Tino Sorge im Gespräch

„Jetzt kommt die Quittung“

Im Entwurf zu ihrem neuen Grundsatzprogramm skizziert die CDU ihre Pläne für Umstrukturierungen im Gesundheitswesen. Wo sie den Fokus setzt, ob die zunehmende Zahl der iMVZ ein bedenklicher Trend ist und wie sie das Instrument der Budgetierung bewertet, haben wir den gesundheitspolitischen Sprecher der Union-Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), gefragt.

Herr Sorge, im Entwurf des CDU-Grundsatzprogramms kündigt Ihre Partei an, die Gesundheitsversorgung in Deutschland durch „strukturelle Anpassungen“ sichern zu wollen. Welche Anpassungen sind angedacht? 

Tino Sorge: Die Demografie, vor allem die glücklicherweise steigende Lebenserwartung, hat erhebliche Auswirkungen auf die Strukturen unseres Gesundheitssystems. Immer weniger Beitragszahler müssen in den kommenden Jahren den steigenden Bedarf von immer mehr Leistungsempfängern finanzieren. Wir wollen den ambulanten Sektor mit digitalen Versorgungsangeboten entlasten. Wir wollen Deutschland und die EU wieder zu einem Arzneimittel- und Medizintechnikstandort machen. Wir wollen dem Mangel an Ärzten und anderen Gesundheitsberufen begegnen. Und bei allen Potenzialen müssen wir die Finanzstabilität wahren. Das ist nicht weniger als eine Generationenaufgabe.

Im Programm heißt es auch: „Es muss sich für jeden Einzelnen lohnen, sparsam mit den Ressourcen unseres Gesundheitswesens umzugehen.“ Was läuft aus Sicht der CDU bei der Inanspruchnahme von Ressourcen schief?

Immer mehr Menschen gehen aus Bequemlichkeit und wider besseres Wissen mit Bagatellen in die Notaufnahme, obwohl es sich ganz offensichtlich nicht um Notfälle handelt. Andere gehen bei Beschwerden direkt zum Facharzt, obwohl es viel sinnvoller – und oft auch schneller – wäre, zunächst den Rat des Hausarztes einzuholen. Über die Ursachen lässt sich streiten, simple Antworten gibt es nicht. Beides sind aber Phänomene einer fehlenden Steuerung, die zweifelsfrei zunehmen und das System belasten. Klar ist, dass die große Mehrheit der Versicherten davon nicht betroffen ist. Für andere werden wir aber über mehr Eigenverantwortung sprechen müssen.

Was erwarten Sie für diese Debatte?

Das wird gern reflexartig als unsozial verschrien. Dabei ist das Gegenteil der Fall, denn jedes solidarische System steht und fällt mit der Verantwortung des Einzelnen. Nicht in allen Fällen ist es so offensichtlich wie in der Zahnmedizin, dass der Gang zum Spezialisten geboten ist. In solchen Fällen brauchen wir mehr Kostenbewusstsein und Aufklärung, notfalls auch eine Eigenbeteiligung. Andere Länder machen gute Erfahrungen mit Versicherungstarifen, bei denen in nicht akuten Fällen zuerst ein Hausarzt konsultiert werden muss. Für die Versicherten ist der Tarif in solchen Fällen günstiger. Auch für die GKV sollten wir solche neuen Modelle diskutieren. Der finanzielle und demografische Druck, unter dem die GKV steht, wird uns zu unbequemen Debatten zwingen.

In der zahnmedizinischen Versorgung gibt es Zuzahlungen schon. Was könnten mehr Eigenverantwortung und sparsame Nutzung von Ressourcen hier bedeuten? 

Müsste ein Patient, der Jahr für Jahr zur Prophylaxe gegangen ist, genau so viel zuzahlen wie jemand, der nie vorgesorgt hat, wäre das zutiefst ungerecht. In der zahnmedizinischen Versorgung ist das bekanntlich nicht so. Interessant ist die Frage, ob wir nicht auch in anderen Bereichen über Varianten der differenzierten Eigenbeteiligung nachdenken sollten. Es geht nicht darum, Versicherte zu bestrafen oder gegeneinander auszuspielen. Wer sich aber vorbildlich verhält und Präventions- und Früherkennungsangebote gewissenhaft wahrnimmt, leistet neben der eigenen Vorsorge einen Beitrag zur Stabilität des solidarischen Versicherungssystems. Er oder sie könnte dafür durchaus öfter einen Bonus erhalten.

