Studie der Universität Witten/Herdecke

Burn-out bei Zahnärzten – erkennen, behandeln, vorbeugen

Hans-Peter Jöhren
,
Katharina Lefarth
,
André Wannemüller
,
Carolin Wissel-Seith
Die Ergebnisse einer neuen deutschlandweiten Studie zeigen eine Burn-out-Prävalenz unter Zahnärztinnen und Zahnärzten von 13 Prozent, weitere 32 Prozent sind Burn-out-gefährdet. Wichtig ist, die ersten Anzeichen wie Erschöpfung, fehlender Antrieb und Schlaflosigkeit nicht zu ignorieren, denn es gibt Wege aus der Stressfalle.

Wird chronischer Stress am Arbeitsplatz nicht erfolgreich verarbeitet, häufen sich stressbedingte physische und psychische Symptome. Die Folgen sind ein schleichender Prozess der Erschöpfung, eine geistige Distanz zur eigenen beruflichen Tätigkeit sowie eine reduzierte professionelle Leistungsfähigkeit – das Burn-out-Syndrom [WHO, 2019].

Eine aktuelle Metaanalyse von Da Silva Moro et al. ermittelte eine konstante Burn-out-Prävalenz von 13 Prozent unter Zahnmedizinern [2022]. Diese Analyse basiert auf 37 internationalen Forschungsarbeiten, die den Maslach-Burnout-Inventory-Fragebogen nutzten. Das Symptom der emotionalen Erschöpfung als Teil des Symptom­komplexes war mit 25 Prozent am häufigsten vertreten.

Die letzte umfassende deutschlandweite Burn-out-Studie liegt inzwischen fast 13 Jahre zurück. Damals gaben 61 Prozent von 1.231 befragten deutschen Zahnärztinnen und Zahnärzten an, ihre Berufsausübung als überdurchschnittlich stressig zu empfinden. Die Burn-out-Quote lag damals bei 13,6 Prozent, weitere 31,9 Prozent der Befragten waren Burn-out-gefährdet. Die Mittelwerte der Subskalen betrugen 26,3 für emotionale Erschöpfung (EE), 8,0 für Depersonalisierung (DP) und 37,5 für das reduzierte persönliche Leistungsempfinden (RPL) [Wissel und Jöhren, 2012].

Diese Studie wurde 2021 – noch während der Pandemie – an der Universität Witten/Herdecke neu aufgelegt. Die Ergebnisse sind noch nicht publiziert, werden aber auf der Jahrestagung des Arbeitskreises für Psychologie und Psychosomatik (AKPP) der DGZMK am 25. und 26. Oktober in Witten vorgestellt. So viel kann jedoch schon verraten werden: Nach wie vor ist ein Anteil von 13,1 Prozent der Zahnärzteschaft von Burn-out betroffen und 30,8 Prozent der Befragten sind Burn-out-gefährdet. Im nationalen Zehn-Jahres-Vergleich lässt sich trotz der Sensibilisierung der Zahnärzteschaft sowohl für die Kernskala emotionale Erschöpfung als auch für die Skalen Depersonalisierung und reduziertes persönliches Leistungsempfinden kaum eine Veränderung der Mittelwerte feststellen [Lefarth und Jöhren, 2024 (bislang unveröffentlicht)].

Die größten Stressoren – Misserfolge und Behandlungsfehler

Der zahnärztliche Berufsalltag erfordert heute neben Fachwissen, manueller Geschicklichkeit und körperlicher Leistungsfähigkeit auch sehr gute Kenntnisse in den Bereichen Qualitätssicherung und Unternehmensführung. Personalführung, Flexibilität bei hohen Krankenständen und Mitarbeiterrekrutierung sind zentrale Themen der Praxisführung geworden. Geeignete Mitarbeitende für die Praxis zu gewinnen, war noch nie so schwierig wie heute.

