Interview mit Prof. Florian Beuer zur S3-Leitlinie Materialunverträglichkeiten bei Implantaten

Titan- versus Keramikimplantate: Ist Keramik eine Alternative?

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Die von der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) initiierte S3-Leitlinie „Materialunverträglichkeiten bei dentalen, enossalen Implantaten“ thematisiert mögliche Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber Titan, dem für die Herstellung dentaler Implantate meistverwendeten Material. Wir haben Prof. Dr. Florian Beuer, Präsident der DGI, zu den klinischen Konsequenzen der Leitlinie befragt.

Herr Professor Beuer, lange Zeit war Titan das einzige Material, aus dem Zahnimplantate gefertigt wurden. Nach der Markteinführung von Keramikimplantaten aus Zirkondioxid wird nun vermehrt um Allergien und Unverträglichkeiten rund ums Titan diskutiert, die Begriffe „metallfrei“ und „titanfrei“ machen die Runde. Angesichts dieses Vokabulars drängt sich der Eindruck auf, die Diskussion könnte – ähnlich wie beim Fluorid – den Ruf einer jahrzehntelang bewährten Intervention beschädigen. Wie substanziell sind die Argumente?

Prof. Dr. Florian Beuer: In der Tat entfaltet die Diskussion über mögliche Unverträglichkeiten des Titans einen gewissen Druck, das Thema auch wissenschaftlich anzugehen. Deshalb hat die DGI die Initiative ergriffen und in der Leitlinie die vorhandene Evidenz zu möglichen Allergien beziehungsweise Unverträglichkeitsreaktionen zusammengefasst. Das Ergebnis war: Klassische Allergien durch Titan sind aus den chemischen Eigenschaften des Materials heraus nicht möglich. Unverträglichkeitsreaktionen sind in seltenen Fällen denkbar, aber die Evidenz dazu ist schwach. Deshalb gibt die Leitlinie ausdrücklich die Empfehlung, auf Allergietests zu verzichten und zunächst einmal alle Behandlungsmöglichkeiten – insbesondere die leitliniengerechte Periimplantitisbehandlung – auszuschöpfen. Die Explantation sollte nur die allerletzte Option sein.

Diese Aussagen sind ja eindeutig. Die klinische Schlussfolgerung daraus ist zweigeteilt: Einerseits sollten wir bei besonderen Problemsituationen mit Implantaten eine mögliche Unverträglichkeitsreaktion mitdenken. Andererseits glaube ich, können wir ruhigen Gewissens sagen, dass die übergroße Mehrheit der Probleme mit Implantaten andere Ursachen hat und nicht auf Unverträglichkeitsreaktionen gegen Titan zurückzuführen ist.

Macht es zahnmedizinisch Sinn, Patienten von vornherein Keramikimplantate zu empfehlen, um etwaigen Problemen aus dem Weg zu gehen?

Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es – wie fast überall in der Medizin – keine klare und finale Erkenntnislage. Wir können uns nur an der vorhandenen Evidenz orientieren und die belegt, dass sich das Titan bislang als langjährig gut bewährtes und sehr biokompatibles Material gezeigt hat. Viele heute auftretende Probleme mit Implantaten sind aus meiner Sicht eher auf die Ausweitung der Indikationen für Implantate auf Patientengruppen mit erhöhtem Risikopotenzial und dem daraus folgenden anspruchsvollen Nachsorge- beziehungsweise Risikomanagement, das insbesondere in der häuslichen Mundhygiene nicht immer umgesetzt werden kann, zurückzuführen.

Ich glaube, die Frage nach Keramikimplantaten wird vermutlich eher von Patientenseite kommen. Wenn Patienten emotional stark zu einem Keramikimplantat tendieren, dann ist es schwierig, sie mit den Argumenten für Titan wieder einzufangen. Diese Gruppe wird wahrscheinlich mit einem Titanimplantat nicht glücklich. Da sich die Keramikimplantate im Insertionsprotokoll und bei der weiteren Versorgung von Titanimplantaten teilweise deutlich unterscheiden, muss jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt für sich selbst die Frage beantworten, ob er oder sie selbst in die Keramikimplantologie einsteigt oder entsprechende Patienten überweist. Eine Empfehlung von uns als Behandler würde voraussetzen, dass wir die Keramikimplantate in der Summe ihrer Eigenschaften den Titanimplantaten als überlegen ansehen würden ...

… Sie sehen also keine Überlegenheit bei der Keramik?

Ich bin ein großer Keramikfan und würde mir ein Implantat wünschen, das alle Vorteile des zweiteiligen Titanimplantats hat und aus Keramik ist. Das existiert allerdings heute (noch) nicht. Wir haben eine relativ gute Datenlage für einteilige Keramikimplantate, wenngleich sie nicht mit den umfangreichen Erkenntnissen, die es zu Titanimplantaten gibt, konkurrieren kann. Aus prothetischer Sicht ist ein einteiliges konfektioniertes Implantat sicher ein Schritt zurück, was Möglichkeiten, Workflows und Komfort für den Behandler betrifft. Und bei der Verbindung zweiteiliger keramischer Implantate stehen wir immer noch vor der Herausforderung, dass wir an die Limitationen des Werkstoffs Keramik kommen, wenn wir die beiden Teile wieder lösbar miteinander verbinden wollen. Dafür gibt es verschiedenste Lösungsansätze, von denen aus meiner Sicht keiner an die Verschraubung von Metall herankommt. Trotzdem bleibt das Thema sehr spannend. Ich beschäftige mich seit 20 Jahren damit, hätte aber – ehrlich gesagt – gedacht, dass wir heute weiter wären. Vielleicht geht die Entwicklung ja noch andere Wege und die Zukunft gehört den patientenindividuellen Implantaten – da würde sich Keramik wieder deutlich leichter tun.

Die vorhandene Evidenz belegt, dass sich Titan bislang als bewährt und biokompatibel gezeigt hat.

Prof. Dr. Florian Beuer

Die Frage nach möglichen Unverträglichkeiten wird in der Leitlinie nur für das Titan erörtert. Muss man die Frage nicht auch an die Keramik richten?

Wir sehen klinisch entzündliche Situationen, die per definitionem als Periimplantitis diagnostiziert werden. Also komplett unproblematisch sind die keramischen Implantate auch nicht, wenngleich sicher die Materialgruppe Keramik gemeinhin im Vergleich zu Metall als biokompatibler gilt – das bleibt aber weitgehend eine Vermutung und ist längst keine gesicherte Erkenntnis. Auch hier ist natürlich die nicht vorhandene Datenbasis das Hauptproblem. Wenn weltweit ein signifikanter Anteil der inserierten Implantate aus Keramik ist, werden wir diese Frage in der Zukunft substanzieller beantworten können. Ich muss aber auch hier etwas Wasser in den Wein gießen, da Keramikimplantate ihre Hauptverbreitung im deutschsprachigen Raum haben und fast alle wissenschaftlichen Arbeiten aus ein paar wenigen Universitäten dort kommen. Ich bin sehr gespannt, in welche Richtung sich alles entwickeln wird.

Das Gespräch führte Benn Roolf.

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