Zahnärzteschaft lehnt vorzeitiges Verbot von Dental-Amalgam ab
Die EU-Kommission hatte am 14. Juli in Brüssel ihren Vorschlag für eine Revision der geltenden EU-Quecksilberverordnung vorgelegt. Demnach soll die Verwendung von Amalgam bereits ab Januar 2025 nur noch in medizinischen Ausnahmefällen erlaubt sein. Auch die Herstellung in der EU und der Export in Drittstaaten sollen aus Umweltschutzgründen verboten werden. Das Europäische Parlament und der EU-Rat beraten dazu nach der Sommerpause. Unklar ist, ob das Verfahren bis zu den Europawahlen 2024 abgeschlossen werden kann.
Alternative Werkstoffe decken nicht alle Indikationen ab
Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) kritisiert den eiligen Vorstoß und fordert Korrekturen. Aus zahnmedizinischer Sicht sprächen zahlreiche Gründe für die Beibehaltung von Amalgam als Füllungsmaterial. Das im Amalgam enthaltene Quecksilber gehe mit Silber, Zinn und Kupfer eine feste intermetallische Verbindung ein und liege daher nur in gebundener, nicht umweltschädlicher Form vor. Das Material sei außerdem langlebiger als andere Füllungswerkstoffe und zeige Vorteile im mechanischen Verhalten. Die alternativen Werkstoffe könnten nicht alle Indikationen von Amalgamfüllungen abdecken, bilanziert die BZÄK.
Amalgamanteil in Deutschland
2021 wurden in Deutschland nach Abrechnungsdaten der KZBV 1,4 Millionen, ein Jahr später, 2022, dagegen nur noch 1 Million Amalgamfüllungen neu gelegt. Dabei beträgt der Anteil der neu gelegten Amalgamfüllungen an allen Füllungen 13a-d in Deutschland insgesamt etwa 2,4 Prozent, wobei der Anteil in den neuen Bundesländern mit rund 5,8 Prozent höher liegt als in den alten Bundesländern mit rund 1,6 Prozent. 2021 hatte der Anteil in Deutschland noch bei 3,2 Prozent (West 2,3 Prozent, Ost 7,0 Prozent) gelegen.
Seit dem 1. Januar 2021 werden aufgrund neuer Abrechnungsbestimmungen zu den Bema-Positionen 13a-d neu gelegte Amalgamfüllungen mit einem „A“ als Suffix zur Bema-Position gekennzeichnet.
Quelle: KZBV
Außerdem hätte ein generelles Amalgamverbot auch soziale Folgen, da alle verfügbaren Alternativmaterialien deutlich teurer sind. Darüber hinaus garantierten die Amalgamabscheider mittlerweile europaweit eine umweltverträgliche Nutzung des Werkstoffs. Schließlich würde Amalgam noch in vielen EU-Mitgliedstaaten in signifikantem Maß genutzt. Ein Verbot hätte hier deutliche Auswirkungen auf die zahnmedizinische Versorgung, kritisiert die BZÄK.
Amalgamverbot ab 2025? Die bedenklichen Pläne der EU-Kommission
Die Diskussion um das Dentalamalgam beschäftigt uns Vertragszahnärztinnen und -zahnärzte schon seit Längerem. Bereits 2013 hatten sich die Vereinten Nationen im sogenannten „Minamata“-Übereinkommen darauf verständigt, die Emission von Quecksilber in die Umwelt so weit wie möglich einzudämmen. Die Inhalte dieses Abkommens hatte das Europäische Parlament im Mai 2017 in der „Verordnung über Quecksilber“ übernommen. Neben Vorgaben zur allgemeinen Eindämmung von Quecksilberemissionen beinhaltete die Verordnung auch Regelungen, die speziell Dentalamalgam betrafen.
<image seo-title="" alt-text="" xlink:href="censhare:///service/assets/asset/id/171576" xlink:role="censhare:///service/masterdata/asset_rel_typedef;key=actual."/>
Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender des Vorstands der KZBV
Deutschland war und ist bezüglich eines verantwortungsvollen Umgangs mit dem Material bereits vor dieser Verordnung Vorreiter. Amalgamabscheider sowie die Verpflichtung zur Verwendung von ausschließlich verkapseltem Amalgam sind seit Langem Standard in deutschen Zahnarztpraxen.
Aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes darf seit Juli 2018 Dentalamalgam EU-weit bei Kindern unter 15 Jahren, Schwangeren und Stillenden nur noch in medizinischen Ausnahmefällen verwendet werden. Die deutsche Zahnärzteschaft hat diese Regelungen umgesetzt und den Weg für zuzahlungsfreie Kunststofffüllungen für diese Fälle eröffnet. Es ist aber festzuhalten: Amalgam gilt nach wie vor als einer der am besten erforschten Werkstoffe in der Füllungstherapie weltweit. Auch nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand besteht laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte „kein begründeter Verdacht dafür, dass ordnungsgemäß gelegte Amalgamfüllungen negative Auswirkungen auf die Gesundheit des zahnärztlichen Patienten haben“.
Doch die EU-Kommission betrachtet Dentalamalgam nicht nur aus der Perspektive der zahnmedizinischen Versorgung, sondern zieht auch Aspekte des Umweltschutzes in Betracht. Daher waren die Mitgliedstaaten verpflichtet zu prüfen, wie die Verwendung von Dentalamalgam bis 2030 weiter reduziert werden kann (sogenannter „phase down“).
