Zahnärztebrüder bauen Zahnmobil

Wir tauften es „BumV“

Heftarchiv Gesellschaft
Sören und Björn Clamors
Wir, die Zahnärztebrüder Björn und Sören Clamors aus Blomberg, besuchen immobile Patienten zu Hause – mit unserem selbstgebauten Zahnmobil. Möglich ist darin nahezu das komplette Behandlungsspektrum wie in der Niederlassung. Wie das funktioniert, erzählen wir hier.

Anfang 2022 startete der Bau des Sonderfahrzeugs. Wir tauften es „BumV“ (Behandlung und medizinische Versorgung), denn prinzipiell kann jede Art von Arztpraxis darin installiert werden. Ein Anhänger als Steri-Raum liegt als Konzept vor, so dass der Einsatz in strukturschwachen Regionen machbar wird.

Bis zum Start des Zahnmobils war es allerdings ein längerer Weg. Wir probierten uns durch die auf dem Dentalmarkt angebotene Produkte. Doch die meisten konnten im Praxistest nicht überzeugen. Absauganlagen waren zu schwach, der Auf- und Abbau der Geräte verschlang mehr Zeit und Nerven als die eigentliche Behandlung. Was uns besonders auffiel: Die Positionierung der Patienten unter Beachtung ergonomischer Grundsätze und die optimale Ausleuchtung des Behandlungsfeldes waren schlichtweg nicht möglich. Dann sorgten die Dokumentation und Übertragung der Behandlungsdaten auf den Praxiscomputer für weitere Frustration. Das musste besser funktionieren!

Von der ersten Skizze auf dem Fußboden zum fertigen Truck

2019 überließ uns eine Patientin den Rollstuhl ihres verstorbenen Mannes, den wir jahrelang betreut hatten. In Gesprächen während dieser Zeit bekamen wir Feedback von Betroffenen und kamen schlussendlich auf die Idee, eine Kopie unserer Behandlungszimmer in der Praxis auf Räder zu stellen. Wir klebten die Abmessung eines StVO-konformen Objekts auf den Fußboden im Keller und fuhren diese probehalber mit dem Rollstuhl ab. Der nächste Weg führte mit einer ersten Detailzeichnung in der Hand zum ortsansässigen Foodtruck-Hersteller „Multitrailer“. Nach anfänglicher Skepsis fertigte man uns dort eine erste Konstruktionsskizze an. Die Einhaltung des zulässigen Gesamtgewichts von maximal 3,5 Tonnen mit erschwinglichen Materialien stellt bis heute ein unlösbares Problem dar.

Der nach unseren Vorstellungen angefertigte Kastenaufbau wurde auf einen Fiat Ducato mit Alko-Tiefrahmen montiert, dann eine Frischwasser-, Druckluft- und Stromversorgung installiert. Die gute Zusammenarbeit zwischen Multitrailer und unserem Dentaldepot sorgte für eine optimale Ausnutzung des vorhandenen Platzes und eine ergonomisch sinnvolle Positionierung der Gerätschaften. Eine Libra-Rollstuhlaufnahme, die fest im Boden fixiert ist, gewährleistet eine sichere Positionierung der Patienten. Für Pflegerollstühle kann die Rücken- und Kopfstütze schnell und einfach entfernt werden. Auch extra breite Rollstühle können problemlos genutzt werden. Ebenso möglich ist die Lagerung von Patienten, die mit gestreckten Beinen im Rollstuhl sitzen. Das Umlagern der Patienten entfällt komplett – was alle Beteiligten erleichtert.

Aktuell fahren wir 18 Alten- und Pflegeheime an

Patientinnen und Patienten, die keinen Rollstuhl haben, setzen sich in unseren mitgebrachten Rollstuhl. Ein digitales Röntgen und ein LTE-gestützter VPN-Tunnel gewährleisten dieselbe Befundungs- und Dokumentationsqualität, die wir in unserer voll digitalisierten Praxis gewohnt sind. Eine Schiebetür, Heizung und Klimaanlage sorgen für angenehme Temperaturverhältnisse. Zur Gewährleistung der horizontalen Standfestigkeit des Fahrzeugs wurden hydraulisch ausfahrbare Stützen verbaut. 

Nach Inbetriebnahme unseres BumV im Oktober 2022 stellten wir bis zum Jahreswechsel fest, wie effektiv wir damit arbeiten. All die Therapien, die wir bisher nicht durchführen konnten, da der Krankentransport in die Praxis nicht stattgefunden hatte, stellten keine Probleme mehr dar. Daraufhin erweiterten wir unser Einzugsgebiet und betreuen aktuell 18 Alten- und Pflegeheime. Wir beschränken uns dabei nicht nur auf die Reihenuntersuchungen, die Druckstellenentfernung, die Mundhygienekontrolle und die Entfernung von Zahnstein, sondern setzen – nach Einverständniserklärung – die vorgeschlagenen Therapien vor Ort um.

Extraktionstherapien sind natürlich nicht völlig zu vermeiden, doch viele Zähne können nun mittels qualitativ hochwertiger Wurzelbehandlung, dank Füllungs- und Parodontitistherapie erhalten werden. Bemerkenswert ist, dass viele Patienten ein verbessertes Allgemeinbefinden angeben, wenn eine ordentliche Parodontitistherapie bei ihnen durchgeführt wurde. Das Krankentransportwesen wird entlastet, außerdem entfällt die Begleitung durch eine Pflegekraft vom Heim. Die Patienten sind glücklich, dass sie nicht mehr durch die Gegend gefahren werden und in Wartezimmern sitzen müssen. Die Limitierung für jegliche Behandlung liegt nicht in der Ausstattung des Fahrzeugs mit seiner Technik, sondern beim Behandler.

Es ist also eine Umkehr bei der Herangehensweise an die Behandlung immobiler Patienten: Alles, was an zahnärztlicher Leistung möglich ist, kann erbracht werden. Die Innenwände und die Decke sind desinfizierbar und somit hygienisch einwandfrei. Bei -10 Grad Celsius in zwei Wintern und +30 Grad im Sommer sind wir dienstags bis freitags unterwegs und fahren bis zu drei Alten- und Pflegeheime pro Tag an. Je Heim sind fünf bis acht Patienten terminiert. Innerhalb unseres Radius von 20 Kilometern versorgen wir ebenfalls die auf dem Weg wohnenden und zu Hause gepflegten Patientinnen und Patienten. Wir tragen dazu bei, den Versorgungsnotstand zu reduzieren und die Lebensqualität des Einzelnen deutlich zu verbessern.

Sören und Björn Clamors

Zahnärzte in Blomberg (NRW)

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