Die aktuelle Evidenz zum Implantaterfolg von Keramikimplantaten
Seit über 45 Jahren stellt die Verwendung von Zahnimplantaten auf Titanbasis im klinischen Alltag eine etablierte Therapieoption zur dentalen Rehabilitation des teil- oder unbezahnten Kiefers dar. Titanimplantate gelten aufgrund ihrer herausragenden Langzeitdaten als internationaler Goldstandard. Die gestiegene Nachfrage nach „metallfreien“ Versorgungskonzepten sowie das fortwährende Bestreben der Zahnmedizin, alternative Versorgungskonzepte anzubieten, haben während der vergangenen Jahre zu einem gestiegenen, allerdings kontrovers diskutierten Interesse an dentalen Keramikimplantaten geführt.
Vor diesem Hintergrund entschieden sich die beiden federführenden Fachgesellschaften – die Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich e.V. (DGI) und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e.V. (DGZMK) – 2019 für die Erstellung der hier zusammengefassten S3-Leitlinie „Keramikimplantate“.
Die Leitlinie ist die erste ihrer Art und damit sowohl national wie auch international eine Premiere. Sie beleuchtet den aktuellen Stand der Forschung zu den Eigenschaften, zur Leistungsfähigkeit und zur klinischen Evidenz von Keramikimplantaten [DGI und DGZMK, 2022]. Es werden die Vorteile und Herausforderungen in der Anwendung von Keramikimplantaten sowie die Möglichkeiten diskutiert. Die Leitlinie zielt darauf ab, Anwendern und Anwenderinnen evidenzbasierte Informationen und Empfehlungen zu bieten, die sie bei der Entscheidungsfindung zum Einsatz von Keramikimplantaten unterstützen. Darüber hinaus soll sie Patientinnen und Patienten den aktuellen Kenntnisstand in einer verständlichen Form zugänglich machen.
Materialzusammensetzung
Die Entwicklung und der klinische Einsatz von dentalen Keramikimplantaten wurden bereits in den 1960er-Jahren dokumentiert [Sandhaus, 1968]. Nach zahlreichen Material- und Produktinnovationen wurde das einstige Ausgangsmaterial Aluminiumoxid (Al2O3) aufgrund erhöhter Frakturraten von Zirkoniumdioxid (ZrO2) abgelöst. Zirkoniumdioxid, der aktuelle Standardwerkstoff, zeigt Materialeigenschaften, die mit Titanimplantaten in vielerlei Hinsicht vergleichbar sind.
Zirkoniumdioxid (Zirkonoxid) wird häufig irrtümlich aufgrund der nominellen Ähnlichkeit als „Zirkonium“ oder „Zirkon“ bezeichnet. Bei Zirkonium handelt es sich um ein Reinmetall, wie Titan. Während des Verarbeitungsprozesses wird reines Zirkonium vollständig zu Zirkoniumdioxid oxidiert, was einen Übergang von einem metallischen zu einem keramischen, nicht-metallischen Werkstoff darstellt. Obwohl die Bezeichnung „Zirkoniumdioxid“ den Begriff „Zirkonium“ enthält, gehören Keramiken aufgrund ihrer Struktur und ihrer Bindungen zu den nicht-metallischen Werkstoffen. Der Nachweis von Zirkonium bei Keramikimplantaten, über den in vereinzelten Studien berichtet wird, spielt nur eine untergeordnete Rolle [Zhang und Lawn, 2018; Gross et al., 2020; He et al., 2020]. Eine systemische Freisetzung oder gar biologische Wirkung kann aufgrund einer unzureichenden Datenlage nicht abschließend beurteilt werden.
