Polypharmazie – Implikationen für die Zahnmedizin
Mit einer zunehmenden Lebenserwartung steigt auch das individuelle Krankheitsrisiko. Und selbst wenn ein hohes Lebensalter nicht zwangsläufig mit einer gesteigerten Morbidität einhergeht, so liegt dennoch der Anteil multimorbider Patienten in der höheren Altersgruppe deutlich über dem jüngerer Patienten. Mit der Zunahme altersbedingter Erkrankungen steigt auch der Anteil der Polypharmazie. Eine im Jahr 2016 erschienene Analyse geht in diesem Sinne von einem Anteil von 45 Prozent bei den über 65-Jährigen aus [Mosshammer et al., 2016].
Dr. med. Diana Heimes
Assistenzärztin in der Weiterbildung zur Mund-Kiefer-Gesichtschirurgin
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
diana.heimes@unimedizin-mainz.de
2012–2019: Studium der Humanmedizin an den Universitäten Marburg, Rostock und Mainz
2020: Promotion zum Dr. med. an der Universität Rostock
seit 2019: Arbeit als Weiterbildungsassistentin für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsmedizin Mainz
2019–2023: Studium der Zahnmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Autorin zahlreicher nationaler und internationaler Publikationen zu den Forschungsthemen Maxillofaziale Chirurgie, Orale Regeneration, Schmerztherapie und Implantologie
Autorin eines in diesem Jahr erscheinenden Lehrbuchs zur Schmerzkontrolle in der Zahnmedizin
Gutachterin für diverse medizinische und zahnmedizinische Journale
Polypharmazie wird als die dauerhafte und gleichzeitige Einnahme mehrerer Wirkstoffe definiert; eine genaue Festlegung der Anzahl gibt es nicht. Meist wird die Einnahme von fünf oder mehr Wirkstoffen als Polypharmazie bezeichnet – hierzu zählen auch die sogenannten „Over-the-counter“-, also frei verkäuflichen, Medikamente [Mosshammer et al., 2016]. Problematisch ist die Polypharmazie aufgrund einer mit der Anzahl der eingenommenen Wirkstoffe steigenden Zahl möglicher Wechsel- und Nebenwirkungen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass altersspezifische Veränderungen der Pharmakokinetik in der medikamentösen Therapie häufig wenig Beachtung finden; in der Folge kommt es nicht selten zu Über- oder Unterdosierungen von Wirkstoffen. Nicht zuletzt sinkt mit einer steigenden Zahl einzunehmender Pharmazeutika auch die Therapieadhärenz der Patienten [Mosshammer et al., 2016].
Zum Schutz älterer Personen, die durch den Alterungsprozess von einer höheren Rate an Nebenwirkungen betroffen sind, wurden Listen „potenziell inadäquater Medikation im Alter“ (PIM) erstellt, die Medikamente aufführen, die bei älteren Menschen aufgrund des erhöhten Hospitalisierungsrisikos vermieden werden sollten (PRISCUS-Liste: www.priscus2-0.de; FORTA-Liste: forta.umm.uni-heidelberg.de). Dennoch kommt es regelmäßig zu Verordnungskaskaden, bei denen die Nebenwirkungen eingenommener Arzneimittel als eigenständige Symptome medikamentös behandelt werden [Mosshammer et al., 2016].
Neben den allgemeinmedizinischen Risikofaktoren einer Polypharmazie – darunter ein erhöhtes Risiko für Stürze, kognitive Störungen, Hospitalisierung und Mortalität [Mosshammer et al., 2016; Soto et al., 2021] – treten auch für die Zahnmedizin relevante Aspekte der Polypharmazie zutage. Mit dem im Jahr 2000 veröffentlichten „Surgeon General’s Report on Oral Health“ [U.S. Department of Health and Human Services, 2000] wurden erstmals die Relevanz der Mundhöhle als „Fenster zur Außenwelt“ und die Verbindung zwischen oraler und systemischer Gesundheit anerkannt. Mit über einhundert durch systemische Erkrankungen und fünfmal so vielen medikationsbedingten oralen Manifestationen stehen Zahnärzte vor einer wachsenden Herausforderung [Soto et al., 2021]. In klinischen Studien wurde außerdem eine reduzierte Mundgesundheit mit der gleichzeitigen und dauerhaften Einnahme von mehr als fünf Medikamenten in Verbindung gebracht [Nakamura et al., 2021; Anliker et al., 2023].
Effekte der Polymedikation auf die orale Gesundheit
Xerostomie und Hyposalivation
Bei der Xerostomie handelt es sich um die sicherlich häufigste orale Manifestation der Polypharmazie [Scully, 2003]. Obwohl die Begriffe „Xerostomie“ und „Hyposalivation“ häufig überlappend genutzt werden, handelt es sich um unterschiedliche Entitäten. Während die Xerostomie als das subjektive Gefühl der Mundtrockenheit definiert wird, handelt es sich bei der Hyposalivation um die objektiv messbare Reduktion der Speichelmenge (Abbildung 1) [Furness et al., 2011].
Mehr als 400 Medikamente sind dazu in der Lage, die Speichelproduktion zu reduzieren; bei 80 Prozent der bei älteren Personen am häufigsten verschriebenen Arzneimitteln tritt dies als Nebenwirkung auf [Turner, 2016]. Die Prävalenz für eine Funktionsstörung der Speicheldrüsen steigt dabei mit der Anzahl der eingenommenen Medikamente. Zu den mit Xerostomie und Hyposalivation assoziierten Arzneimitteln gehören unter anderem Antidepressiva, Sedativa, Antipsychotika, Antihypertensiva, Antihistaminika, Bronchodilatatoren, Chemotherapeutika und Protonenpumpeninhibitoren [Scully, 2003].
Die verringerte Speichelmenge prädisponiert für die Entwicklung bestimmter Folgeerkrankungen, deren Auftreten signifikanten Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten hat. Patienten mit einer Hyposalivation besitzen im Vergleich zur Normalbevölkerung ein deutlich erhöhtes Risiko, an Karies zu erkranken. Dieser Effekt ist auf die Veränderung des oralen Mikrobioms, insbesondere das vermehrte Vorkommen von Streptococcus mutans species, den Verlust der Schutzwirkung des Speichels und dessen Pufferkapazität zurückzuführen. Hinzu kommen motorische und kognitive Einschränkungen, die zu einer Verschlechterung der Mundhygiene beitragen [Turner, 2016].
