Konflikte im Praxisalltag – Teil 1

Das Problem gehört auf den Tisch!

Anke Handrock
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Maike Baumann
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Annika Łonak
Konflikte sind schädlich für den Teamzusammenhalt und lenken von der Arbeit ab. Sie totzuschweigen ist keine gute Idee. Aber wie thematisiert man Probleme in der Mannschaft so, dass am Ende eine Lösung steht?

Aus psychologischer Sicht entsteht ein Konflikt, wenn es mehrere Interessenten für eine Ressource gibt und der Eindruck entsteht, es ist nicht genug für alle da. Sind alle Beteiligen vollständig zufrieden mit dem Anteil? Dabei kann es sich um alles Mögliche handeln: einen bestimmten Sitzplatz, ausreichend Zeit, die Aufmerksamkeit der Chefin, die Chance auf eine Beförderung oder Selbstbestimmung, die Verteilung von Boni oder Urlaubstage in den Schulferien. Die Sorge, davon nicht genug zu abzubekommen, führt zu einem subjektiven Konflikterleben, zu Anspannung und zu einem Hab-Acht-Gefühl. Also, zu dem Gefühl aufpassen zu müssen, dass niemand sich dieses knappe Gut heimlich wegschnappt, während man selbst gerade in die andere Richtung schaut.

In dieser Phase eines Konflikts kann die Stimmung jederzeit in unterschiedliche Richtungen kippen – zu Ärger, wenn die Ressource wirklich von jemand anderem ungefragt beansprucht wird. Zu Überraschung oder auch zu Freude, wenn man unerwartet selber der Begünstigte ist. Aber auch zu Traurigkeit, wenn man das Gut zwar wirklich gerne hätte, aber absolut keine Chance sieht, es jemals zu bekommen. Menschen in diesem Konflikt sind permanent leicht abgelenkt und im Alltag emotional instabiler als sonst. Die Kommunikation wirkt oft etwas verhalten. Die Betroffenen sind kurz angebunden, denn sie sind damit beschäftigt, ihre potenziellen Konkurrenten genau zu beobachten und verlieren dabei andere Themen, etwa die Erfüllung bestimmter Arbeitsaufgaben, aus dem Blick.

Häufig kommt es auch vor, dass eine Person aus dem Team andere Mitglieder als Konkurrenz wahrnimmt, die in Wahrheit gar kein Interesse daran haben. Ein Beispiel: Elli Busche, eine neue ZFA ohne Kinder, will ihren Urlaub nicht in den Schulferien nehmen, weil Reisen dann teurer sind. Ute Schmidt ist mit einem schulpflichtigen Kind dagegen auf die Schulferien angewiesen. Im vergangenen Jahr gab es bereits eine entsprechende Auseinandersetzung mit der Vorgängerin von Busche. Dieses Jahr hat Schmidt überhaupt nicht auf dem Schirm, dass es möglicherweise dieses Jahr gar keinen Ärger um die Urlaubstage in den Schulferien gibt: Sie begegnet ihrer neuen Kollegin mit Anspannung. Sie spitzt die Ohren, wenn Busche etwas mit der Chefin bespricht. Manchmal nimmt sie auch Telefonate nicht an, um nicht zu verpassen, was im Zimmer gerade gesprochen wird. Nachdem die Chefin die Urlaubsplanung bekanntgegeben hat, ist Schmidt gegenüber Busche wie ausgewechselt und auch insgesamt in der Praxis wieder freundlich und entspannt. 

Die Chefin kann ein Role Model sein

Ein subjektiver Konflikt kann – selbst wenn er nur eine Person betrifft – große Folgen für die Kommunikation, die Atmosphäre oder die Arbeitssorgfalt in der Praxis haben. Hier hilft es, sich als Chefin oder Chef als Rollenmodell zu verstehen und Themen, die einen selbst in Konfliktspannung versetzen, zügig und offen mit den Beteiligten zu besprechen. Ein großer Anteil der empfundenen Konflikte stellt sich bei Nachfrage als rein subjektives Erleben heraus und löst sich auf, sobald die Betroffenen das verstanden haben. Die Problematik in vielen Praxen besteht darin, dass diese Ansprache aufgrund eines oft vorhandenen (zu großen) Harmoniebedürfnisses nicht oder erst sehr spät stattfindet.