Die Ergebnisse der jüngsten Burn-out-Studie aus Witten zeigen, dass Misserfolge und Behandlungsfehler nach wie vor als die größte Belastung empfunden werden, dicht gefolgt von dem eigenen Anspruch und dem Streben nach Perfektion. Die staatlichen Reglementierungen, etwa zum Themenkomplex Hygiene und Qualitätsmanagement, folgen direkt danach. Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte leiden unter den zahlreichen, ausufernden Verwaltungsaufgaben und der Einhaltung von Vorschriften und Vorgaben. Das Arbeiten unter Zeitdruck, fehlende Pausen und vor allem lange Arbeitszeiten werden von der Mehrheit der Teilnehmenden als stark stressauslösend angegeben [Lefarth und Jöhren, 2024]. 

Die Arbeitszeit ist dabei der meistgenannte zentrale Stressor, da sich in der Folge Konflikte zwischen Arbeits- und Privatleben ergeben. Darunter fallen beispielsweise verpasste Familienmahlzeiten, fehlende Zeit mit dem Partner oder Kinderbetreuungsprobleme [Shanafelt, 2009]. Die praktische Arbeit und der Umgang mit den Patienten hingegen werden von vielen Teilnehmenden nicht als Stressbelastung, sondern als Berufung empfunden [Lefarth und Jöhren, 2024].

Auch die Studierenden sind betroffen

Im 12. Studierenden-Survey des BM für Bildung und Forschung wurde das Studium der Zahnmedizin mit durchschnittlich 42,5 Stunden pro Woche veranschlagt. Damit ist es nach der Veterinärmedizin einer der zeitaufwendigsten Studiengänge – die Zeit fürs Lernen in den Abendstunden und an den Wochenenden nicht mitgerechnet [Ramm et al., 2014]. Vorlesungsfreie Zeiten sind schon heute keine Semesterferien im klassischen Sinn mehr, sondern dienen erst der Behandlung am Phantom und später der Gewinnung und Behandlung von Patienten. 

Jahreskongress des Arbeitskreises für Psychologie und Psychosomatik in der DGZMK 

Am 25. und 26. Oktober findet der Jahreskongress des Arbeitskreises für Psychologie und Psychosomatik in der DGZMK an der Universität Witten/Herdecke statt. Der Kongress richtet sich an angehende und praktizierende Zahnmediziner, um die Folgen von dauerhaftem Stress, die Symptome, aber auch mögliche prophylaktische als auch therapeutische Maßnahmen aufzuzeigen. In Vorträgen und zwei Workshops wird für dieses Berufsrisiko sensibilisiert, die Referenten beschreiben (Aus-)Wege aus der Spirale aus Stress, Angst und Depression. Am Freitagnachmittag werden Arbeitsgruppen in einem wissenschaftlichen Block in Kurzvorträgen ihre Untersuchungen zu dem Themenkomplex vorstellen. Der beste wissenschaftliche Vortrag ist mit 500 Euro Preisgeld dotiert.

Im Studium führen die lange Zeit der Dauerbelastung und nicht ausreichende Bewältigungsstrategien im ersten Schritt zu stressbedingten Symptomen. Entsprechend den gerade erst veröffentlichten Untersuchungen des Studierendenparlaments (StuPa) des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ) leidet mehr als die Hälfte der Zahnmedizinstudierenden an Schlafstörungen und Antriebsmangel [2022].

Während der Pandemie wurden Burn-out-Symptome unter Zahnmedizinstudierenden in verschiedenen Ländern wie Saudi-Arabien, Südkorea, Italien und den USA untersucht. Dort führte vor allem die durch die Pandemie erforderliche Anpassung von Hygienekonzepten zu einem Anstieg.

Die Symptome reichen von Müdigkeit bis zu Depressionen

Diese und weitere Erscheinungsbilder der hohen Stressbelastung begleiten eine Vielzahl von Zahnärzten ihr Berufsleben lang – und äußern sich in verschiedenen Symptomen. Nach eigenen Angaben leiden die Zahnärztinnen und Zahnärzte vor allem an stressbedingten Symptomen wie Müdigkeit (71 Prozent), Gereiztheit (59,6 Prozent), Antriebsmangel (44,1 Prozent), Ängsten (43 Prozent), Kopfschmerzen (34,3 Prozent), Magenbeschwerden (29,3 Prozent) und Bluthochdruck (18,6 Prozent). Mehr als die Hälfte gab Schlafstörungen (54,5 Prozent) und Rückenschmerzen (60,7 Prozent) an [Lefarth und Jöhren 2024].

