Chef, ich brauche mehr Balance!
Aktuell diktieren in vielen Branchen die Arbeitnehmer mehr oder weniger die Bedingungen. Das ist auch der Eindruck von Dr. Anke Handrock, Zahnärztin und Praxis-Coach. „Neben dem Gehalt und dem Praxisklima gehört auch die mitarbeiterfreundliche Gestaltung der Arbeitszeiten zu den Top-Auswahlkriterien bei Bewerbern. Neue Stellen werden in der Regel anhand optimaler Konditionen gesucht“, sagt Handrock. Das bedeutet auch: Praxisinhaberinnen und -inhaber müssen kompromissbereit sein: „Findet sich keine Neu- oder Nachbesetzung für eine vakante Vollzeitstelle, sollte man überlegen, ob man den Job aufsplitten kann. Die meisten Praxen haben ja bereits Mischmodelle aus Vollzeit- und Teilzeit-Beschäftigten. Das wird sich noch verstärken“, prognostiziert sie.
Wer eine verkürzte Arbeitswoche einführen will, beginnt am besten mit einer realistischen Kalkulation, bevor er an die Umsetzung geht. Einfacher ist das, wenn man sich nicht um die Arbeitszeiten der Angestellten einzeln Gedanken macht, sondern die entsprechenden Teams betrachtet. „Sehen Sie das Tandem aus Arzt und Assistenz als eine Einheit!“, rät Handrock. In größeren Praxen ist das in der Regel möglich (siehe Interview auf Seite 34). Hürden sind neben der Gestaltung der Dienstpläne nach den Gesamtarbeitszeiten dabei vor allem die Öffnungszeiten. Je kleiner die Praxis, desto größer das Problem der Wirtschaftlichkeit.
Das Tandem aus Arzt und Assistenz ist eine Einheit
Christian Brendel, der Zahnärzte in betriebswirtschaftlichen Belangen berät, rechnet vor: „Die durchschnittliche Zahnarztpraxis, die vielleicht einen Jahresgewinn von 150.000 bis 200.000 Euro für den Inhaber erzielt und nur über eine knappe Teambesetzung verfügt, hat eine Rentabilität von 30 bis 35 Prozent. Eine Reduzierung der Arbeitszeit um 20 Prozent bei gleichbleibenden Gehältern würde zu einem Gewinnrückgang von mehr als 60 Prozent führen. Selbst wenn die Löhne entsprechend der reduzierten Arbeitszeit angepasst werden, könnte die Praxis immer noch rund 30 Prozent ihrer Gewinne verlieren.“
Um den Gewinnverlust teilweise zu kompensieren, könnte man die Bezahlung reduzieren – was für die Mitarbeiter aber sicherlich keine Option sei, gibt er zu bedenken. Die Lösung liegt seiner Meinung nach irgendwo dazwischen: „Man muss die Effizienz steigern und eine hervorragende Praxisperformance erzielen, bevor man über eine Vier-Tage-Woche nachdenken kann.“ Für die durchschnittliche Praxis dürfte das seiner Einschätzung nach eine ziemliche Herausforderung darstellen. Am Ende ist die Auslastung einer Praxis entscheidend für deren Erfolg. Hinzu kommt die Auslegung: Geht es um eine Umverteilung oder um eine Reduzierung von Arbeitszeiten?
Was sagen die Patienten?
Sehr große Praxen, die durch ein gutes Recruiting und ein erfolgreiches Mitarbeiter-Management genügend Bewerbungen erhalten, können mit vielen Mitarbeitern, die maximal vier Tage arbeiten, dennoch eine ganze Woche – vielleicht sogar sechs Tage – abdecken, meint er. Die Größe der Praxis erlaube eine gewisse Flexibilität, um bei Ausfällen oder Krankheiten andere Teammitglieder einzusetzen.
Ebenso möglich sei das Modell für derart erfolgreiche und profitable Praxen, die es sich finanziell leisten können, einen Gewinnrückgang in Kauf zu nehmen, um weniger zu arbeiten. Eine dritte Gruppe könnten Landpraxen mit niedrigem Wettbewerbsdruck sein, die sich deswegen den Luxus erlauben (können), das Angebotsspektrum einzuschränken. Die Frage ist jedoch, wie dies bei den Patienten ankommt und welche Auswirkungen das auf die lokale Patientenversorgung hat, erklärt er.
Außerdem interessant könne das Modell für Praxen mit einem geringen Patientenaufkommen sein, insbesondere wenn der Inhaber nicht mehr fünf Tage voll arbeiten möchte oder kann. „Wenn weniger Behandlungstermine angeboten werden, könnte das grundsätzlich die Attraktivität der Praxis für die Patienten mindern. Auf makroökonomischer Ebene stellt sich darüber hinaus die Frage, wie die zahnmedizinische Versorgung sichergestellt werden kann, wenn viele oder alle Praxen ihre Behandlungskapazität reduzieren, insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels und des Praxisschwunds“, so der Praxisberater.