Wenn Menschen mit einer gewissen Scheu vor Konflikten erst einmal in einem subjektiven Konflikterleben sind, kommen sie oft nicht mehr auf die einfachsten Lösungen. Ute Schmidt müsste Elli Busche ja lediglich offen fragen: „Wann willst Du denn Deinen Urlaub in diesem Jahr am liebsten nehmen? Lass uns das doch im Vorfeld einfach mal besprechen.“

Am schlimmsten ist ein Thema, das totgeschwiegen wird!

Und es gibt viele ähnliche Situationen. Sie können aber dafür sorgen, dass diese auf Dauer seltener werden, indem Sie vorleben, dass es gut und richtig ist bei einem Gefühl von unklarer Spannung in ein offenes Gespräch zu gehen. Wenn das in der Praxis Normalität ist, bildet sich Stück für Stück eine Kultur der offenen Kommunikation und der Lösungsorientierung. Schon alleine, dass potenzielle Konfliktthemen angesprochen werden können, sorgt für Entlastung im Team. Der Konflikt, den alle mindestens unbewusst spüren, hat dann einen Namen und einen Raum bekommen und wird damit schlagartig viel weniger bedrohlich (und kleiner). Denn wenn man darüber sprechen darf, kann es ja nicht so schlimm sein wie ein Thema, das totgeschwiegen wird. Schon Seneca wusste: „Kein Übel ist so schlimm wie die Angst davor.“

Was machen Sie als Praxisführung aber, wenn es nicht nur ein subjektiver Konflikt ist, sondern auch objektiv gesehen mehrere Personen dieselbe Ressource haben wollen und es einfach nicht für alle reicht? Falls die Mitarbeitenden nicht zügig selbst einen Ausweg finden, ist es sinnvoll, als Führung mit beiden Konfliktparteien eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Nehmen wir nochmal das Beispiel mit Frau Busche und Frau Schmidt. Zufälligerweise wird Busches Oma in den Schulferien 80 Jahre alt und sie will Urlaub nehmen, um ein paar Tage mit der Oma zu verbringen und ihr zu helfen die Feier vorzubereiten. Beide Kolleginnen wollen also Urlaub in den Schulferien haben – es gibt subjektiv und auch objektiv einen Konflikt. Ihre Nachfrage bestätigt diese Situation, anstatt sie direkt aufzulösen. Das Ansprechen hat zwar etwas Druck aus der Situation genommen, aber was dann?

Als Nächstes hilft es, zügig einen sogenannten Rahmen zu setzen. Das heißt, Sie legen fest, wann genau und mit welchen Beteiligten eine Klärung des Konflikts erfolgt. Wenn möglich, sollte das kurzfristig erfolgen, damit das Problem schnell gelöst werden kann und sich alle wieder vollständig auf ihre Arbeit konzentrieren. Wenn der Rahmen gesetzt ist, bindet das Thema bei allen Beteiligten nur noch wenig Energie und Aufmerksamkeit, da nun klar ist, wann es geklärt wird.

Halten Sie sich bis zur Klärung bedeckt

In der Zeit bis zur Klärung ist es wichtig, sich als Chefin oder Chef bedeckt zu halten und Versuche der Kommunikation zu dem Thema nett, aber bestimmt abzulehnen, etwa mit den Worten: „Ich weiß, dass Ihnen das Thema am Herzen liegt Frau Busche, darum haben wir ja für heute nach der Kaffeepause einen gemeinsamen Termin vereinbart. Bis dahin ist das Thema nicht dran.“ Lässt sich der Chef nämlich vor dem Termin auf ein einzelnes Gespräch mit einer der beiden Seiten ein, kommt es schnell dazu, dass andere das mitbekommen und ihn als parteiisch und die Kollegin als hinterrücks empfinden. Dann hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Konflikte in der Praxis

In der vierteiligen Serie „Konflikte und Konfliktmanagement“ geht es darum, Konfliktsituationen besser zu erkennen, damit umzugehen und bestenfalls vorzubeugen.

