Fördern, fordern, leiten – mit Zielen zum Ziel
Die Definition von Zielen ist aus dem Leistungssport und der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Wer ein „konkretes, klar beschriebenes und realistisches Ziel“ vor Augen hat, ist auch motiviert, es zu erreichen. Ein 100-Meter-Läufer sagt im Interview nach einem Sieg nicht, „Ich hatte mir für diese Saison vorgenommen, schneller zu werden“, sondern „Ich wollte die 100-Meter unter 10 Sekunden laufen!“. Am Ziel angekommen, schüttet der Körper Glückshormone aus und motiviert uns so für den nächsten Schritt. Die Zufriedenheit wächst und parallel die Motivation. Diesen „Motivations-Booster“ können wir ebenfalls nutzen, um Auszubildende motiviert bis zum erfolgreichen Ausbildungsabschluss zu führen.
Wie gehe ich praktisch vor?
Zunächst braucht es in der Praxis einen vertrauensvollen Ansprechpartner für die Azubis, den „Ausbildungsbeauftragten“. Dieser vermittelt zwischen dem Praxisinhaber, dem Team und den Auszubildenden. Außerdem legt er zusammen mit dem Praxisinhaber anhand der Anforderungen in der jeweiligen Praxis und des Rahmenlehrplans einen individuellen Ausbildungsplan mit den wichtigsten Lernzielen fest – zum Beispiel in Form einer Checkliste. Manche Zahnärztekammern stellen einen Praxisleitfaden für Auszubildende zur Verfügung. Unterstützung bietet zudem der Leitfaden des Bundesinstituts für Berufsbildung „Ausbildung gestalten – ZMF“, erschienen im Jahr 2022, sowie die zuständige Berufsschule. Wer die Rolle des Ausbildungsbeauftragten in der Praxis ausüben soll, können Praxisführung und Team gemeinsam festlegen. Einige Zahnärztekammern bieten inzwischen sogar Weiterbildungen zur „Ausbildungsmentorin“ an.
Des Weiteren hat sich im Praxisalltag die Einführung von drei „übergeordneten Lernfeldern“ bewährt, anhand derer sich die konkreten Lernziele für die Auszubildenden ableiten lassen:
1. Lernfeld:
Zahnmedizinische Grundlagen
In diesem Lernfeld geht es um die rein fachlichen Ausbildungsinhalte, die notwendig sind, um die Ausbildung zur ZFA erfolgreich abschließen zu können. Darunter fallen Themenbereiche wie Hygiene, Instrumentenkunde, Anatomie, Behandlungsabläufe, Vor- und Nachbereitung, Materialkunde, Dokumentation und und und.
Für all diese Themenbereiche können konkrete Lernziele vereinbart werden – zunächst erfolgt jedoch eine Standortbestimmung gemeinsam mit den Auszubildenden. Hier sollten Sie zusammen erarbeiten, was an Wissen bereits vorhanden ist und auf welchen Gebieten es noch Entwicklungspotenzial gibt. Welche Tätigkeiten sind in welcher Reihenfolge zu erlernen? Auf welche Tätigkeit freut sich die neue Auszubildende am meisten? Im Anschluss werden erste Ziele, zum Beispiel für den ersten Ausbildungsmonat, formuliert. Wichtig: Halten Sie die vereinbarten Ziele schriftlich fest, damit sie später von allen nachvollzogen werden können! So entsteht ein erster „Ausbildungsfahrplan“ für die nächsten Wochen, an dem die Auszubildende aktiv mitgearbeitet hat. Das erhöht die Motivation!