In der Verarbeitung moderner Keramikimplantate ist die Phasentransformation von der bruchsicheren tetragonalen zur bruchanfälligeren monoklinen Phase ein kritischer Punkt. Diese Umwandlung ist mit einer Volumenexpansion assoziiert, die potenziell das Entstehen von Mikrorissen unterdrückt (engl. fracture toughening). Um diese Transformation zu kontrollieren, wird Zirkoniumdioxid mit Yttriumoxid stabilisiert (dotiert), was die Phasenumwandlung verlangsamt und die mechanische Festigkeit erhöht (Y-TZP) [Luthardt et al., 2002].
Darüber hinaus trägt die Zugabe von Aluminiumoxid zur weiteren Verbesserung der Materialeigenschaften bei und führt zu einer neuen Generation von Zirkonoxid-Implantaten, die als „Aluminium gehärtetes Zirkoniumoxid (ATZ)“ bezeichnet werden. Bisherige Optimierungen des Herstellungsverfahrens führten dazu, dass die Frakturanfälligkeit von Keramikimplantaten zwischen 2004 und 2020 von 3,4 Prozent auf 0,2 Prozent gesenkt werden konnte [Roehling et al., 2018; Koller et al., 2020]. Der stetige Wandel in der Entwicklung keramischer Implantatwerkstoffe führt einerseits zu einer verbesserten Werkstoffqualität mit optimierten Materialeigenschaften, andererseits haben die regelmäßigen Material- und Produkterneuerungen der Vergangenheit einen negativen Einfluss auf die Vergleichbarkeit von Studienergebnissen.
Osseointegration
Eine regelrechte Osseointegration gilt mit Erreichen einer sekundären Implantatstabilität nach durchschnittlich acht bis zwölf Wochen als abgeschlossen und ist Voraussetzung für den Implantat-Langzeiterfolg [Lang et al., 2011]. Besondere Implantat-Oberflächenmodifikationen wie Ätzen, Sandstrahlen, Sintern und Beschichten können den Prozess optimieren [Lee et al., 2009; Gahlert et al., 2012; Hoffmann et al., 2012; Janner et al.; 2018; Monje et al., 2019].
Auf Basis der aktuell verfügbaren Literatur kann davon ausgegangen werden, dass Keramikimplantate eine mit Titanimplantaten vergleichbare Osseointegration aufweisen [Roehling et al., 2018]. Klinische Studien mit einem Beobachtungszeitraum von bis zu sieben Jahren dokumentieren für moderne Keramikimplantate Überlebensraten und Erfolgsquoten, die mit denen von Titanimplantaten mithalten [Lorenz et al., 2019; Afrashtehfar und Del Fabbro, 2020; Balmer et al., 2020; Cionca et al., 2021].
Periimplantitis
Der Langzeiterfolg von implantatgetragenem Zahnersatz wird multifaktoriell beeinflusst und ist abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten und implantatbezogenen Faktoren wie der biomechanischen Belastung. Hauptursache für den Spätverlust von Implantaten ist die Periimplantitis, die infolge von Plaqueablagerungen um das osseointegrierte Implantat mit bakterieller Besiedlung entsteht. Das entzündliche Krankheitsgeschehen breitet sich vom umliegenden Weichgewebe auf den periimplantären Knochen aus und führt zu einem fortschreitenden Knochenverlust [Berglundh et al., 2018]. Es gibt erste klinische Hinweise, dass Keramikimplantate durch eine geringere Plaqueakkumulationsrate ein reduziertes Risiko für Periimplantitis aufweisen im Vergleich zu Titanimplantaten [Clever et al., 2019; Bienz et al., 2021]. Für eine abschließende Bewertung ist die verfügbare Studienlage jedoch nicht ausreichend, so dass hierzu keine Empfehlungen in der aktuellen Fassung der S3-Leitlinie gegeben werden können.
Empfehlungen für den Einsatz von Zirkonoxid-Implantaten
Die klinische und radiologische Beurteilung der Quantität und der Qualität des knöchernen und weichgewebigen Implantatlagers ist vor jeder Implantation unerlässlich. Das ästhetische Outcome ist je nach Region vom gingivalen Biotyp, von der Sichtbarkeit der Gingiva beim Lachen oder Sprechen, von der Lückenausdehnung, von der Kronenform und vom Restaurationszustand der Nachbarzähne abhängig.