Das Ausmaß der psychischen Erkrankungsbilder ist ebenfalls konstant. So leiden nach eigenen Angaben 23,9 Prozent der Zahnärztinnen und Zahnärzte an Depressionen, sechs Prozent hatten bereits Suizidgedanken. Am massivsten beeinträchtigt werden die Arbeitsqualität und -quantität jedoch von Rückenschmerzen und Schlafstörungen (Grafik). Tendenziell lässt sich – auf hohem Niveau – dennoch eine leichte Verbesserung der Stresssymptomatik im vergangenen Jahrzehnt feststellen [Lefarth und Jöhren, 2024].

Copingstrategien und Prophylaxe als Zukunftsvision

Im Zehn-Jahres-Vergleich zeigt sich in Deutschland von 2012 bis 2022 keine positive Veränderung in der Prävalenz von Burn-out-Erkrankungen bei Zahnärztinnen und Zahnärzten [Wissel und Jöhren, 2012; Lefarth und Jöhren, 2024]. Die persönliche Work-Life-Balance scheint immer noch nicht ausreichend in den Fokus der Zahnärzteschaft gerückt zu sein.

Zahlreiche Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner berichten in der aktuellen Umfrage von einer guten Arbeitsatmosphäre und einem guten Zusammenhalt des Praxisteams während der Pandemie [Lefarth und Jöhren, 2024]. Die COVID-Pandemie erforderte zeitweise die Reduktion der Arbeitszeit, wirkte entschleunigend und ermöglichte vor allem während des ersten Lockdowns, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Seitens der Patienten wurde dem Praxispersonal während der Pandemie eine höhere Wertschätzung und Dankbarkeit entgegengebracht. Viele Patiententermine wurden abgesagt – durch die „gewonnene Mehrzeit“ für Verwaltung und Organisation konnten Defizite aufgearbeitet werden, insofern konnte man aus der COVID-Pandemie auch lernen.

Der Weltzahnärzteverband FDI ruft die Standesorganisationen und auch die Universitäten dazu auf, Zahnärztinnen und Zahnärzte durch Prävention und Heilsangebote stärker vor Burn-out zu schützen [FDI, 2024]. Grundsätzlich sollten praktizierende Zahnärztinnen und Zahnärzte bereits bei den ersten Anzeichen von Erschöpfung, fehlendem Antrieb und Schlaflosigkeit die nötigen Schritte einleiten. Rechtzeitig sollte bei Bedarf auch professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Eine Studie an der Universitätsklinik in Rom zeigt, dass zweimal 15-minütiges Yoga in der Woche zu einer signifikanten mentalen Stressreduktion führen kann [Guerra et al., 2022]. Eine weitere Studie bestätigt, dass Achtsamkeitsübungen ebenfalls zum besseren Umgang mit Stress beitragen [La Torre, 2022].

Ermutigend ist, dass auch die Forschung im vergangenen Jahrzehnt sich vermehrt auf die Gesundheit der angehenden Zahnmedizinerinnen und -mediziner fokussiert hat [Wissel et al., 2012; FDI, 2024]. Die Einführung von Screening- und Interventionsprogrammen sollte bereits im Studium erfolgen, um Burn-out frühzeitig zu erkennen und zu verhindern [P. Singh et al., 2015]. Zudem sollten weitere Forschungsprojekte zur Entwicklung von Präventionskonzepten entwickelt werden, um langfristig das eigene Wohlergehen und die Versorgungsqualität zu erhalten.

