Interview mit der Zahnärztin Hanan Faour über Ihren Berufsanerkennungsprozess

„Am schwersten war es, geduldig zu bleiben“

„Ich muss gleich weg zur Arbeit“, sagt Hanan Faour gegen Ende unseres Interviews. Um diesen Satz sagen zu können, hat die Zahnärztin, die 2015 aus Syrien flüchten musste, beeindruckendes Durchhaltevermögen bewiesen: Fast acht Jahre dauerte es, bis sie den Berufsanerkennungsprozess durchlaufen hatte. Was ihr dabei geholfen hat und wie sich der Neustart anfühlt, erzählt sie hier.

Frau Faour, wir haben schon einmal vor einem Jahr miteinander gesprochen. Damals steckten Sie mitten im Berufsanerkennungsprozess und haben Ihren Blick auf die deutsche Sprache mit uns geteilt. Haben Sie seitdem weitere Redensarten kennengelernt?

Hanan Faour: Ich lerne jeden Tag etwas Neues und finde es faszinierend, wie vielfältig die deutsche Sprache ist. Eine Redensart, die mich sehr beschäftigt hat, ist: „Wir sitzen alle in einem Boot.“ Zunächst hatte ich ein ungutes Gefühl, wenn ich sie gehört habe, weil meine Familie und ich damals mit dem Schlauchboot flüchten mussten. Aber das ist mittlerweile neun Jahre her und irgendwann muss man die Vergangenheit ruhen lassen. Inzwischen weiß ich die Redewendung zu schätzen, denn sie beschreibt wunderbar, wie man gemeinsam als Team arbeiten sollte.

Vor Ihrer Flucht arbeiteten Sie als Fachzahnärztin in einer Klinik in Damaskus. Fühlen Sie sich aktuell trotzdem wieder wie eine Berufsanfängerin? 

Ja und nein. Ich habe in Damaskus als Parodontologin in einem Zahnmedizinzentrum, das zum Gesundheitsministerium gehörte, gearbeitet. Unsere erste Station nach der Flucht aus Syrien war die Türkei, wo ich ebenfalls als Zahnärztin tätig war. Ich verfüge also über einige Jahre Erfahrung, die mir auch bei meiner Arbeit als Zahnärztin hier in Deutschland Sicherheit geben. Was allerdings völlig neu für mich ist – und eine wirkliche Herausforderung – ist die Gebührenordnung. Es wird noch dauern, bis ich mit den BEMA-GOZ-Positionen und Faktoren und darüber hinaus allen wichtigen Leistungs-Einträgen vertraut bin.

Welche Stationen haben Sie während der Berufsanerkennung durchlaufen?

Ganz am Anfang standen Sprachkurse
und -zertifikate. Meinen ersten von vier Kursen habe ich noch in der Geflüchtetenunterkunft im Jahr 2016 absolviert. Zwei Jahre später habe ich die zahnmedizinische Fachsprachprüfung in Münster abgelegt und meine Berufserlaubnis bekommen. Ab 2019 war ich für 18 Monate Vorbereitungsassistentin in einer Praxis in Lemgo. Ende 2021 habe ich meine Unterlagen für die Berufsanerkennung bei der Zahnärztekammer Niedersachsen in Hannover eingereicht und bekam nach neun Monaten den Termin für die schriftliche Prüfung im September 2022. Im Januar 2023 folgte die mündliche Prüfung und Ende Mai 2023 die letzte praktische Prüfung.

Wie lief’s?

Ich habe alle drei Prüfungen beim ersten Mal geschafft. Das war eine große Erleichterung, denn die Prüfungen sind anspruchsvoll. Für die praktische Prüfung zum Beispiel muss man in sechs Stunden circa zehn Aufgaben erledigen. Dazu gehörten unter anderem das Präparieren einer Brücke, eine Wurzelkanalbehandlung, das Nehmen eines Abdrucks sowie Füllungen an Front- und Backenzähnen. Dafür habe ich monatelang bei uns im Keller an geliehenen Geräten trainiert. Ich hatte dann aber viel Glück mit meiner Prüfungskommission. Alle waren sehr freundlich.

Was empfanden Sie als größte Herausforderung in diesem Prozess?

Dazu gehörte sicherlich das Erlernen des deutschen Fachvokabulars, weil wir in Syrien Zahnmedizin auf Arabisch gelernt haben. Am schwersten war es aber, in dieser langen Zeit geduldig zu bleiben. Vor allem nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, als plötzlich gar nichts mehr voranging. In dieser Phase habe ich fast den Mut verloren.

Was hat Ihnen damals geholfen?

Meine Familie steht mir die ganze Zeit zur Seite, ein pensionierter Hautarzt und ein Familienfreund haben mich bei den bürokratischen Abläufen unterstützt. Viel Hilfe bekam ich auch von der Zahnärztin, bei der ich in Hannover hospitiert habe. Ohne emotionale, aber auch praktische Unterstützung ist es schwer durchzuhalten.

Umso größer war wahrscheinlich die Freude, es geschafft zu haben?

Für mich persönlich war das der beste Tag meines Lebens in Deutschland. Es war ein unglaubliches Gefühl, dass ich endlich mein Ziel erreicht hatte, aber jetzt würde ich für die Anerkennung meines Fachbereichs weiter kämpfen.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann eine eigene Praxis zu betreiben?

Der Gedanke gefällt mir natürlich, aber ich habe großen Respekt vor den administrativen Schritten, die das mit sich bringt – angefangen beim Kredit für die Finanzierung bis hin zum Anmelden des Röntgengeräts. Ich glaube, ich brauche dafür noch mehr Austausch mit niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen und außerdem – wie meine aktuelle Oberärztin mir immer sagt – Geduld, Zeit und Mut.

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... sondern zusammen mit ihrer Familie (Foto) auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Wie würden Ihre Erfahrungen der ver­gangenen Jahre in Ihre Praxisführung einfließen?

Für mich wäre die Offenheit anderen Nationalitäten gegenüber sehr wichtig. In der ersten Zeit in Deutschland habe ich manche Situationen erlebt, wo es unangenehm und schwierig war,wegen des Kopftuchs. Aber zurzeit arbeite ich in einem großen Multikulti-Team bei einem Zahnzentrum in Bremen und ich bekomme Unterstützung, sowohl von der Oberärztin als auch von den Kollegen, und das finde ich toll.

Die Berufsanerkennung ist nicht das Einzige, was sich für Sie verändert hat. Seit Ende 2021 sind Sie inzwischen auch deutsche Staatsbürgerin. Was bedeutet das für Sie?

Das war für uns als Familie ein überwältigender Tag. Nachdem wir die Einbürgerungsurkunde erhalten hatten, fühlten wir uns ganz verändert. Der deutsche Pass bedeutet uns sehr viel. Er gibt uns das Gefühl, sicher zu sein und wirklich eine neue Heimat gefunden zu haben.

Das Gespräch führte Susanne Theisen.

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