Lauterbach stellt neues Präventions-Institut vor

Brauchen wir ein BIPAM?

Susanne Theisen
Das von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) angekündigte „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ (BIPAM) nimmt Formen an. Die Idee, die Prävention in der Gesundheitsversorgung zu stärken, findet breite Zustimmung. Allerdings sehen viele Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen Lücken im Konzept. Auch zahnärztliche Organisationen melden deutlichen Nachbesserungsbedarf an.

Deutschland gibt so viel wie kein anderes EU-Land für Gesundheit aus, ist bei der Lebenserwartung aber trotzdem nur Durchschnitt“, sagte Lauterbach bei der Vorstellung der Pläne für das BIPAM im Oktober in Berlin. „Es fehlt an wirksamer Vorbeugung, unser System ist zu stark auf die Behandlung schon bestehender Krankheit ausgerichtet. Deshalb bauen wir zusätzlich ein neues Bundesinstitut auf, das Prävention und Information der Bevölkerung zu Volkskrankheiten verbessert.“

In diesem Sinne soll sich das BIPAM für die Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen wie Krebs, Demenz oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen einsetzen und geeignete Präventionsmaßnahmen entwickeln. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wird im BIPAM aufgehen. Eine weitere Aufgabe des neuen Instituts soll die übergreifende Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) sein.

Der Aufbau des BIPAM ist in drei Phasen gegliedert: Ende 2023 soll der Gesetzgebungsprozess starten und ab 2024 die Transformationsphase. Das Inkrafttreten des Gesetzes ist für 2025 geplant.

Als Errichtungsbeauftragter des BIPAM wurde Dr. Johannes Nießen eingesetzt. Der Allgemeinmediziner leitete bislang das Gesundheitsamt in Köln. Er betonte, dass die neue Behörde als zentraler Ansprechpartner und Ideengeber für den Öffentlichen Gesundheitsdienst fungieren soll. „Wenn das Bundesinstitut diese Aufgabe erfüllen kann, ist schon viel gewonnen“, so Nießen.

Kurze Zeit nach Lauterbachs Präsentation definierte das BMG in einem Impulspapier für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE) erste Aufgaben für die Behörde: die Früherkennung und Versorgung dieser Krankheiten. So schlägt das BMG einen Fragebogen, mit dem man Risikofaktoren bereits bei den Früherkennungsuntersuchungen für Kinder identifizieren kann. Für Erwachsene ist ein nach Altersstufen sortiertes Screening angedacht. Das BIPAM soll die präventiven Maßnahmen fachlich begleiten.

Deutliche Kritik von KZBV und BZÄK

Von Seiten der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) gab es deutliche Kritik an dem Impulspapier. Der KZBV-Vorstandsvorsitzende Martin Hendges erklärte: „Die Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist ein wichtiges Thema. Das Impulspapier gibt Hoffnung, dass die Politik erkannt hat, welche Relevanz die Prävention nicht nur im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern für unser Gesundheitssystem im Allgemeinen hat. Bei den vorgestellten Maßnahmen fehlt jedoch ein wesentlicher Aspekt: die Berücksichtigung der neuen, präventionsorientierten Parodontitistherapie. Parodontitis ist eine komplexe Entzündungserkrankung des Menschen, an der jeder zweite Erwachsene leidet. Unbehandelt ist sie die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust.  Sie steht in direkter Wechselwirkung mit Diabetes mellitus und nimmt zudem Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ Gerade vor diesem Hintergrund sei es widersprüchlich und absolut unbegreiflich, warum der neuen, präventionsorientierten Parodontitistherapie mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) die erforderlichen Mittel entzogen worden seien, so Hendges weiter. „So ist es nicht mehr möglich, die neue Behandlungsstrecke flächendeckend auf ein Niveau zu heben, das der hohen Krankheitslast angemessen ist. Das ist ein Desaster mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Mund- und Allgemeingesundheit der Bevölkerung.“