Für die optimale Planung der Implantatposition müssen der Implantat-Typ (ein- oder zweiteilig) sowie die Art der prothetischen Versorgung in Abhängigkeit vom Implantatvektor zuvor festgelegt werden. Während einteilige Systeme die exakte Implantatpositionierung zwingend voraussetzen, lassen sich geringfügige ungewollte oder bewusst gewählte Achsabweichungen bei der Positionierung durch zweiteilige Implantatsysteme kompensieren. Neben der Möglichkeit zur simultanen Augmentation bei subgingivaler Einheilung bieten zweiteilige Systeme mehr Flexibilität und eine größere Auswahl an prothetischen Versorgungsmöglichkeiten.
Einteilige Keramikimplantate
Einteilige Keramikimplantate bieten Vorteile wie das Fehlen eines Implantat-Abutment-Interfaces, was jedoch eine transgingivale Einheilung erfordert und gleichzeitige Augmentationsmaßnahmen limitiert. Klinische Studien mit Beobachtungszeiträumen von sieben Jahren zeigen Überlebensraten von über 97 Prozent, so dass ihre Anwendung entsprechend der aktuellen S3-Leitlinie als valide und alternative Behandlungsoption angesehen werden kann [Balmer et al., 2018; Bormann et al., 2018; Lorenz et al., 2019; Kohal et al., 2020].
Zweiteilige Keramikimplantate
Im Unterschied zu den einteiligen Systemen ist die aktuelle Studienlage zu zweiteiligen Keramikimplantatsystemen nicht ausreichend, um sie uneingeschränkt als gleichwertige Alternativoption zu Titanimplantaten empfehlen zu können. Besonders über längere Beobachtungszeiträume ist das Evidenzniveau für zweiteilige Keramikimplantate begrenzt. Entsprechend der neuen S3-Leitlinie „Keramikimplantate“ sollen Patienten daher über die Therapie mit zweiteiligen Keramikimplantaten unter Berücksichtigung fehlender Langzeitdaten im Vergleich zum Goldstandard Titanimplantat aufgeklärt werden [Koller et al., 2020; Cionca et al., 2021].
Fazit für die Praxis
Die Materialeigenschaften von Zirkonoxid-Implantaten hinsichtlich Biegefestigkeit (900–1200 MPa) und Bruchzähigkeit (6–9 MPa) sind für den klinischen Einsatz geeignet.
Obwohl bereits vielversprechende Studienergebnisse für moderne Keramikimplantat-Systeme vorliegen, mangelt es insbesondere bei zweiteiligen Implantatsystemen noch an verlässlichen Langzeitdaten.
Die Verwendung von einteiligen Keramikimplantaten auf Zirkoniumdioxidbasis kann als sichere und alternative Therapieoption empfohlen werden.
Kommerziell erhältliche zweiteilige Keramikimplantate auf Zirkoniumdioxidbasis können wegen der unklaren Datenlage nur nach eingehender Aufklärung (Langzeitstabilität der prothetischen Ankopplung) des Patienten als alternative Therapieoption für den Ersatz fehlender Zähne empfohlen werden.
Zusammenfassend hat sich die Datenlage zu Zirkonoxid-Implantaten in den vergangenen Jahren zwar deutlich verbessert, aber weitere klinische Langzeitstudien sind notwendig, um evidenzbasierte Empfehlungen zum Einsatz als valide Alternative zu Titanimplantaten geben zu können.
Leitlinie:
DGI, DGZMK: „Keramikimplantate“, Langfassung, Version 1.0, 2022, AWMF-Registriernummer: 083-039,
register.awmf.org/de/leitlinien/detail/083-039.
Literaturliste
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