Durch die mechanische Reinigungswirkung des Speichels wird die orale Schleimhaut in gesunden Individuen vor der Kolonisation mit Mikroorganismen geschützt. Fällt diese Reinigungswirkung weg, kann es zu einem Wachstum fakultativ pathogener Keime wie Candida kommen [Turner, 2016]. Die Austrocknung der Zungenoberfläche kann außerdem eine Fissurenbildung bedingen (Abbildung 2). Die in deren Folge verstärkte Retention von Nahrungsresten führt zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber der Besiedelung mit Pilzen, kann zu Glossodynie oder zum Verlust des Geschmacksempfindens beitragen. Sobald die Mukosa ihre mucinöse Schutzschicht verliert, kann zudem die physiologische Reibung von Zähnen oder prothetischen Restaurationen zu einer Schädigung der Oberfläche führen [Soto et al., 2021; Turner, 2016].
Die durch eine Xerostomie oder Hyposalivation bedingten Folgen sind im Gesamtbild des geriatrischen Patienten jedoch viel umfassender und schwerwiegender als die genannten lokalen Faktoren. Die durch die Mundtrockenheit bedingten Schluckstörungen können Malnutrition und Dehydratation zur Folge haben. Diese Faktoren werden durch einen kariesbedingten Zahnverlust, chronische Infektionen der Mundhöhle und einen Verlust des Geschmackssinns bedeutend verstärkt. Dies kann neben dem physischen auch das psychische Wohlbefinden des Patienten beeinträchtigen. Xerostomie-bedingte Sprachstörungen und die Unfähigkeit zur Kommunikation können diese Probleme durch soziale Isolation und psychischen Stress zusätzlich verstärken [Cannon et al., 2023].
In der Therapie der Hyposalivation steht neben der ausführlichen Anamnese die Analyse der auslösenden Faktoren im Vordergrund. Sollte es keine Möglichkeit geben, auf die Einnahme der verursachenden Wirkstoffe zu verzichten, so müssen Maßnahmen ergriffen werden, die Speichelproduktion zu stimulieren oder den Speichel zu ersetzen. Ein häufig angewendetes Mittel ist Xylitol, ein Zuckeralkohol, der in der Lebensmittelindustrie als Süßungsmittel eingesetzt wird und durch die Generierung eines osmotischen Gradienten zwischen Schleimhaut und Mundhöhle die Flüssigkeitssekretion anregt. Speichelersetzende Stoffe sollten eine möglichst ähnliche Viskosität besitzen wie Speichel und eine gute Schmierung aufweisen. Bei letzterer handelt es sich um die Fähigkeit eines Stoffes zur Reduktion von Friktion [Turner, 2016].
In Studien hat sich gezeigt, dass Mucin-basierte Ersatzstoffe die größte Ähnlichkeit zu natürlichem Speichel und die beste Schmierung im Vergleich zu Carboxymethylcellulose besitzen [Dirix et al., 2007; Shahdad et al., 2005]. Periphere Sialogoga wirken über die Stimulierung der gustatorischen Rezeptoren. Die bekanntesten Vertreter sind Ascorbin- und Apfelsäure; deren Effekt hängt jedoch von der noch vorhandenen Restaktivität der Speicheldrüsen ab. Für die Therapie von bestrahlten Patienten stehen außerdem zentral wirksame Substanzen zur Verfügung. Bei Pilocarpin handelt es sich um einen nicht-selektiven Agonisten des Muskarinrezeptors, während Cevimelin speicheldrüsenspezifisch agiert [Turner, 2016].
Aphthöse Mundschleimhauterkrankungen
Aphthöse Mundschleimhautulzerationen werden definiert als Läsionen, bei denen es durch eine bekannte Ursache zu einer Schädigung der Mundschleimhaut kommt und deren Therapie in der Beseitigung dieser Ursache liegt. Verschiedene Arzneimittel werden mit der Entstehung aphthöser Mundschleimhautveränderungen (Abbildung 3) in Verbindung gebracht. Darunter finden sich insbesondere Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR/NSAID), β-Blocker, ACE-Hemmer, Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) und Medikamente zur Therapie der Angina pectoris [Shah et al., 2016]. Medikamenteninduzierte Ulzerationen sind typischerweise im Bereich des Zungenrandes lokalisiert und resistent gegenüber herkömmlichen Therapiemaßnahmen [Munoz-Corcuera et al., 2009]. Die ursächliche Behandlung der häufig sehr schmerzhaften Läsionen besteht in der Beendigung der auslösenden Therapie. Topische Maßnahmen zur Symptomlinderung sind Anästhetika wie Lidocain-Gel, Chlorhexidin-Mundspülung in Kombination mit Kamillenextrakt, Polidocanol-Paste oder analgetische Lutschtabletten [Soto et al., 2016].
Burning mouth syndrome
Bei dem sogenannten „burning mouth syndrome“ handelt es sich um ein Erkrankungsbild multifaktorieller Genese, das sich durch ein brennendes Gefühl, häufig im vorderen Drittel der Zunge, auszeichnet. Die Prävalenz liegt weltweit bei 1 bis 4,8 Prozent und geht in der Hälfte aller Fälle mit Xerostomie und Geschmacksstörungen einher. Da es in der wissenschaftlichen Literatur keine einheitliche Diagnoseklassifikation gibt, handelt es sich bei dem Krankheitsbild häufig um eine Ausschlussdiagnose [Soto et al., 2016].
Fibrovaskuläre Hyperplasie
Eine Hyperplasie der Gingiva (Abbildung 4) tritt zuweilen als Nebenwirkung der Therapie mit Antiepileptika, Immunsuppressiva oder Antihypertensiva auf. Durch eine Zunahme der Extrazellulärmatrix im gingivalen Bindegewebe nimmt das gingivale Volumen zu. Innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der medikamentösen Therapie kann es bereits zu einer Verdickung der Interdentalpapillen kommen. Die anschließende Zunahme des Gingivavolumens führt nicht nur zu ästhetischen Beeinträchtigungen, sondern schränkt auch die orale Hygienefähigkeit ein, was den Patienten für das Auftreten einer Parodontitis anfälliger macht [Soto et al., 2016].
Effekte der Polymedikation auf die Pharmakotherapie
Pharmakotherapie bei älteren Patienten
Während des Alterungsprozesses kommt es zu physiologischen Veränderungen der Hämostase, einer Umverteilung der Volumina und einer Reduktion der funktionellen Reserven. Pharmakokinetik beschreibt die Absorption, die Verteilung, die Transformation und die Elimination von Wirkstoffen im menschlichen Körper. Diese Prozesse können entweder einzeln oder in ihrer Gesamtheit durch Alterungsprozesse beeinflusst werden. Durch den erhöhten Fett- und den reduzierten Wassergehalt des Körpers verändert sich die Verteilung von Arzneimitteln und kann bei lipophilen Substanzen zu einer verlängerten Wirkdauer und im Fall hydrophiler Stoffe zu einer gesteigerten Plasmakonzentration führen. Analog der verringerten Proteinbindung von Wirkstoffen durch eine im Alter reduzierte Menge Albumin können erhöhte Plasmakonzentrationen die Wahrscheinlichkeit für toxische Effekte erhöhen [Ouanounou et al., 2015]. Nicht zuletzt werden auch die Transformation und die Elimination von Arzneimitteln durch eine verringerte Organfunktion von Leber und Niere negativ beeinflusst [Ouanounou et al., 2015].