Der zahnmedizinische Bereich bliebe demnach also erst einmal außen vor bei mehr Eigenleistungen?

Der zahnmedizinische Bereich hat hier in der Tat bereits jetzt eine Vorbildfunktion. Sinnvoll wäre es zu prüfen, welche Mechanismen auch auf andere Versorgungsbereiche übertragen werden könnten. Diese Debatte werden wir aber über kurz oder lang führen müssen, wenn wir die Leistungsfähigkeit des Systems erhalten wollen.

Analysen zeigen, dass die Zahl der Investorengetragenen MVZ (iMVZ) weiterhin zunehmen, vor allem in urbanen und einkommensstarken Regionen. Wie ordnet die CDU die wachsende Zahl der iMVZ ein? 

Die Debatte um medizinische Versorgungszentren wird nicht immer so differenziert geführt, wie es nötig wäre. Es gibt erhebliche Unterschiede, sowohl ortsbezogen als auch zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen. Vielerorts ist ein MVZ allemal besser, als wenn es überhaupt keine Versorgung mehr gäbe, und zahlreiche junge Ärztinnen und Ärzte entscheiden sich für ein Angestelltenverhältnis. Entscheidend in jedem MVZ muss sein, dass zu jedem Zeitpunkt die volle zahnärztliche Expertise vorhanden ist.

Heißt das, Sie sehen keinen bedenklichen Trend bei iMVZ?

Die Sorgen vor negativen Auswirkungen durch Investoren, die weniger eine gute Versorgung, sondern vielmehr lediglich eine hohe Rendite im Blick haben, müssen Ernst genommen werden. Rosinenpickerei aus reinem Renditeinteresse muss vermieden werden, zumindest braucht es gleiche Regelungen für alle Akteure und klare Transparenzvorgaben zu den Eignerstrukturen. Bei all diesen Überlegungen muss klar der Versorgungsaspekt der Patienten im Vordergrund stehen. Der zahnmedizinische Sachverstand darf nicht ausgehöhlt werden.

Im Zuge des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist die Zahl der Neubehandlungsfälle bei der neuen präventionsorientierten Parodontitisversorgung eingebrochen. Wie steht die CDU zum Instrument der Budgetierung?

Die Ampel hat mit den Regelungen zur strikten Budgetierung eine erfolgreiche Weiterführung dieser Behandlungen praktisch unmöglich gemacht. Jetzt kommt die Quittung. Die gesunkenen Behandlungszahlen sind verheerend, die Auswirkungen werden spürbar sein. Wir haben in den parlamentarischen Beratungen eindringlich davor gewarnt, bei der Parodontitisversorgung zu kürzen. Die Zahnärztinnen und Zahnärzte haben in den vergangenen Jahren unter schwierigen Bedingungen hervorragende Arbeit geleistet. Wir sprechen von Einsparungen in einem Sektor, der zuvor nie als Kostentreiber aufgefallen ist.

Halten Sie es für vertretbar, dass eine wirksame präventive Leistung wie die Parodontitistherapie aus Kostengründen budgetiert wird?

Unerkannt und unbehandelt folgen bei einer Parodontitiserkrankung schlimmstenfalls nicht nur der Zahnverlust, sondern auch erhebliche Einschränkungen der Lebensqualität und massive Kosten. Diese Kürzung ist ein Sinnbild für das kurzsichtige Handeln der Ampel im verzweifelten Versuch, die GKV-Finanzen zu stabilisieren. Auf ein strukturelles und nachhaltiges Finanzierungskonzept hingegen warten wir bis heute. In keinem Fall darf das zulasten eines Versorgungsbereiches gehen, in dem die Zahnärzteschaft einen zentralen Beitrag zur Zahn- und Mundgesundheit leistet.

Welche Stellschrauben sind aus Ihrer Sicht wichtig, um eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung zu gewährleisten? Kürzlich wurde die Bedarfszulassung in die Diskussion gebracht. Wie stehen Sie dazu?