Auch die BZÄK begrüßt den mit dem BIPAM signalisierten stärkeren Fokus auf Prävention, es zeigt sich aus ihrer Sicht aber insbesondere am Beispiel des HKE-Impulspapiers, dass der Ansatz zu kurz greift. „Vor allen Dingen bleibt darin unerwähnt, dass sich kardiovaskuläre Erkrankungen und Parodontitis gegenseitig beeinflussen können“, sagt BZÄK-Vizepräsidentin Dr. Romy Ermler. „Und nicht nur das. Als entzündliche Erkrankung kann sie sich außerdem negativ auf Diabetes, neurologische Erkrankungen, Schlaganfälle oder Alzheimer auswirken und Frühgeburten begünstigen. Ein umfassender, präventiver Blick auf den Organismus bezieht daher die Parodontitis und deren Therapie mit ein – diesen Weitblick vermissen wir derzeit beim BMG. Daher fordern wir das BMG auf, zum einen die Parodontitis als einen wesentlichen Faktor zur Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Impulspapier zu berücksichtigen sowie die neue präventionsorientierte Parodontitistherapie im Rahmen der geplanten Gesetzesinitiative als wesentlichen Baustein zu verankern.“

Auch der Bundesverband der Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BZÖG) sieht Lücken und merkt an, dass zahnärztliche Aspekte in den aktuell benannten Tätigkeitsschwerpunkten nicht formuliert wurden. Die Zielvorstellung des BZÖG sei, dass sich daran „zukünftig etwas ändern wird“ und dass „die zahnärztliche Kompetenz im ÖGD ihren Niederschlag“ findet, schreibt der Verband in einem Statement, das den zm vorliegt. Dafür werde derzeit intensiv der Boden bereitet und es seien weitere Gespräche mit Nießen geplant.

Dennoch sieht der BZÖG die zahnärztlichen Tätigkeitsschwerpunkte im ÖGD im Aufgabenpaket des BIPAM grundsätzlich klar widergespiegelt. „Zielgruppenspezifische Präventionsmaßnahmen in Settings, zahnmedizinische Datenerhebung und Gesundheitsberichterstattung, die Vernetzung mit verschiedenen kommunalen Akteuren, evidenzbasiertes Arbeiten und Leitlinienkompetenz zeichnen unsere Arbeit bereits aus und machen uns zu einem unverzichtbaren Partner im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention“, heißt es in dem Statement. „Die nachweislichen Erfolge der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe als dem reichweitenstärksten Präventionsprogramm in Deutschland bestärken den BZÖG in seiner Hoffnung, diese Erfolge gemeinsam mit dem BIPAM zu verstetigen.“

Es darf kein Besserwisser-Institut werden!

Es gibt noch mehr Kritik an den BIPAM-Plänen. So sieht das Impulspapier HKE vor, dass die Apotheken mit Leistungen wie Blutdruckmessungen, BMI-Berechnungen oder Beratungen zur Nikotinentwöhnung in die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen einbezogen werden. Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt kritisiert diesen Vorschlag scharf: „Die Politik will seit Jahren systematisch medizinische Leistungen aus der ärztlichen Versorgung in die Apotheken verlagern. Impfungen in Apotheken, sogenannte pharmazeutische Dienstleistungen durch Apotheker, assistierte Telemedizin und jetzt ärztliche Vorsorgeuntersuchungen in Apotheken sind nichts anderes als teure Parallelangebote, die einen Besuch beim Arzt und die ärztliche Präventionsberatung niemals ersetzen können.“ Apotheken seien keine „Arztpraxen-to-go“.

Vom Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen kam grundsätzlich Zustimmung für Lauterbachs Pläne. Dabei sei essenziell, dass das BIPAM nicht nur das individuelle Gesundheitsverhalten, sondern insbesondere auch die Änderung der Lebensverhältnisse in den Fokus nimmt, damit alle Bürgerinnen und Bürger gesund aufwachsen, leben und alt werden könnten.

Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, sieht das BIPAM fachlich als „richtigen Ansatz“, um die Lücke in der Prävention der nicht übertragbaren Krankheiten zu schließen. Allerdings müsse man sich innerhalb der Koalition bei der konkreten Ausgestaltung noch einigen und darauf achten, dass konkrete Gesundheitsvorsorge vor Ort gemacht wird und damit hauptsächlich bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. „Das BIPAM darf auf keinen Fall ein Besserwisser-Institut werden, das an der Realität der Bürgerinnen und Bürger vorbeigeht und die Ärztinnen und Ärzte vor Ort nicht einbezieht!”

Thomas Moormann vom Verbraucherzentrale Bundesverband wies darauf hin, dass über Gesundheit nicht nur das individuelle Verhalten eines Menschen entscheide. Deutschland brauche keine „Schwerpunktsetzung auf individuelle Gesundheitsrisiken, medizinische und Verhaltensprävention“, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst X. „Gesundheit entsteht überwiegend nicht im Gesundheitswesen, das zeigt uns nicht zuletzt die Klimakrise.“

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