Bei der Pharmakodynamik handelt es sich um die Beschreibung der Wirkung einer Substanz im menschlichen Körper, die entweder aufgrund physiologischer oder aufgrund pathologischer Veränderungen beeinträchtigt sein kann. Mit dem Alterungsprozess geht eine erhöhte Sensibilität des zentralen Nervensystems für neuroaktive Substanzen wie Benzodiazepine, Anästhetika und Opioide einher. Insbesondere in der Zahnmedizin impliziert dies eine erhöhte Vorsicht bei der Nutzung solcher Substanzen. Unter der Anwendung von Sedativa kann es zu verlängerten Wirkzeiten kommen; Nebenwirkungen treten gehäuft auf. Sedierungen sollten insofern nur unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung und von entsprechend geschultem Personal durchgeführt werden [Ouanounou et al., 2015].
Ergänzend zu den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kommt es mit zunehmendem Alter zu einer gehäuften Nutzung von nicht verschreibungspflichtigen Mitteln, den sogenannten „Over-the-counter“-Medikamenten. Meist handelt es sich dabei um Schmerzmittel, Laxantien, Vitamine und Naturheilmittel. Doch gerade solche pflanzlichen Mittel können eigenständig oder durch die Beeinflussung enzymatischer Prozesse die pharmakologische Wirkung eingenommener Arzneimittel maßgeblich beeinflussen. Gingko, Ginseng, Knoblauch oder Ingwer besitzen thrombozytenaggregationshemmende Eigenschaften und können die Effekte von Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern wie Marcumar oder Acetylsalicylsäure verstärken [Ouanounou et al., 2015]. Im Rahmen der Erstvorstellung oder von Gesprächen zur pharmakologischen Neueinstellung geriatrischer Patienten sollten auch diese Aspekte erfasst und die Patienten über die schlecht absehbaren Wechselwirkungen mit nicht verschreibungspflichtigen Wirkstoffen aufgeklärt werden.
Die hohe Prävalenz der Polypharmazie in der älteren Bevölkerung bedingt ein steigendes Risiko für Wechsel- und Nebenwirkungen, deren Wahrscheinlichkeit mit der Anzahl eingenommener Agenzien exponentiell ansteigt. Insbesondere letztere sind ein häufiger Grund für Krankenhauseinweisungen geriatrischer Patienten mit einer hohen Morbiditäts- und Mortalitätsrate. Zu den hierbei häufig zu Problemen führenden Arzneimitteln zählen Antikoagulanzien, Antikonvulsiva und Herz-Kreislauf-Medikamente [Pasina et al., 2013; Hofer-Dueckelmann et al., 2011; Routledge et al., 2004].
Implikationen für die Lokalanästhesie
Grundsätzlich wird die Nutzung von Lokalanästhetika in der zahnärztlichen Praxis als sehr sicher erachtet. Jedoch sollten die altersbedingte Veränderung der Metabolisierung, insbesondere eine eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion, sowie mit dem Alter häufig einhergehende Allgemeinerkrankungen beachtet werden. Neben den grundsätzlichen Sicherheitskautelen wie einer streng extravasalen Applikation (Abbildung 5), kann eine Reduktion der Dosis des Lokalanästhetikums oder des Vasokonstriktors notwendig werden.
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts leiden in Deutschland über 20 Millionen Menschen an arterieller Hypertonie. Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen bilden die größte Risikopopulation in der zahnärztlichen Praxis. Die Komplikationsrate unter zahnärztlicher Lokalanästhesie bei gesunden Patienten liegt bei 3,5 Prozent, bei Vorliegen von kardiovaskulären Erkrankungen steigt das Risiko auf 5,7 Prozent [Daubländer et al., 1997]. Grundsätzlich kann die vermehrte exogene Zufuhr von Vasokonstriktoren zwar zu einer Minderperfusion des Myokards, zu einer Steigerung des Blutdrucks oder zur Dekompensation einer vorbestehenden Herzinsuffizienz führen, dennoch sollte auch bedacht werden, dass bei einer insuffizienten Anästhesie und damit einhergehenden Schmerzen die Menge systemisch freigesetzter Vasokonstriktiva deutlich über dem liegt, was nach der Gabe von Lokalanästhetika zu erwarten ist. Unter der Beachtung absoluter Kontraindikationen empfiehlt sich eine indikationsspezifische Anwendung von Vasokonstriktiva in möglichst geringer Dosierung. Als Technik der Wahl für multimorbide Patienten bietet sich aufgrund der geringen applizierten Menge Lokalanästhetikum die intraligamentäre Anästhesie an (Abbildung 6) [Kämmerer et al., 2018; Nusstein et al., 2004]; hierbei wird selbst unter Zusatz von Adrenalin 1:100.000 kein signifikanter Anstieg der kardiovaskulären Parameter beobachtet [Nusstein et al., 2004].
Neben der Menge genutzter Vasokonstriktiva spielt insbesondere die Operationszeit eine signifikante Rolle bei der Reduktion von Komplikationen in der Therapie geriatrischer Patienten. Während die Komplikationsrate bei Eingriffen unter 20 Minuten bei drei Prozent liegt, erhöht sich diese mit zunehmender Dauer der Behandlung auf bis zu 15 Prozent; Patienten ohne Risikofaktoren weisen unter längerer Behandlung eine Komplikationsrate von unter vier Prozent auf [Daubländer et al., 1997].
Mit einer Komplikationsrate von zehn Prozent befinden sich Leberfunktionsstörungen unter den Top Ten der kritischen Risikofaktoren in der zahnärztlichen Praxis. Dabei spielt die Abnahme der hepatischen Clearance eine entscheidende Rolle für den Um- und Abbau von Amid-Lokalanästhetika. Aufgrund der verzögerten Metabolisierung kann es bei einer fraktionierten Gabe von Lokalanästhetika zu einem signifikanten Anstieg der Plasmakonzentration kommen. Aus diesem Grund wird bei hepatisch vorbelasteten Patienten die einmalige Gabe einer reduzierten Dosis des Lokalanästhetikums empfohlen [Gheisari et al., 2020].
