Studie zur Diskriminierung im Gesundheitswesen

Wer Beratung braucht, findet oft keine Anlaufstelle

Wer Diskriminierung im Gesundheitswesen erlebt, ist in Deutschland oft auf sich allein gestellt. Das belegt die Studie „Diagnose Diskriminierung. Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten bei Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen“ im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Zum Thema Diskriminierung in der medizinischen Versorgung liegen bislang nur wenige Untersuchungen vor. Im Rahmen der Studie wurden nun erstmals die Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten im Gesundheitsbereich umfassend untersucht. Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, übergab die Arbeit Ende April an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD).

Die Studie beschäftigt sich konkret mit der Frage, was passiert, wenn sich Menschen nach einer Diskriminierung im Krankenhaus, in einer Arztpraxis oder in einer Apotheke an eine Anlaufstelle wenden. Dazu wurden Benachteiligungen aufgrund von Alter, Behinderung, Geschlecht, sexueller Identität, Religion und Weltanschauung sowie rassistische und antisemitische Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) untersucht. Zudem wurden Diskriminierungserfahrungen aufgrund des Körpergewichts und des sozialen Status betrachtet.

Die wichtigsten Ergebnisse: Nur wenige der vorhandenen Anlauf- und Beratungsstellen sind auf Diskriminierung spezialisiert. Ansprechpersonen sind im Gesundheitswesen nur schwer zu finden. Diskriminierte Menschen nehmen die Beschwerdewege oft als intransparent und ineffektiv wahr. Anlaufstellen informierten in der Regel nicht darüber, ob sie auch für Diskriminierungserfahrungen zuständig sind, heißt es in der über 190 Seiten starken Studie. Und die Landschaft an verschiedenen Beratungs- und Beschwerdestellen sei selbst für Expertinnen und Experten schwer durchschaubar: Ob Gesundheitsämter, Krankenkassen oder Patientenbeauftragte – oft sei unklar, wer wofür zuständig ist. Zudem sei der Diskriminierungsschutz aktuell stark davon abhängig, welches Verständnis von Diskriminierung die Verantwortlichen der Beratungsstellen haben. „Die Situation für Menschen, die Diskriminierung erleben, muss sich demnach umfassend verbessern“, fordern die Autorinnen und Autoren.

Menschen mit Migrationsgeschichte wird oft der „Morbus mediterraneus“ unterstellt

Wie Ataman in ihrem Vorwort zur Kurzfassung der Studie unterstreicht, gibt es auch im Gesundheitsbereich ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen: „Auch in Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken oder Pflegeeinrichtungen machen Menschen mitunter diskriminierende Erfahrungen. Sie berichten von Diskriminierungen wegen einer Behinderung, wegen ihres Alters, aus rassistischen Gründen oder aufgrund des Geschlechts.“ So seien beispielsweise dunkelhäutige Frauen häufig sexualisierten Vorurteilen ausgesetzt: „Ärzt*innen bieten ihnen deshalb ohne Anlass HIV-Tests an. Menschen mit Migrationsgeschichte schildern uns häufig, ihnen werde der sogenannte 'Morbus mediterraneus' unterstellt – das ist keine Diagnose, sondern ein rassistisches Klischee von wehleidigen Migrant*innen.“

Dabei gebe es im Gesundheitswesen viele Anlauf- und Beschwerdestellen, die auch teilweise für Diskriminierung zuständig sind, selbst wenn sie häufig kein explizites Mandat dafür haben. Wie die Studie ausführt, sind Krankenhäuser und Rehakliniken gesetzlich verpflichtet, Beschwerdestellen einzurichten. Patienten von niedergelassenen und auch von in Krankenhäusern und Rehakliniken tätigen Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten finden demnach auch bei den Kammern Anlauf- und Beschwerdestellen, die in allen Bundesländern, teilweise auf Bezirksebene, einen formalen, schriftlichen Beschwerdeprozess anbieten. Für nicht verkammerte Gesundheitsberufe liege die Berufsaufsicht nicht bei der Selbstverwaltung, sondern bei den Gesundheitsämtern. Allerdings fehle in vielen Fällen eine Spezialisierung auf Diskriminierung. Explizit auf Diskriminierungserfahrungen bezogene Angebote innerhalb des Gesundheitswesens biete derzeit nur die Landesärztekammer Hessen.

Aus den Ergebnissen der Studie „Diagnose Diskriminierung“ leiten die Forschenden diese Handlungsempfehlungen ab:

  • Das Beratungsangebot sollte in allen Praxen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens sichtbar sein.

  • Zudem müssen Anlaufstellen ihren Umgang mit Diskriminierung professionalisieren und Diskriminierungsfälle künftig systematisch erfassen und auswerten.

  • Die rechtlichen Möglichkeiten, sich nach einer Diskriminierung zu wehren, müssen verbessert werden.

  • Und der Schutz vor Diskriminierung muss auf Behandlungsverträge ausgeweitet werden, damit Betroffene Schadensersatz einklagen können.

Die Studie:
an der Heiden, Iris (2024): Diagnose Diskriminierung. Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten bei Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen. Herausgegeben von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin.

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