2. Lernfeld:
Soziale Kompetenzen
Unter sozialen Kompetenzen, den „soft skills“, werden Verhaltensweisen und Fähigkeiten zusammengefasst, die das zwischenmenschliche Miteinander betreffen, wie etwa professionelle Umgangsformen, Kommunikation und Kooperation. Folgende Themen könnten in diesem Lernfeld als Ziele definiert werden:
Patienten richtig in Empfang nehmen
Patienten aktiv ansprechen
Patienten auf die bevorstehende Behandlung vorbereiten
Umgang mit Beschwerden
der richtige Ton am Telefon
korrektes Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen
der offene Umgang mit Fehlern
korrektes Verhalten im Krankheits- oder Verhinderungsfall
Der Ausbildungsbedarf in diesem Lernfeld kann je nach Persönlichkeitsstruktur und Vorkenntnissen sehr unterschiedlich sein. Nehmen Sie auch hier gemeinsam mit den Auszubildenden eine Standortbestimmung vor: Welche Kompetenzen bringt er oder sie schon mit?
3. Lernfeld:
Persönliche Weiterentwicklung
In diesem Lernfeld wird beurteilt, inwiefern sich die oder der Auszubildende in den ersten beiden Lernfeldern (zahnmedizinische Grundlagen und soziale Kompetenzen) weiterentwickelt hat. Welche Ziele wurden definiert und erreicht? Wie schätzt der oder die Auszubildende den eigenen Kenntnisstand hinsichtlich der vereinbarten Ziele ein? Welche Ziele wurden noch nicht erreicht? In welchem zeitlichen Rahmen sollen diese nun erreicht werden?
Ein Beispiel: Als konkretes Ziel wurde festgelegt, dass die neue Auszubildende nach den ersten vier Wochen eigenständig das Behandlungszimmer vor- und nachbereiten sowie den Patienten setzen und die Behandlung dokumentieren kann. Nach diesen vier Wochen wird also geprüft, ob tatsächlich alle Aspekte erfolgreich umgesetzt werden konnten. Was davon klappt sicher, wobei benötigt die Auszubildende noch Unterstützung? Wenn sie zum Beispiel nicht weiß, was sie dem Patienten auf dem Behandlungsstuhl sagen soll, bis die Behandlung beginnt, dann wird festgelegt, wer mit ihr und bis wann Formulierungen dafür einübt. Wenn Sie den Befund noch nicht korrekt am PC dokumentieren kann, wird festgelegt, wer mit ihr bis wann die Dokumentation übt. So kann sich die Auszubildende in diesem Bereich weiterentwickeln. Sie selbst sollte dabei ebenfalls einschätzen, in welchen Bereichen sie noch Unterstützung benötigt.
Wichtig: Mit fortgeschrittenem Ausbildungsstand sollten Sie ihre Auszubildenden immer wieder fragen, ob es einen Tätigkeitsschwerpunkt gibt, in dem sie sich besonders entwickeln möchten – Verwaltung, Prophylaxe, Stuhlassistenz? Und wenn Sie eine Auszubildende übernehmen möchten, sollten Sie rund sechs Monate vor Abschluss mit ihr darüber sprechen, wie sie sich die weitere, berufliche Zukunft und die persönliche Weiterentwicklung innerhalb der Praxis konkret vorstellt. Dies schafft kurz vor dem Ausbildungsende neue Motivation! Perspektiven sind ein bindender, nicht zu unterschätzender Faktor!
Doch wie definiert man konkrete Ziele?
Hilfreich bei der Definition von Zielen ist die sogenannte S.M.A.R.T.-Methode [Doran et al., 1981]. S.M.A.R.T ist ein Akronym und steht für:
S = Spezifisch: Was möchte ich konkret erreichen?
M = Messbar: Woran merke ich, dass das Ziel erreicht wurde?
A = Aktiv/Attraktiv: Wer soll es tun? Wofür ist es wichtig?
R = Realistisch: Wie/Wodurch ist das Ziel mit dem aktuellen Wissenstand und den vorhandenen Ressourcen zu erreichen?
T = Terminiert: Wann soll/kann das Ziel erreicht werden?
Ein Beispiel: Eine neue Auszubildende kommt regelmäßig zu spät zur Arbeit. Ausgehend von den drei Lernfeldern fällt dies in den Bereich „soziale Kompetenzen“. Nach S.M.A.R.T wäre das neue Ziel folgendermaßen zu definieren:
Spezifisch: Ich möchte, dass die Auszubildende verlässlich zum festgelegten Arbeitsbeginn anwesend ist.