Besonders die umfangreiche Gruppe zentralnervös aktiver Substanzen führt bekanntermaßen zu einer Verstärkung der vasokonstriktiven Wirkung von Lokalanästhetika. Monoaminooxidase(MAO)-Hemmer führen zu einer Unterdrückung des Adrenalin-Metabolismus, was die systemische Toxizität der Lokalanästhesie erhöhen kann. Obwohl dieser Effekt auf der Basis aktueller Studien als eher gering eingestuft wird, wird die gleichzeitige Einnahme von MAO-Hemmern in der Fachinformation als Kontraindikation aufgeführt [Goulet et al., 1992]. Trizyklische Antidepressiva hemmen die Wiederaufnahme von Adrenalin in die Nervenzellen; auch hier kann es somit unter der zahnärztlichen Lokalanästhesie zu einer Wirkverstärkung des Vasokonstriktors kommen. Es werden Mengen von maximal 0,05 mg Adrenalin unter strenger Vermeidung der intravasalen Applikation empfohlen [Meechan, 2002].
Implikationen für die Analgesie
Zu den in der zahnärztlichen Praxis häufig genutzten Analgetika zählen insbesondere Paracetamol und Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR). Obwohl die Einnahme von maximal 4 g Paracetamol für gesunde Personen als ungefährlich erachtet wird, zählt das Arzneimittel zu den führenden Ursachen für akutes Leberversagen weltweit. Wird Paracetamol überdosiert, kann es zu hepatotoxischen Effekten kommen, doch auch Erkrankungen der Leber können die Metabolisierung erschweren. Liegen eine Leberzirrhose und zusätzliche Risikofaktoren für Hepatotoxizität (Mangelernährung oder Alkoholkonsum) vor, soll die Dosis auf maximal 2 g pro Tag reduziert werden. Im Vergleich zu anderen Analgetika kann die Einnahme von Paracetamol als vergleichbar sicher eingestuft werden, dennoch sollten kumulativ hepatotoxische Effekte oder Veränderungen des Lebermetabolismus aufgrund von Polypharmazie – auch von durch den Patienten selbstständig eingenommenen naturheilkundlichen Agenzien – beachtet und die Dosis gegebenenfalls angepasst werden [Stamer et al., 2021; Maucher, 2019].
In Anbetracht der hohen Verfügbarkeit von NSAR als „Over-the-counter“-Medikamente zur Schmerztherapie und deren guter Wirksamkeit bei Zahnschmerzen gehören diese Analgetika zu den in der zahnärztlichen Praxis am häufigsten genutzten Mitteln. Die gute Lipidlöslichkeit führt bei älteren Personen durch die altersabhängige Zunahme des Fettgewebes jedoch zu einer deutlich stärkeren Verteilung der Medikamente. Zusammengenommen mit einer, durch die reduzierte Albuminmenge gesteigerten Plasmakonzentration und einer physiologischen oder pathologischen Reduktion der Nierenfunktion im Alter kann die häufige und lange Einnahme von NSAR bei älteren Personen mit einer gesteigerten Toxizität einhergehen [Chutka et al., 2004]. Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen einer längerfristigen Einnahme von NSAR zählen gastrointestinale Symptome wie Gastritis oder Ulzera. In den USA sterben jährlich 16.000 Personen an den Folgen gastrointestinaler Komplikationen der Therapie mit NSAR [Wolfe et al., 1999]; aus diesem Grund ist die Verschreibung von NSAR bei Personen mit aktiver Gastritis oder einer Ulkusanamnese kontraindiziert. Andererseits wird die Kombination von NSAR mit Protonenpumpeninhibitoren insbesondere dann empfohlen, wenn eine Komedikation mit Glukokortikoiden, Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren oder gerinnungshemmenden Medikamenten erfolgt, ein erhöhtes Lebensalter oder schwerwiegende Allgemeinerkrankungen vorliegen oder Herz- oder Nierenfunktionsstörungen bekannt sind [Maucher, 2021]. Besondere Vorsicht ist bei der Verschreibung von Diclofenac und selektiven Cyclooxygenase-2-Inhibitoren wie Etoricoxib geboten; die Gabe von Diclofenac und Etoricoxib ist bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinsuffizient NYHA II–IV, Koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen) kontraindiziert.
Für die Kombination von NSAR und Acetylsalicylsäure zur Prophylaxe und Therapie kardiovaskulärer Ereignisse wird außerdem seit Langem die Abschwächung der Wirkung von Acetylsalicylsäure diskutiert. Um dieses Problem zu umgehen, wird eine zeitlich versetzte Einnahme empfohlen [Alqahtani et al., 2018]. Auch Methotrexat (MTX) kann durch NSAR von seiner Bindungsstelle verdrängt werden. Dieses Phänomen ist weniger für die niedrig dosierte Therapie bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, sondern vielmehr im Rahmen der Chemotherapie relevant. In diesem Fall ist die gleichzeitige Gabe von NSAR kontraindiziert [Haas, 1999]. Da es unter NSAR-Therapie außerdem zu einer Reduktion des renalen Blutflusses kommt, kann die Wirkung von Diuretika, β-Blockern und ACE-Hemmern verändert sein. In Anbetracht der gerinnungshemmenden Eigenschaften von NSAR geht außerdem die gleichzeitige Gabe mit Thrombozytenaggregationshemmern und Antikoagulanzien mit einem erhöhten Blutungsrisiko einher. In solchen Fällen, in denen die alleinige Therapie mit Paracetamol nicht zielführend ist, wird – soweit nicht kontraindiziert – eine kurzfristige Gabe der NSAR für weniger als fünf Tage empfohlen [Khatchadourian et al., 2014; Szeto et al., 2020].
Fazit
Neben den Einflüssen der Polymedikation im Speziellen bestehen enge Verbindungen zwischen oraler und systemischer Gesundheit. Durch die Zunahme altersbedingter Erkrankungen in der geriatrischen Bevölkerung ist diese Bevölkerungsgruppe besonders betroffen. Aufgrund der zentralen Stellung als Gesundheitsfürsorger, aber auch als langjähriger Begleiter geriatrischer Patienten besitzen Zahnärzte eine große Bedeutung für ältere Personen. Als häufig erster Ansprechpartner im Krankheitsfall steht dabei nicht immer der Zahn, sondern häufig die Medizin im Vordergrund. Eine ausführliche Anamnese und die Auseinandersetzung mit den allgemeinmedizinischen Implikationen der Pharmakologie für die orale Gesundheit bilden die Basis für die Einordnung oraler Pathologien in das medizinische Gesamtbild eines Patienten und ermöglichen eine individuell abgestimmte und sichere zahnärztliche Behandlung.