  • Teile 1 und 2: Wie entstehen Konflikte und wie laufen sie ab?

  • Teil 3: Welche Konflikte treten in der Praxis häufig auf und wie geht man damit um?

  • Teil 4: Konflikte selber schlichten – wann und wie kann das gelingen, wann eher nicht?

Im Klärungsgespräch selbst ist es wichtig, dass alle angenehm sitzen oder stehen können – damit sich alle gleich wertgeschätzt fühlen. Vermeiden Sie Störungen, also schließen Sie die Tür, um einen sicheren und vertrauten Rahmen zu bieten und schalten Sie das Telefon um oder ab. Die Beteiligten können untereinander entscheiden, wer zuerst sprechen möchte. Solange der Konflikt noch wenig eskaliert ist und eine lösungsorientierte Teamkultur besteht, geht das meist relativ zügig. Daran anschließend bekommen dann alle Beteiligten die Chance, in Ruhe zu erklären, worum es ihnen gerade geht, in unserem Beispiel also, weshalb sie genau dann in Urlaub gehen wollen.

Wenn der Konflikt schon über eine gewisse Zeit rumort, fragen Sie nach, wie jede Beteiligte den Konflikt wahrnimmt – also inwiefern sie sich angegriffen fühlt oder was sie ungerecht findet. Oft hilft es auch zu fragen, welche Lösungsideen jede Beteiligte bisher hatte. Es ist wichtig, dass alle Seiten ihre Sichtweise in Ruhe erklären dürfen. Dabei achtet der Chef darauf, aktiv zuzuhören und sicherzustellen, dass niemand unterbrochen wird. Manchmal fällt es einer der Beteiligten schwer, die andere ausreden zu lassen. Dann können Sie sie darum bitten, sich ein paar Notizen zu machen, bis sie an der Reihe ist. Nachdem jemand fertig gesprochen hat, fassen Sie das Gesagte kurz zusammen und fragen gegebenenfalls nach, ob alle die Sprecherin richtig verstanden haben.

Im nächsten Schritt wird dann herausgearbeitet, warum es den beiden wichtig ist, das zu bekommen, was sie sich wünschen. Busche kann erklären, dass ihre Oma 80 wird, sie die alte Dame sehr mag und die Feier nicht stattfinden kann, wenn keiner ihr hilft. Und dass sie die einzige Angehörige ist, die das übernehmen kann. Schmidt kann erläutern, dass sie ihr Kind betreuen muss, da es in einer Woche keine Ferienbetreuung geben wird, und dass es sich daher anbietet, in dieser Woche komplett freizumachen, da es sehr aufwendig ist, eine alternative Kinderbetreuung zu organisieren.

Fazit

Durch das Erklären der Beweggründe und Gefühle hinter den Forderungen fangen die Konfliktparteien an, ihr Gegenüber auf eine konstruktivere Art und Weise wahrzunehmen. In dem Moment beginnt dann bei den Beteiligten auch automatisch innerlich eine Lösungssuche. Alle denken darüber nach, wie die Interessen (und nicht die Forderungen) miteinander unter einen Hut gebracht werden können. So entstehen kreative Lösungen oder tragfähige Kompromisse.

Natürlich kostet ein derartiges Vorgehen erst einmal Zeit. Gleichzeitig lernen alle Beteiligten, wie man schwierige Probleme konstruktiv besprechen und lösen kann. Unbewusst nutzen sie das auf Dauer dann auch untereinander und sprechen schwierige Themen direkter an. Das führt dazu, dass das Klima in der Praxis (noch) besser wird und dass Sie als Führung als kompetenter Ansprechpartner in unangenehmen Situationen wahrgenommen werden.

Dr. med. dent. Anke Handrock

Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie,
Coaching und Mediation,
Speakerin und Autorin

Dipl.-Psych. Maike Baumann

Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin

Annika Łonak

Fachärztin für Radiologie und Neuroradiologie, Oberärztin Universitätsspital Basel

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