Messbar: Sie ist arbeitstäglich zum vereinbarten Arbeitsbeginn einsatzbereit in der Praxis.
Aktiv/Attraktiv: Es betrifft die Auszubildende selbst, sie ist selbst dafür verantwortlich. Es ist wichtig für das gesamte Praxisteam, dass alle gemeinsam den Arbeitstag beginnen. Nur so kann der Arbeitstag reibungslos starten. Kommt ein Teammitglied zu spät, hat das negative Auswirkungen auf den Behandlungsablauf und ist respektlos gegenüber dem restlichen Team.
Realistisch: Sind die Voraussetzungen dafür gegeben, dass die Auszubildende pünktlich zur Arbeit erscheinen kann? Hat sie freien Zutritt zur Praxis? Bestehen andere Hindernisse, die zur Verspätung führen und die von ihr selbst beim Arbeitsweg berücksichtigt werden müssen?
Terminiert: Wenn es keine „technischen“ Gründe für die Verspätungen gibt, sollte das Verhalten umgehend eingestellt werden.
Generell sollte ein solches Fehlverhalten zeitnah in einem Gespräch zwischen dem Ausbildungsbeauftragten und der Auszubildenden unter vier Augen thematisiert werden. Je länger ein Fehler oder unangemessenes Verhalten stillschweigend „geduldet“ wird, desto schwieriger wird die Korrektur. Kommt das Zuspätkommen nicht zeitnah zur Sprache, scheint es sich für die Auszubildende nicht um ein „ernsthaftes“ Problem zu handeln. Die pünktlichen Teammitglieder fühlen sich nicht respektiert und sind – erfolgt keine Korrektur – frustriert. Ein ernsthafter Konflikt wäre die Folge. Zunächst sollte das Verhalten angesprochen und nach Gründen dafür gefragt werden. Die Auszubildende hat dann die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen, das eigene Verhalten zu reflektieren und eine Lösung zu finden.
Mit etwas Übung ist das S.M.A.R.T-Konzept eine praktische und leicht umsetzbare Methode, um Ziele zu definieren. Die „W-Fragen“ (Was? Woran? Wer/Wofür? Wie/Wodurch? Wann?) schützen uns vor unrealistischen und unspezifischen Zielen, die in der Regel eher nicht erreichbar sind.
Eigene Ziele motivieren – sind aber schwieriger umzusetzen
Ein Beispiel: Die Praxisinhaberin möchte, dass die Auszubildende zukünftig „bessere“ Abformungen erstellen soll. Nun ist die zuständige Ausbildungsbeauftragte jedoch gerade im Urlaub oder hat in den nächsten Wochen einfach keine Zeit, dies mit der Auszubildenden zu erarbeiten. Dadurch ist das Ziel zum einen unrealistisch. Das Ziel ist auch nicht spezifisch/konkret genug, denn jeder versteht unter „bessere“ Abformung etwas anderes. Besser als was? Woran mache ich fest, dass die Abformung „besser“ wird? Das Ziel ist auch nicht eindeutig terminiert, denn wann ist zukünftig?
Nach S.M.A.R.T. definiert, könnte das Ziel so lauten:
Spezifisch: Die Abformung muss alle relevanten anatomischen Strukturen (Zahnkronen, Umschlagfalte, Gaumen/Mundboden, Präparationsgrenze, Tuber, etc.) für die beabsichtigte Arbeit abbilden.
Messbar: Das darauf gefertigte Modell entspricht den Anforderungen der Zahntechnikerin, ist gemäß obiger Definition vollständig und blasenfrei.
Aktiv/Attraktiv: Nur auf einer korrekten Abformung kann eine korrekte zahntechnische Arbeit erfolgen. Dafür ist diejenige verantwortlich, die die Abformung nimmt.
Realistisch: Kann die Auszubildende mit ihrem derzeitigen Kenntnisstand eine hochwertige Abformung nehmen? Wer kann sie dabei unterstützen? Wie kann das geübt werden? Sind alle Materialien vorhanden und deren Anwendung der Auszubildenden bekannt? Wo kann sie sich gegebenenfalls selbst darüber informieren?