Literaturliste
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Mit einer zunehmenden Lebenserwartung steigt auch das individuelle Krankheitsrisiko. Und selbst wenn ein hohes Lebensalter nicht zwangsläufig mit einer gesteigerten Morbidität einhergeht, so liegt dennoch der Anteil multimorbider Patienten in der höheren Altersgruppe deutlich über dem jüngerer Patienten. Mit der Zunahme altersbedingter Erkrankungen steigt auch der Anteil der Polypharmazie. Eine im Jahr 2016 erschienene Analyse geht in diesem Sinne von einem Anteil von 45 Prozent bei den über 65-Jährigen aus [Mosshammer et al., 2016].
Dr. med. Diana Heimes
Assistenzärztin in der Weiterbildung zur Mund-Kiefer-Gesichtschirurgin
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
diana.heimes@unimedizin-mainz.de
2012–2019: Studium der Humanmedizin an den Universitäten Marburg, Rostock und Mainz
2020: Promotion zum Dr. med. an der Universität Rostock
seit 2019: Arbeit als Weiterbildungsassistentin für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsmedizin Mainz
2019–2023: Studium der Zahnmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Autorin zahlreicher nationaler und internationaler Publikationen zu den Forschungsthemen Maxillofaziale Chirurgie, Orale Regeneration, Schmerztherapie und Implantologie
Autorin eines in diesem Jahr erscheinenden Lehrbuchs zur Schmerzkontrolle in der Zahnmedizin
Gutachterin für diverse medizinische und zahnmedizinische Journale
Polypharmazie wird als die dauerhafte und gleichzeitige Einnahme mehrerer Wirkstoffe definiert; eine genaue Festlegung der Anzahl gibt es nicht. Meist wird die Einnahme von fünf oder mehr Wirkstoffen als Polypharmazie bezeichnet – hierzu zählen auch die sogenannten „Over-the-counter“-, also frei verkäuflichen, Medikamente [Mosshammer et al., 2016]. Problematisch ist die Polypharmazie aufgrund einer mit der Anzahl der eingenommenen Wirkstoffe steigenden Zahl möglicher Wechsel- und Nebenwirkungen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass altersspezifische Veränderungen der Pharmakokinetik in der medikamentösen Therapie häufig wenig Beachtung finden; in der Folge kommt es nicht selten zu Über- oder Unterdosierungen von Wirkstoffen. Nicht zuletzt sinkt mit einer steigenden Zahl einzunehmender Pharmazeutika auch die Therapieadhärenz der Patienten [Mosshammer et al., 2016].
Zum Schutz älterer Personen, die durch den Alterungsprozess von einer höheren Rate an Nebenwirkungen betroffen sind, wurden Listen „potenziell inadäquater Medikation im Alter“ (PIM) erstellt, die Medikamente aufführen, die bei älteren Menschen aufgrund des erhöhten Hospitalisierungsrisikos vermieden werden sollten (PRISCUS-Liste: www.priscus2-0.de; FORTA-Liste: forta.umm.uni-heidelberg.de). Dennoch kommt es regelmäßig zu Verordnungskaskaden, bei denen die Nebenwirkungen eingenommener Arzneimittel als eigenständige Symptome medikamentös behandelt werden [Mosshammer et al., 2016].
Neben den allgemeinmedizinischen Risikofaktoren einer Polypharmazie – darunter ein erhöhtes Risiko für Stürze, kognitive Störungen, Hospitalisierung und Mortalität [Mosshammer et al., 2016; Soto et al., 2021] – treten auch für die Zahnmedizin relevante Aspekte der Polypharmazie zutage. Mit dem im Jahr 2000 veröffentlichten „Surgeon General’s Report on Oral Health“ [U.S. Department of Health and Human Services, 2000] wurden erstmals die Relevanz der Mundhöhle als „Fenster zur Außenwelt“ und die Verbindung zwischen oraler und systemischer Gesundheit anerkannt. Mit über einhundert durch systemische Erkrankungen und fünfmal so vielen medikationsbedingten oralen Manifestationen stehen Zahnärzte vor einer wachsenden Herausforderung [Soto et al., 2021]. In klinischen Studien wurde außerdem eine reduzierte Mundgesundheit mit der gleichzeitigen und dauerhaften Einnahme von mehr als fünf Medikamenten in Verbindung gebracht [Nakamura et al., 2021; Anliker et al., 2023].
Effekte der Polymedikation auf die orale Gesundheit
Xerostomie und Hyposalivation
Bei der Xerostomie handelt es sich um die sicherlich häufigste orale Manifestation der Polypharmazie [Scully, 2003]. Obwohl die Begriffe „Xerostomie“ und „Hyposalivation“ häufig überlappend genutzt werden, handelt es sich um unterschiedliche Entitäten. Während die Xerostomie als das subjektive Gefühl der Mundtrockenheit definiert wird, handelt es sich bei der Hyposalivation um die objektiv messbare Reduktion der Speichelmenge (Abbildung 1) [Furness et al., 2011].
Mehr als 400 Medikamente sind dazu in der Lage, die Speichelproduktion zu reduzieren; bei 80 Prozent der bei älteren Personen am häufigsten verschriebenen Arzneimitteln tritt dies als Nebenwirkung auf [Turner, 2016]. Die Prävalenz für eine Funktionsstörung der Speicheldrüsen steigt dabei mit der Anzahl der eingenommenen Medikamente. Zu den mit Xerostomie und Hyposalivation assoziierten Arzneimitteln gehören unter anderem Antidepressiva, Sedativa, Antipsychotika, Antihypertensiva, Antihistaminika, Bronchodilatatoren, Chemotherapeutika und Protonenpumpeninhibitoren [Scully, 2003].
Die verringerte Speichelmenge prädisponiert für die Entwicklung bestimmter Folgeerkrankungen, deren Auftreten signifikanten Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten hat. Patienten mit einer Hyposalivation besitzen im Vergleich zur Normalbevölkerung ein deutlich erhöhtes Risiko, an Karies zu erkranken. Dieser Effekt ist auf die Veränderung des oralen Mikrobioms, insbesondere das vermehrte Vorkommen von Streptococcus mutans species, den Verlust der Schutzwirkung des Speichels und dessen Pufferkapazität zurückzuführen. Hinzu kommen motorische und kognitive Einschränkungen, die zu einer Verschlechterung der Mundhygiene beitragen [Turner, 2016].