Brendel: „Wenn wir von einer Fünf-Tage-Woche auf eine Vier-Tage-Woche umstellen, erhöhen sich die freien Tage von zwei auf drei. Das entspricht einem Freizeitgewinn von 50 Prozent. Dem gegenüber steht ein potenzieller Gewinnverlust von 30 bis 60 Prozent, es sei denn, es gelingt, die Effizienz durch ein ausgeklügeltes System und eine hohe Produktivität auszugleichen.“ Diese Herausforderung kann seiner Erfahrung nach nur im Team gelöst werden: „Wenn das Team und die Praxisleitung den Wunsch nach einer Vier-Tage-Woche haben, muss man die individuellen Antriebe und Wünsche genau verstehen. Eine effiziente Praxis funktioniert immer nur mit einem Top-Team.“
Gefragt sind Puzzle-Arbeit und eine gute Personalplanung: „Hier sind kreative Team-Lösungen gefragt. Jeder schaut, was er möglich machen kann, um flexibel, motiviert und leistungsstark für die Praxis mit verändertem Arbeitszeitmodell zu sein.“
Und wie reagiert man, wenn eine Mitarbeiterin explizit nach der Vier-Tage-Woche fragt? „Das kommt auf den Einzelfall an“, sagt Handrock. „Grundsätzlich ist entscheidend, ob das Anliegen als Wunsch, Forderung oder gar Erpressung formuliert wird. Hier muss sich der Chef jeweils überlegen, wie er mit der Intensität und dem Druck umgehen will. Wenn ein Mitarbeiter das Gespräch dazu sucht, kann man davon ausgehen, dass er auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle finden würde, die ihm entspricht.“ Flexible Praxen sind bei Bewerbern bekanntlich klar im Vorteil. Handrock: „Also, macht möglich, was geht! Die Arbeitszeitgestaltung ist auch eine Chance, wie man gegen die höheren Gehälter von großen Praxen ankommen kann.“
Mehr Flexibilität ist die Revanche
Lohnt sich die Umstrukturierung? „Mitarbeiter, die eine Vier-Tage-Woche für sich durchsetzen konnten, haben das Gefühl, dass man ihnen entgegengekommen ist. Das bindet mitunter stark und macht die Praxis als Arbeitsplatz sowie als Marke attraktiv“, betont Handrock Oft sind Angestellte ihrer Erfahrung nach dann eher bereit, auch die unbeliebteren Spätdienste zu machen. „Sie sind als Revanche dafür, dass Sie mehr Freizeit möglich machen, flexibler.“
„Individuellen Lösungen steht nichts im Weg!"
Eine arbeitsrechtliche Einordnung
„Zunächst ist zu klären, ob es entgegenstehende bindende tarifvertragliche Vorgaben zur Arbeitszeit gibt. Das wird es allerdings in der Zahnarztpraxis eher selten geben, ebenso Betriebsräte, die zu beteiligen wären. Von daher steht individuellen Lösungen erst einmal nichts im Weg.
Modell 1: Verteilung der unveränderten Wochenstundenzahl auf vier statt auf fünf Arbeitstage. In diesem Modell arbeiten die Beschäftigten statt bisher acht Stunden nunmehr zehn Stunden täglich, allerdings nur an vier Wochentagen. Die Monatsvergütung verändert sich nicht. Achtung: Überstunden sind an den vier Arbeitstagen nicht erlaubt, da die Höchstarbeitszeit von zehn Stunden nach dem Arbeitszeitgesetz bereits erreicht ist. Für Minderjährige ist das Modell 1 nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz nicht zulässig.
Modell 2: Verringerung der Arbeitszeit um acht Wochenstunden. In diesem Modell arbeiten die Beschäftigten statt bisher 40 Wochenstunden nur noch 32 Wochenstunden an vier Tagen zu je acht Stunden. Es entsteht ein Teilzeitarbeitsverhältnis. Damit verringert sich grundsätzlich auch die Vergütung um ein Fünftel, was aber nicht zwingend und letztlich Vereinbarungssache ist. Eine reduzierte Wochenarbeitszeit kann also auch bei gleichbleibendem Gehalt vereinbart werden. Der Jahresurlaub reduziert sich in beiden Modellen um ein Fünftel (also zum Beispiel von 30 auf 24 Tage). Welcher neben dem Wochenende weitere Wochentag arbeitsfrei sein soll, kann entweder verbindlich vereinbart oder durch den Arbeitgeber je nach Bedarf im Dienstplan für den Folgemonat festgelegt werden.
Die Vier-Tage-Woche nach Modell 1 kann unter Umständen sogar einseitig durch den Arbeitgeber eingeführt werden (Achtung: Nachweisgesetz beachten). Es empfiehlt sich aber schon wegen der besseren Akzeptanz eine einvernehmliche Regelung durch eine Ergänzung des Arbeitsvertrags, der bei dieser Gelegenheit zweckmäßigerweise insgesamt an die aktuelle Rechtslage angepasst werden sollte.
Die Einführung von Modell 2 ist gegen den Willen der Beschäftigten nicht möglich. Insgesamt empfehle ich Arbeitgebern dringend, sich bei der Einführung fachanwaltlich individuell beraten zu lassen."
Empfiehlt sie eine Art Versuchsphase? „Generell kann man jede Veränderung als Experiment ausprobieren. Allerdings ist bei einer Veränderung der Arbeitszeit zu bedenken, dass das eben häufig auch mit einer Veränderung der Praxiszeiten verbunden ist – mit entsprechenden Auswirkungen. Ob man das Risiko eingehen möchte, mehrfach seine Praxiszeiten zu verändern, muss jeder selber entscheiden“, verdeutlicht Handrock.