Dieses Zeitziel hat die EU-Kommission nun mit Vorlage eines neuen Vorschlags ad absurdum geführt. Am 14. Juli 2023 wurde ein Regelungsentwurf veröffentlicht, mit dem die EU-Kommission aus Gründen des Umweltschutzes ein Verbot der Verwendung von Dentalamalgam ab dem 1. Januar 2025 vorsieht. Ausnahmen vom Verbot soll es nur für Fälle geben, in denen eine Amalgamverwendung wegen der spezifischen medizinischen Erfordernisse bei dem jeweiligen Patienten als zwingend notwendig angesehen wird. Darüber hinaus sollen ab diesem Zeitpunkt die Herstellung und die Ausfuhr von Dentalamalgam in der EU verboten werden.
Die EU-Kommission begründet ihren Schritt damit, dass aus Gründen des Umweltschutzes ein frühestmögliches Amalgamverbot am effizientesten ist und insgesamt ein rückläufiger Trend bei der Verwendung von Dentalamalgam in der EU zu beobachten ist. Zudem dürfte sich nach Einschätzung der Kommission der „Kostenunterschied zwischen Dentalamalgam und quecksilberfreien Alternativen mit zunehmender Nachfrage und Innovation verringern.“
Diese Entwicklung ist hinsichtlich der Sicherstellung der zahnärztlichen Versorgung mehr als bedenklich und zeigt, wie kurzsichtig und ignorant die Kommission vorgeht. Mit dem vorgeschlagenen Ausstiegsdatum zum 1. Januar 2025 entscheidet sich die EU-Kommission entgegen der intensiv geführten Diskussion bewusst für die frühestmögliche Variante eines Ausstiegs, um Druck auf die EU-Mitgliedstaaten auszuüben. Versorgungsfragen spielen keine Rolle.
Denn: Zu diesem Stichtag müsste eine flächendeckende Versorgung mit einem plastischen Füllungsmaterial gewährleistet sein, das einen qualitativ gleichwertigen Ersatz darstellt. Gerade aus Sicht des deutschen Versorgungssystems geht es bei der Frage der Gestaltung von Versorgungsszenarien ohne Dentalamalgam nicht allein um die von der Kommission angeführten Kostenunterschiede. Es geht vielmehr um eine evidenzgesicherte Versorgung mit Alternativmaterialien. Damit geht auch das Innovationsargument der Kommission ins Leere, da höchst unklar ist, ob Materialinnovationen bis zum 1. Januar 2025 zu realisieren sein werden.
Die ganze Absurdität des Vorgangs wird deutlich, wenn man die Ausnahmeregelung betrachtet. Gewiss, die Zahlen von Amalgamfüllungen sinken kontinuierlich und machen derzeit nur noch circa 2,4 Prozent an den Gesamtfüllungen aus. Gleichwohl ist das Material für die Versorgung von vulnerablen Patientengruppen, besonders in der Alters- und Behindertenzahnheilkunde, nicht wegzudenken. Diese Fälle könnte man unter die von der Kommission vorgeschlagene Ausnahme der zahnmedizinischen Notwendigkeit fassen. Doch: Gleichzeitig soll die Herstellung von Amalgam in der EU verboten werden. Damit bleibt die Frage, woher Zahnärztinnen und Zahnärzte ihr Material bekommen sollen? Es bliebe nur ein umständlicher Import aus Nicht-EU-Ländern. Dieser Schnellschuss trifft damit neben allen anderen Patientinnen und Patienten insbesondere diejenigen, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation einen besonderen Versorgungsbedarf haben.
KZBV, BZÄK und DGZMK setzen sich seit Langem für eine evidenzgesicherte, am Wohle der Patientinnen und Patienten orientierten zahnmedizinischen Versorgung ein. Aus diesem Grund haben KZBV und BZÄK und die DGZMK gemeinsam eine entsprechende Evidenzrecherche zur Bewertung von Alternativmaterialien initiiert, deren Kosten von KZBV und BZÄK getragen werden. Deren Ergebnisse werden bis Herbst dieses Jahres erwartet.
Sollten die Pläne der EU-Kommission Realität werden, werden sie mit dem Argument des Umweltschutzes dazu führen, dass Materialalternativen als Innovationen auf den Markt kommen können, die faktisch aufgrund des ohne Not verursachten Zeitdrucks am Patienten erprobt werden, sollte keine evidenzgesicherte Alternative zur Verfügung stehen. Dies geht zu Lasten der Qualität der Versorgung und ist aus zahnmedizinischer und wissenschaftlicher Sicht nicht vertretbar.
Es ist daher unabdingbar, dass der bisherige Plan mit der Prüfung, ob ein Amalgam-„phase down“ bis 2030 möglich ist, beibehalten wird. Nur auf Grundlage dieser Prüfung, die eine gründliche Bewertung von Alternativmaterialien beinhaltet und ergebnisoffen vorgenommen wird, bleibt der hohe Standard unserer Versorgung gewahrt. Alles andere sind populistische Schnellschüsse, die zu Lasten unserer Patientinnen und Patienten gehen.
Die BZÄK und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) begleiten den Prozess gemeinsam mit der Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) seit Jahren intensiv. Gemeinsam hatten sie sich mit dem Council of European Dentists (CED) stets für den Erhalt des Werkstoffs ausgesprochen. Eigentlich sollte im Rahmen einer Machbarkeitsstudie untersucht werden, inwiefern ein schrittweiser Ausstieg – vorzugsweise bis 2030 – möglich sei.