Durch die mechanische Reinigungswirkung des Speichels wird die orale Schleimhaut in gesunden Individuen vor der Kolonisation mit Mikroorganismen geschützt. Fällt diese Reinigungswirkung weg, kann es zu einem Wachstum fakultativ pathogener Keime wie Candida kommen [Turner, 2016]. Die Austrocknung der Zungenoberfläche kann außerdem eine Fissurenbildung bedingen (Abbildung 2). Die in deren Folge verstärkte Retention von Nahrungsresten führt zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber der Besiedelung mit Pilzen, kann zu Glossodynie oder zum Verlust des Geschmacksempfindens beitragen. Sobald die Mukosa ihre mucinöse Schutzschicht verliert, kann zudem die physiologische Reibung von Zähnen oder prothetischen Restaurationen zu einer Schädigung der Oberfläche führen [Soto et al., 2021; Turner, 2016].
Die durch eine Xerostomie oder Hyposalivation bedingten Folgen sind im Gesamtbild des geriatrischen Patienten jedoch viel umfassender und schwerwiegender als die genannten lokalen Faktoren. Die durch die Mundtrockenheit bedingten Schluckstörungen können Malnutrition und Dehydratation zur Folge haben. Diese Faktoren werden durch einen kariesbedingten Zahnverlust, chronische Infektionen der Mundhöhle und einen Verlust des Geschmackssinns bedeutend verstärkt. Dies kann neben dem physischen auch das psychische Wohlbefinden des Patienten beeinträchtigen. Xerostomie-bedingte Sprachstörungen und die Unfähigkeit zur Kommunikation können diese Probleme durch soziale Isolation und psychischen Stress zusätzlich verstärken [Cannon et al., 2023].
In der Therapie der Hyposalivation steht neben der ausführlichen Anamnese die Analyse der auslösenden Faktoren im Vordergrund. Sollte es keine Möglichkeit geben, auf die Einnahme der verursachenden Wirkstoffe zu verzichten, so müssen Maßnahmen ergriffen werden, die Speichelproduktion zu stimulieren oder den Speichel zu ersetzen. Ein häufig angewendetes Mittel ist Xylitol, ein Zuckeralkohol, der in der Lebensmittelindustrie als Süßungsmittel eingesetzt wird und durch die Generierung eines osmotischen Gradienten zwischen Schleimhaut und Mundhöhle die Flüssigkeitssekretion anregt. Speichelersetzende Stoffe sollten eine möglichst ähnliche Viskosität besitzen wie Speichel und eine gute Schmierung aufweisen. Bei letzterer handelt es sich um die Fähigkeit eines Stoffes zur Reduktion von Friktion [Turner, 2016].
In Studien hat sich gezeigt, dass Mucin-basierte Ersatzstoffe die größte Ähnlichkeit zu natürlichem Speichel und die beste Schmierung im Vergleich zu Carboxymethylcellulose besitzen [Dirix et al., 2007; Shahdad et al., 2005]. Periphere Sialogoga wirken über die Stimulierung der gustatorischen Rezeptoren. Die bekanntesten Vertreter sind Ascorbin- und Apfelsäure; deren Effekt hängt jedoch von der noch vorhandenen Restaktivität der Speicheldrüsen ab. Für die Therapie von bestrahlten Patienten stehen außerdem zentral wirksame Substanzen zur Verfügung. Bei Pilocarpin handelt es sich um einen nicht-selektiven Agonisten des Muskarinrezeptors, während Cevimelin speicheldrüsenspezifisch agiert [Turner, 2016].
Aphthöse Mundschleimhauterkrankungen
Aphthöse Mundschleimhautulzerationen werden definiert als Läsionen, bei denen es durch eine bekannte Ursache zu einer Schädigung der Mundschleimhaut kommt und deren Therapie in der Beseitigung dieser Ursache liegt. Verschiedene Arzneimittel werden mit der Entstehung aphthöser Mundschleimhautveränderungen (Abbildung 3) in Verbindung gebracht. Darunter finden sich insbesondere Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR/NSAID), β-Blocker, ACE-Hemmer, Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) und Medikamente zur Therapie der Angina pectoris [Shah et al., 2016]. Medikamenteninduzierte Ulzerationen sind typischerweise im Bereich des Zungenrandes lokalisiert und resistent gegenüber herkömmlichen Therapiemaßnahmen [Munoz-Corcuera et al., 2009]. Die ursächliche Behandlung der häufig sehr schmerzhaften Läsionen besteht in der Beendigung der auslösenden Therapie. Topische Maßnahmen zur Symptomlinderung sind Anästhetika wie Lidocain-Gel, Chlorhexidin-Mundspülung in Kombination mit Kamillenextrakt, Polidocanol-Paste oder analgetische Lutschtabletten [Soto et al., 2016].
Burning mouth syndrome
Bei dem sogenannten „burning mouth syndrome“ handelt es sich um ein Erkrankungsbild multifaktorieller Genese, das sich durch ein brennendes Gefühl, häufig im vorderen Drittel der Zunge, auszeichnet. Die Prävalenz liegt weltweit bei 1 bis 4,8 Prozent und geht in der Hälfte aller Fälle mit Xerostomie und Geschmacksstörungen einher. Da es in der wissenschaftlichen Literatur keine einheitliche Diagnoseklassifikation gibt, handelt es sich bei dem Krankheitsbild häufig um eine Ausschlussdiagnose [Soto et al., 2016].
Fibrovaskuläre Hyperplasie
Eine Hyperplasie der Gingiva (Abbildung 4) tritt zuweilen als Nebenwirkung der Therapie mit Antiepileptika, Immunsuppressiva oder Antihypertensiva auf. Durch eine Zunahme der Extrazellulärmatrix im gingivalen Bindegewebe nimmt das gingivale Volumen zu. Innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der medikamentösen Therapie kann es bereits zu einer Verdickung der Interdentalpapillen kommen. Die anschließende Zunahme des Gingivavolumens führt nicht nur zu ästhetischen Beeinträchtigungen, sondern schränkt auch die orale Hygienefähigkeit ein, was den Patienten für das Auftreten einer Parodontitis anfälliger macht [Soto et al., 2016].
Effekte der Polymedikation auf die Pharmakotherapie
Pharmakotherapie bei älteren Patienten
Während des Alterungsprozesses kommt es zu physiologischen Veränderungen der Hämostase, einer Umverteilung der Volumina und einer Reduktion der funktionellen Reserven. Pharmakokinetik beschreibt die Absorption, die Verteilung, die Transformation und die Elimination von Wirkstoffen im menschlichen Körper. Diese Prozesse können entweder einzeln oder in ihrer Gesamtheit durch Alterungsprozesse beeinflusst werden. Durch den erhöhten Fett- und den reduzierten Wassergehalt des Körpers verändert sich die Verteilung von Arzneimitteln und kann bei lipophilen Substanzen zu einer verlängerten Wirkdauer und im Fall hydrophiler Stoffe zu einer gesteigerten Plasmakonzentration führen. Analog der verringerten Proteinbindung von Wirkstoffen durch eine im Alter reduzierte Menge Albumin können erhöhte Plasmakonzentrationen die Wahrscheinlichkeit für toxische Effekte erhöhen [Ouanounou et al., 2015]. Nicht zuletzt werden auch die Transformation und die Elimination von Arzneimitteln durch eine verringerte Organfunktion von Leber und Niere negativ beeinflusst [Ouanounou et al., 2015].