Terminiert: Bis wann soll/kann die Umsetzung erfolgen?
Von Bedeutung ist zudem, wer diese Ziele definiert. Ziele, die sich der oder die Handelnde selbst setzt und in eigener Verantwortung zu erreichen versucht, die sogenannte „interne Zielsetzung“, haben zwar eine hohe Akzeptanz, setzen aber einen großen Handlungsspielraum voraus – ein Vorgehen, das sich nicht für jeden Auszubildenden eignet. Besser geeignet ist die „kooperative Zielsetzung“. Dabei erarbeiten mehrere Personen, im Idealfall mit dem Auszubildenden gemeinsam, die Ziele. Durch das aktive Mitwirken an der Zielfindung ist die Akzeptanz ähnlich hoch wie bei der internen Zielsetzung und die Eigenverantwortung wird gestärkt.
Sind die ersten Ziele nach der S.M.A.R.T.-Methode definiert, erfolgt die Überprüfung in regelmäßigen Feedback-Gesprächen. Diese Rückmeldung ist von enormer Bedeutung für die Umsetzung von Zielen [Locke et al., 1990]. Beginnen Sie dabei mit dem positiven Feedback, eine positive Rückmeldung steigert die Motivation und lässt uns anschließende Kritik besser annehmen [Kinne, 2023]. Wertschätzende (!) Kritik motiviert die allermeisten Auszubildenden dann auch zur Eigenkorrektur.
Ziel definiert, Ziel erreicht? Nein!
Zu Beginn der Ausbildung empfiehlt sich eine eher engmaschige Feedback-Kultur. Gespräche sollten zunächst alle vier Wochen erfolgen. Je nach Entwicklungsstand kann die Taktung später auf alle acht bis zwölf Wochen ausgedehnt werden. Im Feedback-Gespräch schauen alle gemeinsam auf die Umsetzung der zuvor vereinbarten Ziele. Was konnte erreicht werden? Was noch nicht? Was hat dazu geführt, dass ein Ziel noch nicht erreicht werden konnte? Was hat dem oder der Auszubildenden geholfen, ein Ziel zu erreichen? Gibt es neue Herausforderungen, Fragen? Wie ist die Selbsteinschätzung? Was soll als nächstes erreicht werden?
Bei Konflikten, wenn zum Beispiel immer wieder dieselben Fehler auftreten, aber auch als Ausdruck der Wertschätzung, ist die gelegentliche Anwesenheit von Ihnen als Praxisinhaber beim Gespräch sinnvoll. Sich wiederholende Fehler sollten zeitnah angesprochen werden. Legen Sie zunächst Ihre Sichtweise des Problems da und holen Sie dann die Einschätzung Ihrer Auszubildenden ein. Streben Sie eine gemeinsame Lösung an und terminieren Sie diese und halten Sie das Ergebnis schriftlich fest.
So kann der Nachwuchs strukturiert durch die Ausbildungszeit geführt werden. Wichtig hierbei ist ein wertschätzender Umgang, der Abgleich zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung der Auszubildenden und deren aktive Mitarbeit an den zu definierenden Zielen. So kommen die Auszubildenden besser in die Eigenverantwortung und haben die Möglichkeit, sich ihren Ressourcen gemäß zu entwickeln. Denn: Jeder Mensch lernt anders!
Literaturliste
G.Doran, A.Miller, J. Cunningham (1981): „There´s a S.M.A.R.T way to write management´s goals an objectives“, issue of Management Review vol.70, issue11
Locke, E.A. & Latham, G.P. (1990). „A theory of goal setting and task performance“,Englewood Cliffs, N.J.: Prentice Hall.
Kinne, Lavinia (2023) : Good or bad news first? The effect of feedback order on motivation and performance, ifo Working Paper, No. 396, ifo Institute - Leibniz Institute for Economic Research at the University of Munich, Munic