bildungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die zusammen mit CDU und SPD die sächsische Regierung stellen. „Eine gute Zahn- und Mundgesundheit befördert Bildungsgerechtigkeit, denn sie ist Voraussetzung für einen störungsfreien Spracherwerb und prägt Bildungsbiografien von Kindern“, sagt Christin Melcher. „Gerade Kinder, die in schwierigen sozialen Lagen oder in bildungsfernen Haushalten aufwachsen und die tägliche Zahnpflege nicht im häuslichen Umfeld erleben, sollten diese in der Kita erlernen. So werden soziale Ungleichheiten ausgeglichen.“
Das steht in den Kita-Gesetzen anderer Bundesländer
Die Mundgesundheit hat es unter anderem ins schleswig-holsteinische „Gesetz zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege“ geschafft. Hier heißt es in Paragraf 19, Absatz 3: „Die pädagogischen Fachkräfte fördern die psychische Entwicklung der Kinder. Um ein gesundes Aufwachsen sicherzustellen, wird auf eine gesunde Ernährung, Bewegung sowie die tägliche Zahnpflege der Kinder geachtet.“
Seit September 2019 ist in Mecklenburg-Vorpommern im Kindertagesförderungsgesetz in Paragraf 3 (Aufgaben der frühkindlichen Bildung), Absatz 2 festgeschrieben: „Frühkindliche Bildung und Erziehung beinhaltet die Anleitung zur gesunden Lebensführung. Sie unterstützt die Entwicklung des Gesundheitsbewusstseins, insbesondere in Bezug auf hygienisches Verhalten, tägliche Zahnpflege, gesunde Ernährung und Bewegung.“
Einen Schritt näher an die gesetzliche Verankerung der Mundgesundheit herangerückt ist kürzlich das Land Berlin. Dort existiert bereits seit einigen Jahren ein Gesetzentwurf, der unter anderem das verbindliche Zähneputzen in den Einrichtungen vorsieht. Durch die Pandemie und die verkürzte Regierungszeit der alten Koalition konnte das Gesetz jedoch nicht auf den Weg gebracht werden. Nun hat die neue schwarz-rote Koalition die Zahngesundheit von Kindern und Jugendlichen im Koalitionsvertrag aufgenommen. Das Ziel: Zähneputzen in Kitas und Grundschulen soll zukünftig verpflichtend sein.
Dass nun das Wort „Mundgesundheit“ im Gesetz stehe, mache das Thema um ein Vielfaches sichtbarer, freut sich die LAGZ-Geschäftsführerin: „Das war ein dickes Brett – und ist für uns ein echter Meilenstein. Die Novellierung würdigt die Bedeutung der Mundgesundheit und macht ganz klar: An ihr kommt man nicht mehr vorbei!“