Bei der Pharmakodynamik handelt es sich um die Beschreibung der Wirkung einer Substanz im menschlichen Körper, die entweder aufgrund physiologischer oder aufgrund pathologischer Veränderungen beeinträchtigt sein kann. Mit dem Alterungsprozess geht eine erhöhte Sensibilität des zentralen Nervensystems für neuroaktive Substanzen wie Benzodiazepine, Anästhetika und Opioide einher. Insbesondere in der Zahnmedizin impliziert dies eine erhöhte Vorsicht bei der Nutzung solcher Substanzen. Unter der Anwendung von Sedativa kann es zu verlängerten Wirkzeiten kommen; Nebenwirkungen treten gehäuft auf. Sedierungen sollten insofern nur unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung und von entsprechend geschultem Personal durchgeführt werden [Ouanounou et al., 2015].
Ergänzend zu den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kommt es mit zunehmendem Alter zu einer gehäuften Nutzung von nicht verschreibungspflichtigen Mitteln, den sogenannten „Over-the-counter“-Medikamenten. Meist handelt es sich dabei um Schmerzmittel, Laxantien, Vitamine und Naturheilmittel. Doch gerade solche pflanzlichen Mittel können eigenständig oder durch die Beeinflussung enzymatischer Prozesse die pharmakologische Wirkung eingenommener Arzneimittel maßgeblich beeinflussen. Gingko, Ginseng, Knoblauch oder Ingwer besitzen thrombozytenaggregationshemmende Eigenschaften und können die Effekte von Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern wie Marcumar oder Acetylsalicylsäure verstärken [Ouanounou et al., 2015]. Im Rahmen der Erstvorstellung oder von Gesprächen zur pharmakologischen Neueinstellung geriatrischer Patienten sollten auch diese Aspekte erfasst und die Patienten über die schlecht absehbaren Wechselwirkungen mit nicht verschreibungspflichtigen Wirkstoffen aufgeklärt werden.
Die hohe Prävalenz der Polypharmazie in der älteren Bevölkerung bedingt ein steigendes Risiko für Wechsel- und Nebenwirkungen, deren Wahrscheinlichkeit mit der Anzahl eingenommener Agenzien exponentiell ansteigt. Insbesondere letztere sind ein häufiger Grund für Krankenhauseinweisungen geriatrischer Patienten mit einer hohen Morbiditäts- und Mortalitätsrate. Zu den hierbei häufig zu Problemen führenden Arzneimitteln zählen Antikoagulanzien, Antikonvulsiva und Herz-Kreislauf-Medikamente [Pasina et al., 2013; Hofer-Dueckelmann et al., 2011; Routledge et al., 2004].
Implikationen für die Lokalanästhesie
Grundsätzlich wird die Nutzung von Lokalanästhetika in der zahnärztlichen Praxis als sehr sicher erachtet. Jedoch sollten die altersbedingte Veränderung der Metabolisierung, insbesondere eine eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion, sowie mit dem Alter häufig einhergehende Allgemeinerkrankungen beachtet werden. Neben den grundsätzlichen Sicherheitskautelen wie einer streng extravasalen Applikation (Abbildung 5), kann eine Reduktion der Dosis des Lokalanästhetikums oder des Vasokonstriktors notwendig werden.
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts leiden in Deutschland über 20 Millionen Menschen an arterieller Hypertonie. Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen bilden die größte Risikopopulation in der zahnärztlichen Praxis. Die Komplikationsrate unter zahnärztlicher Lokalanästhesie bei gesunden Patienten liegt bei 3,5 Prozent, bei Vorliegen von kardiovaskulären Erkrankungen steigt das Risiko auf 5,7 Prozent [Daubländer et al., 1997]. Grundsätzlich kann die vermehrte exogene Zufuhr von Vasokonstriktoren zwar zu einer Minderperfusion des Myokards, zu einer Steigerung des Blutdrucks oder zur Dekompensation einer vorbestehenden Herzinsuffizienz führen, dennoch sollte auch bedacht werden, dass bei einer insuffizienten Anästhesie und damit einhergehenden Schmerzen die Menge systemisch freigesetzter Vasokonstriktiva deutlich über dem liegt, was nach der Gabe von Lokalanästhetika zu erwarten ist. Unter der Beachtung absoluter Kontraindikationen empfiehlt sich eine indikationsspezifische Anwendung von Vasokonstriktiva in möglichst geringer Dosierung. Als Technik der Wahl für multimorbide Patienten bietet sich aufgrund der geringen applizierten Menge Lokalanästhetikum die intraligamentäre Anästhesie an (Abbildung 6) [Kämmerer et al., 2018; Nusstein et al., 2004]; hierbei wird selbst unter Zusatz von Adrenalin 1:100.000 kein signifikanter Anstieg der kardiovaskulären Parameter beobachtet [Nusstein et al., 2004].
Neben der Menge genutzter Vasokonstriktiva spielt insbesondere die Operationszeit eine signifikante Rolle bei der Reduktion von Komplikationen in der Therapie geriatrischer Patienten. Während die Komplikationsrate bei Eingriffen unter 20 Minuten bei drei Prozent liegt, erhöht sich diese mit zunehmender Dauer der Behandlung auf bis zu 15 Prozent; Patienten ohne Risikofaktoren weisen unter längerer Behandlung eine Komplikationsrate von unter vier Prozent auf [Daubländer et al., 1997].
Mit einer Komplikationsrate von zehn Prozent befinden sich Leberfunktionsstörungen unter den Top Ten der kritischen Risikofaktoren in der zahnärztlichen Praxis. Dabei spielt die Abnahme der hepatischen Clearance eine entscheidende Rolle für den Um- und Abbau von Amid-Lokalanästhetika. Aufgrund der verzögerten Metabolisierung kann es bei einer fraktionierten Gabe von Lokalanästhetika zu einem signifikanten Anstieg der Plasmakonzentration kommen. Aus diesem Grund wird bei hepatisch vorbelasteten Patienten die einmalige Gabe einer reduzierten Dosis des Lokalanästhetikums empfohlen [Gheisari et al., 2020].