Literaturliste

  • Da Silva Moro, J., Soares, J. P., Massignan, C., Oliveira, L. B., Ribeiro, D. M., Cardoso, M., De Luca Canto, G. & Bolan, M. (2022): BURNOUT SYNDROME AMONG DENTISTS: A SYSTEMATIC REVIEW AND META-ANALYSIS. The Journal Of Evidence-based Dental Practice22(3), 101724. https://doi.org/10.1016/j.jebdp.2022.101724

  • „Diamanten entstehen unter Druck ...“. (2022). der Freie Zahnarzt66(9), 56–59. https://doi.org/10.1007/s12614-022-0417-4

  • FDI: Mental Health and well-being for oral health professionals and dental students. Int DentJ.2024, 74 (1): 159-160.

  • Guerra, F., Corridore, D., Peruzzo, M., Dorelli, B., Raimondi, L., Ndokaj, A., Mazur, M., Ottolenghi, L., Torre, G. & Polimeni, A. (2022): Quality of Life and Stress Management in Healthcare Professionals of a Dental Care Setting at a Teaching Hospital in Rome: Results of a Randomized Controlled Clinical Trial. International Journal Of Environmental Research And Public Health19(21), 13788. https://doi.org/10.3390/ijerph192113788

  • Jöhren, H. P. & Lefarth, K. L. (2024) Burnout bei deutschen Zahnärzten während der Covid-19-Pandemie [Promotionsarbeit]. Universität Witten/Herdecke. (noch nicht veröffentlicht)

  • La Torre, G., Leggieri, P. F., Cocchiara, R. A., Dorelli, B., Mannocci, A., Sernia, S. & Guerra, F. (2022): Mindfulness as a tool for reducing stress in healthcare professionals: An umbrella review. Work73(3), 819–829. https://doi.org/10.3233/wor-210504

  • Ramm, M., Multrus, F., Bargel, T. & Schmidt, M. (2014): Studiensituation und studentische Orientierungen : 12. Studierenden-Survey an Universitäten und Fachhochschulen (Langfassung). http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-0-265900

  • Shanafelt, T. D., Balch, C. M., Bechamps, G. J., Russell, T., Dyrbye, L., Satele, D., Collicott, P., Novotny, P. J., Sloan, J. & Freischlag, J. A. (2009): Burnout and Career Satisfaction Among American Surgeons. Annals Of Surgery250(3), 463–471. https://doi.org/10.1097/sla.0b013e3181ac4dfd

  • Singh, P., Aulak, D. S., Mangat, S. S. & Aulak, M. S. (2015): Systematic review: factors contributing to burnout in dentistry. Occupational Medicine66(1), 27–31. https://doi.org/10.1093/occmed/kqv119

  • Wissel, C., Jöhren, H. P. & Wannemüller, A. (2012): Burnout bei Zahnärzten – Ergebnisse einer bundesweiten Onlinebefragung in Deutschland. Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift67, 317–326. https://www.online-dzz.de/fileadmin/user_upload/Heftarchiv/DZZ/article/2012/05/85E4B39B-08CA-43BF-88A6-A1B6369259E6/85E4B39B08CA43BF88A6A1B6369259E6_em_oa_burnout_wissel_1_original.pdf

  • World Health Organization: WHO. (2019, 28. Mai): Burn-out an „occupational phenomenon“: International Classification of Diseases. World Health Organization. https://www.who.int/news/item/28-05-2019-burn-out-an-occupational-phenomenon-international-classification-of-diseases

Prof. Dr. Hans-Peter Jöhren

Universität Witten-Herdecke
Department für Zahn-,
Mund- und Kieferheilkunde
Alfred-Herrhausen-Str. 50,
58448 Witten

Cand. med. dent Katharina Lefarth

Universität Witten-Herdecke
Department für Zahn-,
Mund- und Kieferheilkunde
Alfred-Herrhausen-Str. 50,
58448 Witten

PD Dr. André Wannemüller

Forschungs- und Behandlungszentrum
für psychische Gesundheit,
Ruhr-Universität Bochum
Massenbergstr. 9-13, 44787 Bochum

Dr. Carolin Wissel-Seith

Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe
Lorenzstr. 7, 76135 Karlsruhe

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