Bedarfszulassungen, die in ihrem Effekt nichts anderes als Zulassungsbeschränkungen wären, sind ein Irrweg. Sie mögen zuweilen Teil der politischen Debatte sein, sind aus Sicht unserer Fraktion aber kein probates Mittel, um lokale Mängel an Zahnärzten zu beheben. Viel entscheidender ist es, die Niederlassung für junge Ärztinnen und Ärzte wieder attraktiver zu machen. Mit Beschränkungen und Vorgaben wird das nicht funktionieren.

Sondern?

Die bundesweite Versorgungslandschaft ist vielfältig, holzschnittartige Lösungen von der Bundesebene aus sind oftmals wenig hilfreich. Hier sind alle Ebenen gefordert, tätig zu werden. Auch für Länder und Kommunen gibt es Möglichkeiten, attraktive Niederlassungsbedingungen zu schaffen. Das können etwa Zuschläge für unterversorgte Regionen sein, aber auch ein freier Kita-Platz oder die gute Infrastruktur vor Ort sind mittlerweile echte Standortvorteile.

Sie haben Karl Lauterbach wiederholt vorgeworfen, dass er die Leistungserbringerinnen und -erbringer nicht ausreichend oder zu spät in Reformvorhaben einbindet. Was hat die CDU Ihrer Ansicht nach während der Zeit in der Großen Koalition anders gemacht?

Es wäre in Zeiten der Großen Koalition undenkbar gewesen, Reformen ohne den Einbezug der Hauptbetroffenen voranzutreiben. Das weiß auch Karl Lauterbach, der damals unser Hauptansprechpartner auf SPD-Seite war. Zuletzt trieb er eine Krankenhausreform ohne Krankenhäuser und Bundesländer voran, überraschte die Apotheken mit neuen Plänen zur Apothekenregulierung oder die Ärzteschaft mit seinen neuen Ideen einer Vorhaltepauschale für sogenannte Versorgerpraxen.

Und der Unterschied zur CDU?

Jens Spahn zog zuweilen Unmut auf sich, weil er in hoher Schlagzahl nahezu monatlich neue Gesetzesinitiativen vorstellte – das waren dann aber wenigstens Entwürfe, die auch zeitnah ins geordnete parlamentarische Verfahren kamen und beschlossen wurden. Im Gegensatz dazu verlässt der Großteil der Pläne von Karl Lauterbach das Ankündigungsstadium nicht. Oft bleiben vage Eckpunkte, die monatelang liegenbleiben. Seine Vorhabenliste ist auf knapp zwanzig Gesetze angewachsen, die nun angeblich alle vor dem Sommer ins Kabinett kommen sollen. Das Gesundheitswesen reagiert sehr sensibel auf Ankündigungen der Politik. Wer vieles ankündigt, aber nur wenig liefert und im Alleingang handelt, darf sich über Enttäuschungen nicht wundern.

Auf Antrag der Union fand Ende April eine Anhörung zur GOÄ/GOZ-Novellierung statt. Wie zufrieden sind Sie damit?

Die GOÄ und die GOZ sind mittlerweile geradezu historische Dokumente. Sie spiegeln den Stand weit vor der deutschen Wiedervereinigung wider. Die moderne und digitale Medizin mit ihrer Kostenentwicklung ist darin kaum abgebildet. Die Anhörung hat gezeigt, dass eine Novellierung von GOÄ und GOZ mehr als überfällig ist. Darin waren sich alle Sachverständigen einig. Dass zuweilen sogar ein Staatsversagen attestiert wird, zeigt, wie ernst die Lage mittlerweile ist.

Angenommen, die CDU kommt nach der nächsten Wahl in Regierungsverantwortung, welche Maßnahmen würden Sie umsetzen?

Vor allem die SPD blockiert seit Jahren eine Novellierung, da sie in ihren Augen ein Hindernis auf dem Weg zur heiß ersehnten Bürgerversicherung darstellt. Diese Blockadehaltung schadet der Versorgung. Es werden falsche Anreize gesetzt, die eine qualitätsorientierte Behandlung erschweren. Ärzte und Patienten werden zudem mit Abrechnungsstreitigkeiten durch die alte Gebührenordnung belastet. Diese verfahrene Situation gilt es endlich aufzulösen. An der Novellierung, spätestens in der nächsten Legislatur, führt kein Weg vorbei.

Das Gespräch führte Susanne Theisen.

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