Besonders die umfangreiche Gruppe zentralnervös aktiver Substanzen führt bekanntermaßen zu einer Verstärkung der vasokonstriktiven Wirkung von Lokalanästhetika. Monoaminooxidase(MAO)-Hemmer führen zu einer Unterdrückung des Adrenalin-Metabolismus, was die systemische Toxizität der Lokalanästhesie erhöhen kann. Obwohl dieser Effekt auf der Basis aktueller Studien als eher gering eingestuft wird, wird die gleichzeitige Einnahme von MAO-Hemmern in der Fachinformation als Kontraindikation aufgeführt [Goulet et al., 1992]. Trizyklische Antidepressiva hemmen die Wiederaufnahme von Adrenalin in die Nervenzellen; auch hier kann es somit unter der zahnärztlichen Lokalanästhesie zu einer Wirkverstärkung des Vasokonstriktors kommen. Es werden Mengen von maximal 0,05 mg Adrenalin unter strenger Vermeidung der intravasalen Applikation empfohlen [Meechan, 2002].
Implikationen für die Analgesie
Zu den in der zahnärztlichen Praxis häufig genutzten Analgetika zählen insbesondere Paracetamol und Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR). Obwohl die Einnahme von maximal 4 g Paracetamol für gesunde Personen als ungefährlich erachtet wird, zählt das Arzneimittel zu den führenden Ursachen für akutes Leberversagen weltweit. Wird Paracetamol überdosiert, kann es zu hepatotoxischen Effekten kommen, doch auch Erkrankungen der Leber können die Metabolisierung erschweren. Liegen eine Leberzirrhose und zusätzliche Risikofaktoren für Hepatotoxizität (Mangelernährung oder Alkoholkonsum) vor, soll die Dosis auf maximal 2 g pro Tag reduziert werden. Im Vergleich zu anderen Analgetika kann die Einnahme von Paracetamol als vergleichbar sicher eingestuft werden, dennoch sollten kumulativ hepatotoxische Effekte oder Veränderungen des Lebermetabolismus aufgrund von Polypharmazie – auch von durch den Patienten selbstständig eingenommenen naturheilkundlichen Agenzien – beachtet und die Dosis gegebenenfalls angepasst werden [Stamer et al., 2021; Maucher, 2019].
In Anbetracht der hohen Verfügbarkeit von NSAR als „Over-the-counter“-Medikamente zur Schmerztherapie und deren guter Wirksamkeit bei Zahnschmerzen gehören diese Analgetika zu den in der zahnärztlichen Praxis am häufigsten genutzten Mitteln. Die gute Lipidlöslichkeit führt bei älteren Personen durch die altersabhängige Zunahme des Fettgewebes jedoch zu einer deutlich stärkeren Verteilung der Medikamente. Zusammengenommen mit einer, durch die reduzierte Albuminmenge gesteigerten Plasmakonzentration und einer physiologischen oder pathologischen Reduktion der Nierenfunktion im Alter kann die häufige und lange Einnahme von NSAR bei älteren Personen mit einer gesteigerten Toxizität einhergehen [Chutka et al., 2004]. Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen einer längerfristigen Einnahme von NSAR zählen gastrointestinale Symptome wie Gastritis oder Ulzera. In den USA sterben jährlich 16.000 Personen an den Folgen gastrointestinaler Komplikationen der Therapie mit NSAR [Wolfe et al., 1999]; aus diesem Grund ist die Verschreibung von NSAR bei Personen mit aktiver Gastritis oder einer Ulkusanamnese kontraindiziert. Andererseits wird die Kombination von NSAR mit Protonenpumpeninhibitoren insbesondere dann empfohlen, wenn eine Komedikation mit Glukokortikoiden, Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren oder gerinnungshemmenden Medikamenten erfolgt, ein erhöhtes Lebensalter oder schwerwiegende Allgemeinerkrankungen vorliegen oder Herz- oder Nierenfunktionsstörungen bekannt sind [Maucher, 2021]. Besondere Vorsicht ist bei der Verschreibung von Diclofenac und selektiven Cyclooxygenase-2-Inhibitoren wie Etoricoxib geboten; die Gabe von Diclofenac und Etoricoxib ist bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinsuffizient NYHA II–IV, Koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen) kontraindiziert.
Für die Kombination von NSAR und Acetylsalicylsäure zur Prophylaxe und Therapie kardiovaskulärer Ereignisse wird außerdem seit Langem die Abschwächung der Wirkung von Acetylsalicylsäure diskutiert. Um dieses Problem zu umgehen, wird eine zeitlich versetzte Einnahme empfohlen [Alqahtani et al., 2018]. Auch Methotrexat (MTX) kann durch NSAR von seiner Bindungsstelle verdrängt werden. Dieses Phänomen ist weniger für die niedrig dosierte Therapie bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, sondern vielmehr im Rahmen der Chemotherapie relevant. In diesem Fall ist die gleichzeitige Gabe von NSAR kontraindiziert [Haas, 1999]. Da es unter NSAR-Therapie außerdem zu einer Reduktion des renalen Blutflusses kommt, kann die Wirkung von Diuretika, β-Blockern und ACE-Hemmern verändert sein. In Anbetracht der gerinnungshemmenden Eigenschaften von NSAR geht außerdem die gleichzeitige Gabe mit Thrombozytenaggregationshemmern und Antikoagulanzien mit einem erhöhten Blutungsrisiko einher. In solchen Fällen, in denen die alleinige Therapie mit Paracetamol nicht zielführend ist, wird – soweit nicht kontraindiziert – eine kurzfristige Gabe der NSAR für weniger als fünf Tage empfohlen [Khatchadourian et al., 2014; Szeto et al., 2020].
Fazit
Neben den Einflüssen der Polymedikation im Speziellen bestehen enge Verbindungen zwischen oraler und systemischer Gesundheit. Durch die Zunahme altersbedingter Erkrankungen in der geriatrischen Bevölkerung ist diese Bevölkerungsgruppe besonders betroffen. Aufgrund der zentralen Stellung als Gesundheitsfürsorger, aber auch als langjähriger Begleiter geriatrischer Patienten besitzen Zahnärzte eine große Bedeutung für ältere Personen. Als häufig erster Ansprechpartner im Krankheitsfall steht dabei nicht immer der Zahn, sondern häufig die Medizin im Vordergrund. Eine ausführliche Anamnese und die Auseinandersetzung mit den allgemeinmedizinischen Implikationen der Pharmakologie für die orale Gesundheit bilden die Basis für die Einordnung oraler Pathologien in das medizinische Gesamtbild eines Patienten und ermöglichen eine individuell abgestimmte und sichere zahnärztliche Behandlung.
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